Dabei geht es auch um patriarchale Strukturen. Etwa beim Kopftuch, ein Streitthema in Frankreich, in Deutschland, in vielen europäischen Ländern. Warum können Sie das Kopftuch nicht schlicht als individuelle Ausdrucksform betrachten?
Das tue ich gerne. In unserer Moschee ist das Kopftuch kein Thema, wer will, trägt eines. Das würde ich an diesem religiösen, spirituellen Ort niemals verbieten. Aber wenn wir uns in dieser Gesellschaft bewegen und Mädchen und Frauen das verhüllt tun sollen, weil die Männer sich angeblich nicht beherrschen können, dann ist das kein religiöses, sondern ein gesellschaftspolitisches Problem. Es geht darum, ob das Kopftuch gottgewollt ist oder manngewollt. Lehrerinnen und Richterinnen etwa sollten kein Kopftuch tragen, denn wir leben in einem säkularen Staat.
Sie befürchten, dass das Kopftuch damit schon zu einer Waffe geworden ist?
Ja, zu einer Fahne der Islamisten. Weil sie damit symbolisieren, gegen die sexuelle Selbstbestimmung der Frau zu sein. Die Frau wird reduziert auf ihren Körper als Sexualobjekt. Deshalb ist das Kopftuch, die Verhüllung der Frauen, ein Kampfsymbol des Patriarchats, aber auch der Ultrareligiösen. Sie wissen, dass sie mit dieser Masche die liberale Gesellschaft in die Knie zwingen können. Man muss die islamischen Länder nur angucken. Es sind die Ultraorthodoxen, die das Thema Kopftuch forcieren und in der breiten Gesellschaft bekämpfen.
Das sagen Sie mal den jungen Musliminnen, die ihre eigene Entscheidung dafür oder dagegen treffen wollen. Die wollen sich auch nicht vorschreiben lassen, dass das Haar unverhüllt bleiben soll.
Das Thema Kopftuch bearbeite ich seit mehr als 30 Jahren. Ja, jetzt haben wir langsam diejenigen, die sich daraus befreien. Die Autorin Ayla Işık ist eine Frau, für die das Kopftuch freiwillig und ganz selbstverständlich war. Aber sie beschreibt in ihrem Buch sehr ausführlich, wie ihr soziales Umfeld sie in diese Richtung gedrängt hat. Jetzt kommen die ganz ehrlichen Stimmen der Mädchen.
Reden wir nicht von Kindern, sondern von jungen Musliminnen.
Dann reden wir von den jungen Studentinnen, die auch in ihrem sozialen Kontext stecken. Und ich sage Ihnen als Frauenrechtlerin: Wir haben immer, auch gegen den Willen von Frauen, Frauen- und Menschenrechte durchgesetzt, weil es immer Frauen gab, die sagten, ich bin gerne Hausfrau, ich gehe nicht gerne arbeiten, und wenn, dann brauche ich auch keine Quote. Und trotzdem haben wir nicht aufgehört, für Frauenrechte zu kämpfen. Auch der Iran hat Frauen als Revolutionswächterinnen auf der Straße, die andere Frauen verprügeln, weil sie das Kopftuch nicht aufsetzen. Wenn Frauen sagen, wir verhüllen uns gerne, dann ist das ein vorgeschobenes religiöses Argument. Denn das Kopftuch ist theologisch keine eindeutige Pflicht wie die fünf Säulen des Islam. Wir leben in einer offenen Gesellschaft, in der auch der freie Wille kritisch diskutiert wird. Nur beim Kopftuch wird alles schlicht akzeptiert. Warum?
Jetzt geben das Kopftuch, der politische Islam, wunderbare Feindbilder ab, welche die Rechten in dieser Gesellschaft gerne für ihren Rassismus nutzen. Mit dieser Debatte begeben Sie sich, nicht zum ersten Mal, auf vermintes Gebiet. Denn die Rechten schüren Hass gegen Einwanderung, Entfremdung. Sie haben vor fünf Jahren sogar auf Einladung der FPÖ gesprochen. Das hat Ihnen Beifall von den Rechten und Kritik von den Linken eingebracht.
Ich kann nicht verhindern, dass Menschen meine Themen missbrauchen. Die FPÖ hat mich eingeladen zum Thema Politischer Islam. Ich habe denen gesagt, ich lasse mich nicht vor Ihren islamfeindliche Karren spannen. Aber ich erzähle Ihnen mal was über Meinungsfreiheit und Islam. Man muss im Gespräch bleiben. Ich rede auch mit türkischen Rechten, ich saß mit denen auf dem Podium. Ich würde auch mit Erdogan reden. Das Gespräch ist das allerwichtigste in einer Demokratie und das Aussprechen, wofür man steht. Ich rede keinem nach dem Mund, aber ich mache ihn auf.
Info:
Das Politische Forum der vhs-Esslingen veranstaltet ein Podiumsgespräch mit der Haecker-Preisträgerin Seyran Ateş und dem Islamwissenschaftler Hussein Hamdan am Donnerstag, 23. März, 18 Uhr im A22 in der Augustinerstraße 22. Moderation: Susanne Stiefel.
Preisverleihung am Freitag, 24. März, ab 19 Uhr im Neckarforum. Der Eintritt ist bei beiden Veranstaltungen frei.
2 Kommentare verfügbar
Gerald Wissler
am 23.03.2023Köstlich letzthin in einer Talkshow ihre Replik an eine Politikwissenschaftlerin, die den friedfertigen und toleranten Charakter des Islams meinet betonen zu müssen:
"Sie als deutsche Atheistin wollen mir meine Religion erklären !"