Viele der sogenannten Modest Fashion und Lifestyle Bloggerinnen versuchen sich in dieser doppelten Politisierung ihrer Körper. Sie reden über Luxusartikel, Kosmetik, Alltags- und Freizeitgestaltung, über Mode. Sie eröffnen sich in der digitalen Kultur Räume, die ihnen im "realen Leben" nicht zur Verfügung stehen. Sie sitzen nicht in Moderedaktionen, Rundfunkräten, Verlagen oder Zeitungsredaktionen, aber sie bloggen und posten. Posieren an öffentlichen Plätzen, bewegen ihre Körper so, wie es von ihnen weder erwartet noch gewollt wird. Und geben ihren eigenen Foto-postings Titel, die sie selbst bestimmen. Damit ergreifen sie eine Handlungsmacht über die Art und Weise ihrer eigenen Sichtbarkeit und Darstellung im öffentlichen Raum der digitalen Kultur.
Viele dieser Modest Fashion Influencerinnen stammen aus Großbritannien oder Nordamerika, doch auch solche aus der arabischen Welt oder Indonesien sind einflussreich. Von dort kamen die ersten Impulse und auch der Markt interessierte sich plötzlich für die muslimische Kaufkraft. So war es nicht überraschend, dass Kosmetik- und Modegiganten diese muslimischen Frauen mit Kopftuch als Werbeträgerinnen und Absatzmarkt entdeckten. Viele dieser Influencerinnen zierten die Titelbilder der größten englischsprachigen Modezeitschriften. Nur in Deutschland blieb es lange still und auch nur recht zögerlich fanden sich Berichte über diese Influencerinnen.
Hier tut man sich recht schwer mit komplexen Debatten rund um Zugehörigkeit und Sichtbarkeit. Diese Debatten kommen oft nicht in der Mitte der Gesellschaft an. Wir erinnern uns an die Kontroverse um die Frankfurter Ausstellung zur muslimischen Mode. Eine Wanderausstellung, die zuvor in den USA erfolgreich war, führte in Deutschland zur üblichen scharf politisierten Kontroverse um das Kopftuch – wobei viele Musliminnen mit Kopftuch versuchen, sich dieser Politisierung zu entziehen. Das allerdings ist, aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive betrachtet, höchst politisch. Hier wird eine Vereinnahmung und Zuschreibung abgewiesen. Dadurch wird Raum für Fragen geschaffen, die es innerreligiös zur Vielfalt muslimischer Lebensentwürfe immer wieder neu zu klären gilt. Dazu gehören auch Frauen, die das Kopftuch nicht tragen, es ablehnen oder dazu gezwungen werden. Auch diese Diskussionen finden online statt. Abseits von der alten Medienöffentlichkeit, die auch für diese Themen feste Schubladen vorsieht.
Die Vielfalt muslimischen Lebens wird sichtbar
Das deutsche Instagram hingegen wimmelt von Accounts muslimischer Frauen. Diese reichen von Aktivistinnen über LGBTQ+ Muslime, vegane Mipster, Tattoo-fans, Reisebloggerinnen bis hin zu reinen Lifestyle und Modeblogs. Comedy ist in Deutschland ebenfalls ein Medium in der Auseinandersetzung mit diesen Themen.
Dabei behandeln Musliminnen die verschiedenen Zugänge von Lifestyle, Mode, Musik, Sport oder Comedy sowohl Fragen in der Auseinandersetzung mit der Gesellschaft als auch innerreligiöse Diskurse und sogenannte Tabuthemen rund um Sexualität und individuelle Lebensführung. Deutlich sichtbar wird dabei die Vielfalt muslimischen Lebens. Was eine junge Muslimin möglicherweise nicht in einer Moschee fragen kann, weil sie etwa keine besucht oder weil das Vertrauen für solch ein Gespräch nicht besteht, das kann sie in der Anonymität des Internets ihre Peers fragen. Hier gibt es auch die Möglichkeit, die Diskussionen zu den Regeln des Islam neu zu verhandeln. Nicht selten geschieht das etwa in der Kommentarspalte zu einem Schminkvideo oder zu einem Modeposting. Heftig wird hier gestritten, aber auch Wissen vermittelt. Niemand moderiert. Meinungsbildung kann hier geschehen. Die Zukunft wird zeigen, wie sich das im realen Leben äußern wird.
In den vergangenen vier Jahren, in denen ich diesen Phänomenen nachgegangen bin, hat sich sehr viel verändert. Dies ist nicht zuletzt der Geschwindigkeit des Mediums und der rasanten technologischen Entwicklung geschuldet. Einige der Influencerinnen, auf die sich meine Forschung konzentriert, haben etwa das Kopftuch zwischenzeitlich abgelegt und bloggen weiter. Andere Trends sind entstanden, die sich dem Erkunden des muslimischen Selbst von allen denkbaren Perspektiven nähern.
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