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Tödlicher Einsatz in Mannheim

Polizisten müssen wenig befürchten

Tödlicher Einsatz in Mannheim: Polizisten müssen wenig befürchten
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Am 2. Mai 2022 starb Ante P. während eines Polizeieinsatzes am Mannheimer Marktplatz. Im Prozess gegen zwei Beamte zeichnen sich nun milde Urteile ab.

Nach fünf Verhandlungstagen erklärte der Staatsanwalt Michael Hager, er gehe davon aus, dass Ante P. an plötzlichem Herzversagen gestorben sei, die Polizeigewalt sei zwar in Teilen unverhältnismäßig, aber nicht todesursächlich.

Selten war das empörte Gemurmel im Saal 1 des Mannheimer Landgerichts so laut und anhaltend. An allen Tagen waren die Zuschauerreihen in dem fensterlosen, stickigen Sitzungssaal fast vollständig besetzt. Vor allem Familien und Kolleg:innen der Angeklagten waren gekommen sowie Menschen der Initiative 2. Mai, die den Prozess kritisch begleiteten.

Staatsanwalt Hager weicht in seinem Schlussvortrag deutlich von seiner ursprünglichen Anklage ab. Der Polizeihauptmeister Z. soll freigesprochen werden, der Oberkommissar J. eine Freiheitsstrafe für sechs Monate auf Bewährung erhalten. Das würde bedeuten, dass beide Polizisten im Dienst bleiben können.

Der 47-jährige Ante P. befand sich an jenem 2. Mai vor zwei Jahren in einer psychischen Ausnahmesituation und sollte stationär ins nahegelegene Zentralinstitut für seelische Gesundheit eingewiesen werden. Nachdem er sich von dort entfernte, bat sein behandelnder Arzt die Polizei der Innenstadtwache um Hilfe. Laut eigener Aussage forderte er die Beamten zur fürsorglichen Zurückhaltung auf. Er sah zwar Gefahr für eine Eigengefährdung für Ante P. gegeben, den er schon eine Weile behandelte, darüber hinaus beschrieb er seinen Patienten als nicht aggressiv. Trotzdem begann ab diesem Zeitpunkt die Situation zu eskalieren, denn Ante P. konnte in seinem psychischen Zustand den Anweisungen der Polizisten nicht mehr folgen und lief Richtung Marktplatz davon. Daraufhin setzte Polizist J. Pfefferspray ein, zu zweit brachten sie kurz darauf Ante P. zu Boden. Es folgten vier Schläge auf Ante P.s Kopf. Das Ganze spielte sich in belebter Umgebung und in unmittelbarer Nähe zu gut besuchten Straßencafés ab, so dass viele Menschen unfreiwillig Zeug:innen des Vorfalls wurden.

Zu Beginn der Verhandlung hatte Staatsanwalt Michael Hager Anklage gegen die beiden Beamten erhoben wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung sowie Körperverletzung im Amt mit Todesfolge und wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen. Grundlage dafür war das Gutachten der Rechtsmedizin Heidelberg. Doch mittlerweile bezieht er seine Strafmaßforderungen auf die Aussagen von zwei zusätzlichen rechtsmedizinischen Sachverständigen. Sie waren von der Verteidigung der beiden Polizisten beauftragt worden: Peter Betz, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Uni Erlangen, sowie die unabhängige Rechtsmedizinerin Kirsten Marion Stein. Vor allem das Fazit von Betz, der ein plötzliches Herzversagen als Todesursache für am wahrscheinlichsten hält, befindet der Staatsanwalt für plausibel. Wobei Betz die äußeren Umstände des Polizeieinsatzes nicht berücksichtigt. Woher beispielsweise das Blut in Ante Ps. Atemwegen kam, interessiert ihn in seiner Analyse nicht.

Gutachter:innen streiten über Todesursache

Kerstin Yen, Institutsdirektorin der Rechtsmedizin Heidelberg, betonte in ihren Ausführungen mehrmals, dass man immer die gesamten Fallumstände betrachten müsse. Deshalb kommt sie zu dem Schluss, dass die Todesursache von Ante P. der durch den Polizeieinsatz ausgelöste Stress und ein lagebestimmter Erstickungstod war. Dieser wurde ausgelöst durch mit Blut verstopfte Atemwege und eine ungünstige, die Atemwege zusätzlich eindrückende, Bauchlage die durch auf dem Rücken fixierte Hände verstärkt wurde.

Was sich durch den Prozess gut erkennen lässt, ist, dass rechtsmedizinische Gutachten immer einen Interpretationsspielraum bieten, denn es können selten exakte Aussagen getroffen werden. Ein Beispiel: Auf gezeigtem Videomaterial sieht man Ante P., wie er auf dem Bauch liegend unkoordiniert mit den Armen rudert und laut "Richter!, Richter!" ruft. Danach bleibt er regungslos liegen. Während Rechtsmedizinerin Stein von einem "massiven Wehren" spricht, interpretiert Yen das Geschehen als "Panik" und "Todeskampf".

Sowohl die Anwält:innen der Polizisten als auch die Anwälte der Nebenklägerinnen, Mutter und Schwester von Ante P., hatten gegen die Sachverständigen der jeweils anderen Seite Befangenheitsanträge gestellt.

Engin Sanli, Anwalt von Ante P.s Schwester, warf Rechtsmediziner Betz unter anderem vor, diskriminierende Äußerungen gegenüber dem Körpergewicht und der psychischen Krankheit des Verstorbenen Ante P. geäußert zu haben. Die Verteidigung der Polizisten wiederum unterstellte der Leiterin der Rechtsmedizin Heidelberg Kathrin Yen Parteilichkeit. In ihrem Gutachten hatte Yen das rechtsmedizinische Gutachten von George Floyd erwähnt. Floyd war im Mai 2020 in Minneapolis bei einem brutalen Polizeieinsatz erstickt. Der Vorsitzende Richter Rackwitz wies sämtliche Befangenheitsanträge ab.

Ausführlich ging es in dem Verfahren auch um die Stimmung am Mannheimer Marktplatz während des Einsatzes. Der Angeklagte J. sowie die meisten Polizist:innen sprachen in ihren Aussagen von "Schaulustigen" und einer aggressiven Stimmung gegen die Polizei. Zeug:innen aus der Bevölkerung sagten teilweise aus, Menschen hätten "Hört auf! Hört auf!" und "Bringt ihm Wasser" gerufen. Zur Sprache kam auch, dass die Reanimationsmaßnahmen erst erfolgten, als die Umstehenden drauf hinwiesen, dass Ante P. nicht mehr atme. Dennoch weist Staatsanwalt Hager in seinen Schlussausführungen darauf hin, dass die Angeklagten sich eventuell besser um Ante P. hätten kümmern können, wenn sich die Passant:innen zurückhaltender gezeigt hätten.

Ein ermittelnder Beamte vom Landeskriminalamt Stuttgart erklärte vor Gericht, er und seine Kolleg:innen hätten rekonstruiert, dass die zwei angeklagten Polizisten 5 Minuten und 21 Sekunden neben dem bewegungslosen Körper von Ante P. standen und nicht handelten. Trotzdem fordert Staatsanwalt Hager für den Angeklagten Polizeiobermeister Z. einen Freispruch und lässt seine ursprüngliche Anklage auf fahrlässige Tötung durch Unterlassen fallen.

Bewährung für gefährliche Körperverletzung

Im Fall des Oberkommissars J. möchte Staatsanwalt Hager ein Zeichen gegen sogenannte Schockschläge setzen. In manchen Fällen mögen die zulässig sein, führte er aus. Ante P. sei aber nicht steuerungsfähig und in der Wahrnehmung eingeschränkt gewesen und hätte besonderer Rücksicht und Nachsicht bedurft. Da Ante P. schon fixiert war, als die Schläge drei und vier auf ihn trafen, stuft er sie als nicht verhältnismäßig und daher als gefährliche Körperverletzung im Amt ein. Hager sagte, er erhoffe sich eine generalpräventive Abschreckungswirkung, indem er nun sechs Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung für den Angeklagten Oberkommissar J. fordert. Auch den Einsatz von Pfefferspray durch J. sieht der Staatsanwalt im vorliegenden Fall als nicht gerechtfertigt an.

Strafmildernd bewertet Staatsanwalt Hager den Hass, der anscheinend gegenüber den Angeklagten auf Social Media nach dem Einsatz erfolgte. Damit sei ihr Privatleben nach dem Ereignis schon ausreichend belastet. Es wurde extra eine Person eingesetzt, die in den sozialen Medien nach Hasskommentaren suchte. Zusätzlich strafmildernd schätzte Hager den späten Prozessbeginn ein und die dadurch entstandene Belastung für die Angeklagten.

Was bis dahin niemanden bei Gericht zu interessieren scheint, sind die Auswirkungen des Polizeieinsatzes auf die Angehörigen von Ante P.

Weshalb die beiden Angeklagten nicht ihre Bodycams angeschaltet hatten, obwohl sie die Stimmung am Marktplatz als aggressiv wahrnahmen, konnte nur unbefriedigend beantwortet werden. Laut Zeugenaussagen unterschiedlicher Polizisten werde das Einschalten der Bodycams in dynamischen Einsatzsituationen oft vergessen. Bodycams sollen allerdings gerade in dynamischen Situationen deeskalierend wirken, sind ausschließlich zum Schutz der Polizist:innen eingeführt worden und könnten in Zweifelsfällen wertvolle Antworten geben. In Baden-Württemberg sind Bodycams seit 2019 in allen Revieren im Einsatz. Auch der Hauptangeklagte J. trug eine – hatte sie aber nicht eingeschaltet.

Das Urteil wird für 1. März erwartet.

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