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Anastasias Jünger

Schetinin macht Schule

Anastasias Jünger: Schetinin macht Schule
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Eine Initiative namens ISKA veranstaltet geheime Seminare im deutschsprachigen Raum. Das Ziel: die Gründung freier Schulen auf Grundlage der völkisch-esoterischen Schetinin-Pädagogik aus Russland.

Jagsthausen, eine 1.800-Seelen-Gemeinde im Norden Baden-Württembergs, ist ein dörfliches Idyll. "Am grünen Ufer der Jagst sitzen, die Füße ins ewig dahinfließende Wasser und die Seele in die Freiheit baumeln lassen", poetisiert die Gemeinde im Netz. Jagsthausen ist beschaulich, hat Cafés und Gaststätten, Rad- und Wanderwege – und die Götzenburg. In der Burg hatte Götz von Berlichingen, der im schwäbischen Bauernkrieg kämpfte, seinen Sitz. Heute ist die Götzenburg das Wahrzeichen, alljährlich finden Burgfestspiele mit Tausenden Besucher:innen statt.

Am Morgen des 28. Januar ist die Gemeinde im Tiefschlaf. Es ist ein Sonntag und die Rollläden sind dicht, die Straßen leer. Am Bach ist leises Rauschen zu hören. Mit dem Sonnenaufgang fahren die ersten Autos durch das Tal. Es sind Autos aus der Region, aus Crailsheim, Heilbronn, Schwäbisch Hall. Einzelne tragen Kennzeichen aus Pforzheim und Stuttgart, Rüdesheim und Siegen. Auf den Autos kleben Sticker gegen die Corona-Impfung: "Zwangsimpfung? Nein, danke". Sie verlassen die Hauptstraße und fahren über einen schmalen Weg zu einem Aussiedlerhof der Gemeinde. Das Ziel: ein Café. Es ist geschlossen – doch an der Eingangstür hängt ein Zettel mit der Aufschrift "ISKA Tagesseminar".

Eine "private Initiative"

Die Abkürzung ISKA steht für "Internationale Schul-, Sport- und Kultur-Akademie". Der Name klingt seriös und erweckt den Eindruck, eine staatliche Institution mit wissenschaftlicher Expertise zu sein. Doch im Netz erklärt die ISKA, sie sei eine "private Initiative" und beabsichtige, "ein neues Bildungssystem" im deutschsprachigen Raum "zu den Menschen zu bringen." Das Impressum nennt ein Postfach in der oberbayerischen Provinz. Die ISKA veranstaltet Tagesseminare und zweiwöchige "Intensiv-Seminare". Der Besuch eines Tagesseminars ist die Voraussetzung, um ein "Intensiv-Seminar" besuchen zu dürfen.

Die ISKA schwärmt im Netz, sie könne den Inhalt der Seminare "schwer in Worte fassen, man muss ihn erleben". Seminare werden in Deutschland, Österreich und der Schweiz angeboten, kürzlich soll eine Veranstaltung in Spanien stattgefunden haben. Was die Einladungen zu den Seminaren verbindet: Die ISKA nennt niemals einen exakten Veranstaltungsort. Sie schreibt lediglich: "Raum Hamburg", "zwischen München und Augsburg" oder "Schwarzwald". Eine Anfrage, warum die Orte im Verborgenen bleiben, lässt die Initiative unbeantwortet.

Auch in der Einladung zum Tagesseminar vom 28. Januar hatte die Initiative angekündigt, das "private Seminar" werde im "Raum Heilbronner Land" stattfinden. "Der genaue Ort wird kurz vor Beginn bekannt gegeben und ist auch gut mit dem Zug erreichbar." Tatsache ist: Der nächstgelegene Bahnhof ist rund 15 Kilometer entfernt. Das Seminar, empfohlen auch für Kinder ab neun Jahren, kostete 120 Euro für Erwachsene, 45 Euro für Kinder. Hinzu kam ein "Mitgliedsbeitrag". Denn: Wer das Seminar besuchen wollte, musste ISKA-Mitglied werden. Die Privatinitiative hatte in der Einladung gebeten, die Summe "in bar vor Ort zu begleichen". Das Tagesseminar, das um 9 Uhr begann und am frühen Abend endete, sollte ein "Bildungsforschungstag" sein. Es hieß, die Veranstaltung sei "ideal", um "einen ersten Eindruck" von der Schetinin-Pädagogik zu bekommen.

Die Schetinin-Pädagogik

Michail Petrowitsch Schetinin, 1944 im Nordkaukasus geboren, studierte Musik an der Staatlichen Universität Saratow und wurde Leiter einer Musikschule in Dagestan. Mit Anfang 30 trat Schetinin in die Kommunistische Partei der Sowjetunion ein. Er gründete mehrere Schulen und experimentierte mit pädagogischen Methoden. So entstand 1993 eine Schule in Tekos, einem russischen Dorf am Schwarzen Meer. Das Internat trug den Namen "Internats-Lyzeum zur komplexen Persönlichkeitsbildung von Kindern und Jugendlichen". Das pädagogische Konzept: Die Kinder sind Schüler:innen und Lehrer:innen zugleich. Es gibt weder Lehrpersonal noch Schulfächer im klassischen Sinne. In einer Broschüre des Internats, erschienen 2019, wird erklärt, "ethnokulturelle Erziehung" und "Körperkultur" samt "russischer Kampfkunst" seien Elemente der kindlichen "Persönlichkeitsbildung".

Ohne Umschweife schreibt das Internat, das "Hauptziel" der Schule sei die "geistige Wiederbelebung Russlands, der Dienst am Vaterland, der Dienst am Menschen". Ein russischer Admiral wird mit den Worten zitiert, die Schüler:innen des Internats seien "der Stolz der Nation" und "ein goldener Genpool". Ein ehemaliger Verteidigungsminister Russlands sieht in den Schüler:innen die "Verteidiger des Vaterlandes". Trotz alledem wurde die Schule geschlossen, unter anderem wegen Brandschutzmängeln. Das war Mitte 2019, Schetinin starb Ende 2019. Bis heute sehen seine Anhänger:innen im "Internats-Lyzeum" das Ideal einer freien Schule. Doch Fakt ist: Das Lyzeum war keine freie, sondern eine staatliche Schule und wurde aus dem Staatshaushalt Russlands finanziert. Stolz hebt das Internat in der Broschüre hervor, der russische Präsident Wladimir Putin habe die Schule "persönlich unterstützt".

Anastasia und die autarken "Familienlandsitze"

Die ISKA strebt im deutschsprachigen Raum an, freie Schulen mit der Schetinin-Pädagogik zu gründen. In Anbetracht des Seminars in Jagsthausen macht das baden-württembergische Ministerium für Kultus, Jugend und Sport deutlich, derartige Schulgründungen seien in Baden-Württemberg "nicht möglich". Denn Schule habe die Aufgabe, Schüler:innen ein "offenes und umfassendes Weltbild zu vermitteln".

Bekannt wurde die Schetinin-Pädagogik durch die zehnteilige Anastasia-Buchreihe des russischen Autors Wladimir Megre. In den Büchern werden antidemokratische und antisemitische Erzählungen verbreitet. Die Romanfigur Anastasia, die in der sibirischen Taiga lebt, predigt die Gründung autarker "Familienlandsitze". Auf Basis von Selbstversorgung, im Einklang mit der Natur. Längst ist eine Anastasia-Szene in Deutschland entstanden. Anhänger:innen der Szene haben etliche "Landsitze" gegründet.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz sieht in der Anastasia-Szene einen rechtsextremen Verdachtsfall. Denn sie versuche, "kleinere Gebiete zu vereinnahmen, um sich Rückzugsräume zu schaffen, in denen sie ungestört mit Gleichgesinnten ihre völkisch-nationalistischen Vorstellungen leben" könne. Die Anastasia-Szene erlebte im Zuge der Corona-Pandemie einen starken Zulauf. Wie eng die Ideen der Szene mit dem Querdenken-Milieu verbunden sind, konnte jüngst in Jagsthausen beobachtet werden: Nach Kontext-Recherchen leitete Livia von A. aus Sachsen-Anhalt das ISKA-Tagesseminar. Sie ist Ernährungscoach und Pilates-Trainerin, ihr Instagram-Profil zeigt Fotos bunter Salate und frischer Obstshakes. Während der Pandemie war sie in der Initiative "Aus Distanz wird Verbundenheit" in Naumburg/Saale aktiv und demonstrierte gegen die Anti-Corona-Politik der Bundesregierung. Auf einer Demonstration, die sich gegen die Maskenpflicht in Schulen richtete, teilte sie mit Querdenken-Anwalt Ralf Ludwig die Bühne.

Die Querdenken-Partei "Die Basis" mittendrin

In der Pandemie entstand die Basisdemokratische Partei Deutschland (Die Basis). Die Partei lehnte die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie ab, bis heute ist sie im Querdenken-Milieu verankert. Im Mai 2023 geriet die Partei in die Schlagzeilen: Johanna Findeisen-Juskowiak, "Die Basis"-Kandidatin zur Bundestagswahl 2021 in der Bodenseeregion, wurde aufgrund des Verdachts, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein, festgenommen. Sie soll die "Reichsbürger"-Gruppierung Patriotische Union um Prinz Reuß unterstützt haben. Im November 2023 starteten "Die Basis"-Mitglieder eine Kampagne, um die Beschuldigte in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Schwäbisch Gmünd zu unterstützen. Die Mitglieder schrieben, die Haft sei "existenzvernichtend und zermürbend", und baten um Briefkontakt und Geldspenden.

"Ihr wollt mit uns sprechen, euch austauschen oder uns mal kennen lernen?? Kein Problem!", schrieb der Heilbronner Kreisverband der Partei Die Basis im Juni 2022 in den sozialen Netzwerken. Der Ort des Austauschtreffens: Jenes Café in Jagsthausen, wo nun das ISKA-Tagesseminar stattfand. Die Betreiberin des Cafés, Martina M. aus Jagsthausen, ist laut Webseite des Heilbronner Basis-Kreisverbands die Sprecherin des Ortsverbands "Unteres Jagsttal". Auf Anfrage erklärt M., die aktuell für die "Freien Bürger" im Gemeinderat von Jagsthausen sitzt, sie könne zur Partei "nichts sagen", sie sei "nicht mehr aktiv". Warum das ISKA-Tagesseminar im Café stattfand? M. schreibt, das Café sei dauerhaft geschlossen. Aber: Man könne ihre Räume anmieten. Es fänden Geburtstagsfeiern dort statt, aber auch Vorträge über Höhlenforschung und Zahnheilkunde. Die Anmietung der ISKA, die mit der Schetinin-Pädagogik die Gründung illegaler Mini-Schulen bewirbt, sei ein ganz "normaler Geschäftsvorgang" gewesen.

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