Jagsthausen, eine 1.800-Seelen-Gemeinde im Norden Baden-Württembergs, ist ein dörfliches Idyll. "Am grünen Ufer der Jagst sitzen, die Füße ins ewig dahinfließende Wasser und die Seele in die Freiheit baumeln lassen", poetisiert die Gemeinde im Netz. Jagsthausen ist beschaulich, hat Cafés und Gaststätten, Rad- und Wanderwege – und die Götzenburg. In der Burg hatte Götz von Berlichingen, der im schwäbischen Bauernkrieg kämpfte, seinen Sitz. Heute ist die Götzenburg das Wahrzeichen, alljährlich finden Burgfestspiele mit Tausenden Besucher:innen statt.
Am Morgen des 28. Januar ist die Gemeinde im Tiefschlaf. Es ist ein Sonntag und die Rollläden sind dicht, die Straßen leer. Am Bach ist leises Rauschen zu hören. Mit dem Sonnenaufgang fahren die ersten Autos durch das Tal. Es sind Autos aus der Region, aus Crailsheim, Heilbronn, Schwäbisch Hall. Einzelne tragen Kennzeichen aus Pforzheim und Stuttgart, Rüdesheim und Siegen. Auf den Autos kleben Sticker gegen die Corona-Impfung: "Zwangsimpfung? Nein, danke". Sie verlassen die Hauptstraße und fahren über einen schmalen Weg zu einem Aussiedlerhof der Gemeinde. Das Ziel: ein Café. Es ist geschlossen – doch an der Eingangstür hängt ein Zettel mit der Aufschrift "ISKA Tagesseminar".
Eine "private Initiative"
Die Abkürzung ISKA steht für "Internationale Schul-, Sport- und Kultur-Akademie". Der Name klingt seriös und erweckt den Eindruck, eine staatliche Institution mit wissenschaftlicher Expertise zu sein. Doch im Netz erklärt die ISKA, sie sei eine "private Initiative" und beabsichtige, "ein neues Bildungssystem" im deutschsprachigen Raum "zu den Menschen zu bringen." Das Impressum nennt ein Postfach in der oberbayerischen Provinz. Die ISKA veranstaltet Tagesseminare und zweiwöchige "Intensiv-Seminare". Der Besuch eines Tagesseminars ist die Voraussetzung, um ein "Intensiv-Seminar" besuchen zu dürfen.
Die ISKA schwärmt im Netz, sie könne den Inhalt der Seminare "schwer in Worte fassen, man muss ihn erleben". Seminare werden in Deutschland, Österreich und der Schweiz angeboten, kürzlich soll eine Veranstaltung in Spanien stattgefunden haben. Was die Einladungen zu den Seminaren verbindet: Die ISKA nennt niemals einen exakten Veranstaltungsort. Sie schreibt lediglich: "Raum Hamburg", "zwischen München und Augsburg" oder "Schwarzwald". Eine Anfrage, warum die Orte im Verborgenen bleiben, lässt die Initiative unbeantwortet.
Auch in der Einladung zum Tagesseminar vom 28. Januar hatte die Initiative angekündigt, das "private Seminar" werde im "Raum Heilbronner Land" stattfinden. "Der genaue Ort wird kurz vor Beginn bekannt gegeben und ist auch gut mit dem Zug erreichbar." Tatsache ist: Der nächstgelegene Bahnhof ist rund 15 Kilometer entfernt. Das Seminar, empfohlen auch für Kinder ab neun Jahren, kostete 120 Euro für Erwachsene, 45 Euro für Kinder. Hinzu kam ein "Mitgliedsbeitrag". Denn: Wer das Seminar besuchen wollte, musste ISKA-Mitglied werden. Die Privatinitiative hatte in der Einladung gebeten, die Summe "in bar vor Ort zu begleichen". Das Tagesseminar, das um 9 Uhr begann und am frühen Abend endete, sollte ein "Bildungsforschungstag" sein. Es hieß, die Veranstaltung sei "ideal", um "einen ersten Eindruck" von der Schetinin-Pädagogik zu bekommen.
Die Schetinin-Pädagogik
Michail Petrowitsch Schetinin, 1944 im Nordkaukasus geboren, studierte Musik an der Staatlichen Universität Saratow und wurde Leiter einer Musikschule in Dagestan. Mit Anfang 30 trat Schetinin in die Kommunistische Partei der Sowjetunion ein. Er gründete mehrere Schulen und experimentierte mit pädagogischen Methoden. So entstand 1993 eine Schule in Tekos, einem russischen Dorf am Schwarzen Meer. Das Internat trug den Namen "Internats-Lyzeum zur komplexen Persönlichkeitsbildung von Kindern und Jugendlichen". Das pädagogische Konzept: Die Kinder sind Schüler:innen und Lehrer:innen zugleich. Es gibt weder Lehrpersonal noch Schulfächer im klassischen Sinne. In einer Broschüre des Internats, erschienen 2019, wird erklärt, "ethnokulturelle Erziehung" und "Körperkultur" samt "russischer Kampfkunst" seien Elemente der kindlichen "Persönlichkeitsbildung".
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