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SUV-Gebühren

Unüberbietbar treffsicher

SUV-Gebühren: Unüberbietbar treffsicher
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Sie verstopfen die Innenstädte und torpedieren alle Klimaziele. Dabei könnten SUVs schon nach jetzigem Recht ordentlich zur Kasse gebeten werden. Tübingen hat's vorgemacht, Paris zieht nach und Österreich verdient sogar beim Kauf kräftig mit.

Die gute Nachricht zuerst: Es gibt viele Stadtpanzer von den üblicherweise verdächtigen Herstellern, die dürfen, weil schwerer als 2,8 Tonnen, auf bestimmten Plätzen überhaupt nicht parken: auf Gehwegen nämlich, die normalen PKWs dank eines weißen P auf blauem Grund offenstehen. Die Regel ist uralt, kommt aber immer häufiger zur Anwendung, weil SUVs immer schwerer werden. Einschlägige Portale, von "Auto-Bild" über "Focus" bis hin zu "auto-motor-sport", ergänzen regelmäßig unter Krokodilstränen die Liste betroffener Modelle. Die schlechte Nachricht: Wer 100.000 oder noch mehr Euro hinblättert für ein Vehikel, kann die Parkknöllchen natürlich locker bezahlen.

Ohnehin belegt die seit mehr als einem Vierteljahrhundert anhaltende SUV-Erfolgsgeschichte – 1997 brachte Mercedes seine erste M-Klasse auf den Markt –, dass Geld offenkundig keine Rolle spielt für Halter:innen solcher Fahrzeuge. Sonst hätten sich nicht immer mehr, immer protzigere und immer teurere Varianten durchgesetzt. Im Jahr 2023 wurden in Deutschland 856.000 SUVs neu zugelassen, zehn Prozent mehr als 2022. Nur noch 70 Prozent aller Autos insgesamt sind keine Sports Utility Vehicles, Tendenz weiter sinkend.

Daran werden die Parkgebühren für Anwohner:innen in Tübingen nichts ändern, die mit ihrem fahrbaren Untersatz so viel mehr Platz benötigen als Normalos. Und die 18 Euro pro Stunde, die Nicht-Pariser:innen in der französischen Hauptstadt ab September herausrücken müssen, ebenso wenig. Daran ändert auch nichts, dass Österreich schon seit 1992 eine europarechtsfest ausgestaltete Zulassungssteuer oder Normverbrauchsabgabe (NoVA) erhebt, die neben den 20 Prozent Mehrwertsteuer noch einmal mit rund zehn Prozent vom Kaufpreis zusätzlich zu Buche schlägt. Dennoch steigen bei den Nachbarn – wie in ganz Europa – die Zulassungszahlen immer weiter an.

Stadt, Land, Fluss leiden unter rollenden Blechbergen

Immerhin, hohe Gebühren und Steuern spülen zumindest einige Einnahmen in die öffentlichen Haushalte: etwa für Straßen-, Brücken- oder Gehwegsanierungen. So wird wenigstens teilweise die Allgemeinheit entlastet, die seit langer Zeit, ohne ernsthaft aufzubegehren, mitzahlt für die von den dicken Autos verursachten Schäden auf der Erde, zu Wasser und in der Luft.

Erst zur Weltklimakonferenz vor wenigen Wochen in Dubai hatte Greenpeace eine Studie vorgelegt, nach der die drei größten Hersteller der Welt – Toyota, Volkswagen und Hyundai-Kia – sämtliche Klimaversprechungen reißen und stattdessen "die Welt weiterhin mit SUVs überschwemmen". Der SUV-Boom mache die Klima-Fortschritte der Firmen zunichte und müsse gestoppt werden, heißt es da. Und dass die Fehlentwicklungen im Verkehr "hauptverantwortlich für den langsamen Rückgang des Ölverbrauchs in Deutschland sind". Ändert sich an diesem schleppenden Tempo nichts, werde der fossile Energieträger erst 2120 von den Straßen hierzulande verschwunden sein.

Diese und andere negativen Folgen sind hinlänglich erwiesen, seit sich die M-Klasse-Verantwortlichen bei Mercedes Ende der Neunziger Jahre allzu unverhohlen freuten über die Entwicklung eines stattlichen Gefährts für Jäger, Ranger und Förster ("Mit permanentem Allrad-Antrieb und der Robustheit eines Geländewagens"). Gekauft wurde es insbesondere von Leuten aus der Stadt. Nicht einmal, dass in altehrwürdigen Villen auf dem Stuttgarter Killesberg, an der Gänsheide oder anderswo auf der Halbhöhe erst einmal Garagen umgebaut oder an heiklen Stellen zur Vermeidung von Kratzern mit Schaumstoff ausgekleidet werden mussten, konnte den Siegeszug hemmen.

Florida-Rolfs auf Rädern

Gerade die Anfangsjahre zeigten exemplarisch, wie Bedürfnisse überhaupt erst geweckt werden, um sie dann mit immer größeren Nachfolgemodellen zu befriedigen. Auch der inzwischen 60 Jahre alte Porsche 911 soll mehr zum Selbstwertgefühl oder zum Superman-Image beigetragen haben als ein Opel Manta. Er war aber nicht familientauglich, SUVs sind es schon. So manche Schule musste ein Vorfahrverbot erlassen, weil der Platz am Eingang viel zu knapp bemessen ist für aufwändige Rangiermanöver. Andere Minuspunkte wollten und wollen ebenfalls nicht verfangen, weil Ursache und Wirkung mutwillig verwechselt werden: Bei einem Tiefgaragentest des ADAC fielen 2017 nicht Autos als zu breit und zu lang durch, sondern elf von 60 Garagen mit zu engen Buchten.

Überhaupt ist im Umgang mit den protzigen Teilen einiges verrückt oder von Anfang an gar nie richtig eingetütet worden. Wochenlang hat sich der Boulevard vor 20 Jahren mit Florida-Rolf befasst, einem deutschen Immobilienmakler und Opfer des amerikanischen Gesundheitssystems. Irgendwann waren seine Ersparnisse weg, er beantragte staatliche Hilfe und wurde auch dank der Breitseiten von BILD berühmt als "Sozialschnorrer" und für viele ein Hassobjekt.

Die Klimaschnorrer waren da schon munter unterwegs auf deutschen Straßen. Der neue Lexus kostete damals im Basismodell mit 200 PS knapp 50.000 Euro. Im erblühenden Internet tauchten die ersten Ratgeber für potenzielle Käufer:innen auf: "Welcher SUV-Typ bist Du?" Besonders dicke Varianten würden von Menschen gekauft, die "auffallen, angeben und sich abgrenzen, die eigentlich ganz genau wissen, dass diese Fahrzeuge ganz und gar nicht umweltfreundlich sind, aber es ist ihnen egal", heißt es bis heute unter www.suv-cars.de.

Vorbild Tübingen: schwerer wird teurer

Seit dem Anfang Februar veranstalteten Bürger:innen-Entscheid in Paris zugunsten herzhafter Parkgebühren für megagroße Modelle sprießen – spät genug – selbst in der Bundesrepublik Ideen, Autofahrer:innen stärker an den Folgekosten ihrer Kaufentscheidung zu beteiligen. Übrigens keineswegs nur jene von SUVs. In der französischen Hauptstadt wird die Grenze bei 1,6 Tonnen liegen. Noch vor 30 Jahren hätten viele Mittelklasse-Wagen dieses Gewicht niemals erreicht, inzwischen wird sogar ein Golf, der bei seiner Einführung 800 Kilogramm wog, in der aktuellen Variant-Ausstattung an dieser Grenze kratzen.

In Tübingen wollte Oberbürgermeister Boris Palmer bei Anwohner:innen mit dicken Autos besonders zuschlagen. Rechtssicher gültig wurde schlussendlich ein Kompromiss nach Gewicht, den andere Städte kopieren möchten. Überzeugend ist das Vorgehen schon allein wegen seiner unüberbietbaren Treffsicherheit, weil tatsächlich nur Betuchtere auch mehr bezahlen müssen.

Bisher keine gesetzliche Grundlage gibt es hingegen dafür, SUVs gänzlich aus bestimmten Bereichen zu verbannen und zu den Regelungen vor 1966 zurückzukehren. Damals war es überhaupt untersagt, Autos dauerhaft im öffentlichen Raum abzustellen. Einen entsprechenden Schritt ging die Stadt Wien, nachdem alle Versuche, mit Umlandgemeinden zu einer sinnvollen Pendler:innenlösung zu kommen, nicht fruchteten. Seit März 2022 gibt es nur noch Kurzparkzonen. Nach zwei Stunden gilt: Parken verboten. ÖPNV-Alternativen sind hochbegehrt und gut frequentiert.

Viele Umweltexpert:innen sind sicher, dass ohnehin irgendwann großflächige Verbote in europäischen Innenstädten drohen, wenn Temperaturen immer weiter steigen und es sogar im Frühling und Herbst unerträglich heiß wird. Die Zeit drängt auch deshalb, ordnungspolitisch unter Erweiterung der Möglichkeiten durch die Straßenverkehrsordnung zuzuschlagen, weil Gewohnheitstiere am Steuer sitzen. "Der Verkehrsmittelnutzung liegt ein stark habitualisiertes Verhalten zugrunde", heißt es in einer umfangreichen Dissertation zum komplizierten Thema.

Wie darin ausgeführt, würden in Entscheidungssituationen nicht jedes Mal alle relevanten Informationen neu eingeholt und gegenübergestellt, sondern es werde häufig auf gewohnte Verhaltensweisen zurückgegriffen. Das wiederum bedeute, "die Veränderung des Verkehrsverhaltens erfolgt nur sehr langsam". Dabei ist ein guter Rat ganz kostenlos: Der vernunftbegabte homo sapiens checkt erst einmal, welche individuellen Mobilitätsbedürfnisse denn tatsächlich bestehen und welches Auto – wenn überhaupt – dazu passt. Eine Revolution auf deutschen Straßen wäre ausgelöst. Auch und gerade im Stuttgarter Talkessel mit seinem hohen SUV-Besatz.

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5 Kommentare verfügbar

  • NKs
    am 21.02.2024
    Antworten
    Kann mich den Vorrednern nur anschließen. Ds die Fahrzeuge mittlerweile zuuu groß sind - keine Frage. Das muss man wirklich kritisch hinterfragen.

    Ich hatte mal einen Nissan Quashqai als Mietwagen und war sehr zufrieden. Wenn ich mir jemals wieder ein Auto kaufen würde, dann den. Warum: Die…
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