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VfB, Geld und Hoffnung

Presidente

VfB, Geld und Hoffnung: Presidente
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VfB-Präsident Claus Vogt hat in der vergangenen Woche die Diskussion um Investoren im deutschen Profifußball neu befeuert. Unser Kolumnist kommentiert.

Als ich am Mittwoch der vergangenen Woche nach dem Aufwachen gegen 11:45 Uhr meine Zahnschienen reinigte, überlegte, wie viel Mikroplastik dieser Malmschutz wohl über die Jahre in meinem Körper ablagern würde, und nebenher das iPhone checkte, da war es punktgenau 11:55 Uhr, als der Tweet des VfB-Präsidenten Claus Vogt aufploppte. Es war genau fünf vor zwölf! Mir war gleich klar, dass der Schlawiner diesen Zeitpunkt ganz bewusst gewählt hatte, um ein Statement rauszuhauen, mit dem immerhin mal etwas Schwung reinkam in die dumme Situation, in der sich der deutsche Fußball befand. Die verhärteten Fronten, organisierte Fanszene und Ultras auf der einen, Funktionäre und Verband auf der anderen Seite, mussten sich jetzt bewegen, zumindest pro forma bewegen.

Der Präsident (e.V.) und Aufsichtsratsvorsitzende (AG) des VfB Stuttgart hatte sich in besagtem Tweet für eine Wiederholung der Abstimmung über den Einstieg eines Investors in der Deutschen Fußball Liga (DFL) ausgesprochen. "Unser Verständnis von Demokratie – auch im Fußball – sollte sein: Die Mehrheit entscheidet", schrieb Vogt. "Kann aber nicht sichergestellt werden, dass ein demokratisch zustande gekommenes Abstimmungsergebnis korrekt ist, sollte man im Sinne der Demokratie und im Sinne unseres Fußballs miteinander diskutieren, ob eine erneute, transparente Abstimmung aller 36 Vereine in der DFL notwendig ist. Ich meine: ja, es ist notwendig! (…)"

Und jetzt? Was machen wir mit diesem Statement, seit dessen Absonderung Fußball-Deutschland kaum ein anderes Thema hat? Kein Tag vergeht, an dem sich Fanorganisationen und Funktionäre nicht mit heißer Luft bewerfen, kein Spiel ohne Unterbrechungen, weil aus den Kurven Tennisbälle, Schokotaler und andere Dinge aufs Spielfeld fliegen. Warum also das Statement des VfB-Präsidenten?

Macht er das, um sich bei den Ultras einzuschleimen? Will er mit populistischen Aktionen verhindern, dass die neuen Porsche-Investoren beim VfB ihn als Aufsichtsratsboss absägen? Will er einfach nur mal wieder ins Licht, vor die Kameras und Mikrofone, quasi Profilneurose? Was meinen denn die anderen Präsidiumsmitglieder des VfB, was meint der Aufsichtsrat, ducken sich alle wieder hinter dem Präsi ab? Und überhaupt, jetzt hat der großartige VfB, das künftige Rückgrat der deutschen Nationalmannschaft, doch grade mit Ja gestimmt, also für den Einstieg eines Investors in die DFL. Warum also jetzt noch mal abstimmen? Geht es ihm am Ende etwa gar nicht um sein eigenes Fortkommen – sondern geht es ihm gar, großes Wort, um den deutschen Fußball?

Was erlaube Fans?

Nun kann man durchaus argumentieren, dass die Leute in den Kurven, die mit Tennisbällen und Schokotalern Spiele unterbrechen, ja wohl den Arsch offen haben. Was erlaube Fans? Noch dazu die auf den subventionierten Plätzen, die, frei nach U. Hoeneß, nur so wenig kosten können, weil die Business- und Logentickets so teuer sind. Der Rest der Menschen im Stadion hat für das Ticket richtig gezahlt, und jetzt verhindern ein paar, noch dazu häufig vermummte Affen in der Kurve, dass gekickt wird? Mal abgesehen davon, was das für eine Außenwirkung hat. Wer soll denn da noch Milliarden zahlen für TV-Rechte, wenn es immer nur Stress gibt? Sind diese Aktionen nicht erst recht schädlich, wo der deutsche Fußball, nun ja, nicht nur sportlich schon bessere Zeiten gesehen hat? Sieht noch irgendwer die Kinder draußen auf der Straße kicken, den Ball gegen das Garagentor bis es dunkel wird? Was sollen die wenigen Kids, die noch kicken, denn denken, wenn sie die ständigen Proteste und Unterbrechungen sehen, die aufgeladene Atmosphäre, die Vermummten? Muss man nicht unterstellen, dass eine riesengroße Mehrheit einfach Fußball sehen will, guten, emotionalen Fußball, einen Sport, ein Spiel ihrer geliebten Mannschaft, gute Unterhaltung? Und dann kommen die Kurvenjungs und erheben sich wegen ihrer Choreos und Zaunfahnen und angeblich absoluten Meinung zum Bestimmer und Besitzer des Fußballs?

Da sollte man doch meinen, dass die DFL, dass die Clubs es schaffen, solche Proteste zu unterbinden. Wer Tennisbälle schmeißt, fliegt raus. Wer was ins Stadion schmuggeln will, wird kontrolliert und erwischt und fliegt raus. Schmeißt in England irgendwer Sachen aufs Spielfeld? Not that I know.

Was erlaube Kind?

Andererseits: Bei uns im Fußball geht's nur noch ums Bescheißen. Spieler schinden Elfmeter und simulieren, es geht nur noch darum, wer die meiste Kohle verdient, es geht schon lange nicht mehr darum, möglichst guten Sport zu bieten, möglichst gute Unterhaltung. Deshalb wird halt auch die Entscheidung pro Investor bei der DFL einfach herbeschissen, wenn es sein muss. Da wird eine offene, transparente Abstimmung angekündigt, und kurz vor dem Tagesordnungspunkt kommt ein Antrag auf geheime Abstimmung, Mehrheit nimmt an und es wird geheim abgestimmt. Hinterher sagen alle, wie sie abgestimmt haben – aber Martin Kind von Hannover 96 sagt es nicht. Und hat ganz offensichtlich mit Ja gestimmt, obwohl sein Verein qua Mitgliederbeschluss mit Nein stimmen wollte. Also hat Kind hier möglicherweise beschissen äh das Recht gebeugt – und die DFL sagt, die Abstimmung sei in Ordnung und es gebe keine zwei Meinungen.

Da sag ich doch, da regen sich die Leute in den Kurven völlig zu Recht auf. Da reg ich mich ja selbst drüber auf. Da weiß ich doch, dass das weiter eskaliert. Dass auf Unterbrechung Abbruch folgt und Wiederholung und noch mal Abbruch und dann vielleicht Spiele ohne Publikum. Und das soll es dann sein? Da hat Claus Vogt doch recht, wenn er wenigstens versucht, den Entscheidungsprozess mit einer nochmaligen Abstimmung transparent zu machen.

Warum kein DFL-Genussschein?

Ob die Entscheidung pro Investor nun, wie auch "mein" VfB beziehungsweise dessen abstimmende Funktionäre meinen, richtig ist, darüber kann ja jeder meinen, was er will. Den genauen Wortlaut der entsprechenden Vertragswerke kennt bislang eigentlich niemand, und warum sollte ein solches Vertragswerk auch öffentlich sein? Vielleicht wäre ein Investor, der sich mit Medienrechten auskennt, besser geeignet als eine US-amerikanische Heuschrecke. Telekom statt Blackstone also. Oder Paramount+ statt CVC. Auch wenn die Frage berechtigt ist, warum die reiche DFL mit ihren vielen Mitarbeitenden das nicht auch ohne fremde Heuschreckenhilfe hinbekommt mit der Internationalisierung, Digitalisierung oder was sie da konkret machen wollen. So ganz genau wissen die das womöglich selbst noch nicht. Aber dass solche Dinge entschieden werden wie der Eurovision Song Contest, das ist ja nun auch keine Lösung. Die "Fans" stimmen ab, und die Präsidenten verkünden dann jeweils "Blackstone: 10 points" usw. und das live in der ARD zur Primetime.

Wenn tatsächlich eine ausreichende Zahl von Clubs gegen einen Investor ist, dann können die ja demnächst auch noch mal entsprechend abstimmen. Wenn nämlich der Einstieg geregelt ist, muss dafür die Satzung der Liga geändert werden. Und dafür muss eine erneute Abstimmung her. Hier dann den Deal durchfallen zu lassen, nachdem man sich bis dahin weggeduckt hat, wäre freilich ziemlich schäbig und geradezu unsportlich. Aber derartiges Verhalten ist ja nun im Profifußball alles andere als eine Ausnahme.

Sollte aber wie erwartet der Deal durchgehen, ob mit oder ohne nochmalige, transparente Abstimmung, ob mit oder ohne ESC-Verkündungsmodus, dann muss er auch gegen mögliche weitere Proteste durchgesetzt werden. Dann haben wir bald englische Verhältnisse, und wer das anders sieht und sich anders verhält, der kann dann eben nicht mehr zum Fußball gehen. Nachdem aber angeblich alle Kurven und noch viel mehr Fans einer Meinung sind, nämlich, dass wir keinen Investor brauchen – wäre es da nicht ein Ding, wenn all diese Leute einmalig 100 Euro zahlen, quasi DFL-Genussschein? Dann käme womöglich noch mehr rein als eine schäbige Milliarde.

Dass Claus Vogt seine Botschaft um 11:55 Uhr versendet hat, heißt immerhin: Es ist noch ein bissle Hoffnung. Ansonsten hätte der Presidente seinen Tweet ja auch erst um 12:05 Uhr versenden können.

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