KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Herren-Fußball-EM

Kantersieg, Titeltraum

Herren-Fußball-EM: Kantersieg, Titeltraum
|

Datum:

Die Gruppen zur EURO 2024, der Fußball-Europameisterschaft der Herren, sind ausgelost. Zeit für ein bisschen Optimismus.

Dass Irland sich nicht für die EURO 2024, die Fußball-Europameisterschaft der Herren im kommenden Jahr in Deutschland, qualifizieren konnte, ist schade. So viele traurig, schaurig schöne Bezüge zur jüngst verstorbenen Punk- und Songschreiberlegende Shane MacGowan wären da drin gewesen. Denn natürlich war der Sänger der Band The Pogues ein Fußballfan, der sich schon rein optisch – und was den Alkoholabusus angeht – nahtlos in die Schar der zahnlosen Hardcorefans des, sagen wir mal, SV Waldhof Mannheim hätte einreihen können. Und zeitlebens bedauerte er es, dass "sein" Irland nur so wenige Einwohnerinnen und Einwohner hatte. Mit acht statt drei Millionen Menschen – was hätte Irland für ein tolles Nationalteam haben können. Dies und vieles mehr übrigens nachzuschauen im feinen Portrait "Crock of Gold. A few rounds with Shane MacGowan" von Julien Temple in der Arte-Mediathek, das allen Lebenden anzuschauen wärmstens empfohlen sei.

Fähnchen raus, Schland again

Als würdigen Ersatz für trinkfreudige Iren haben wir im Rahmen der am Wochenende in der Hamburger Elbphilharmonie vollzogenen Auslosung der Gruppen für die EURO 2024 dann die Schotten bekommen, deren Regierungschef zur Freude deutscher Tourismusbeauftragter gleich mal ankündigte, es würden mindestens 150.000 seiner Landsleute zum Turnier nach Deutschland reisen und München schon vor Anpfiff des Eröffnungsspiels gegen Deutschland komplett leersaufen. Letzteres, das mit dem Leersaufen, hat er, ums korrekt zu zitieren, nicht gesagt. Aber hey, es sind die Schotten, es werden sehr viele Schotten kommen. Und Schottinnen natürlich. Und die saufen nicht nur wie die Ir(r)en, sondern ebenso wie die Menschen von der grünen Insel pflegen sie ihre Drinks für gewöhnlich auch zu bezahlen, und sie machen nicht alles kaputt und sind weniger an Raufereien und Ehrabschneidungen mit den Fans anderer Nationen interessiert als vielmehr am Feiern ihrer selbst und des Events als solchem. Wohl den Spielorten also, die die Schotten zugelost bekommen haben.

Auch Stuttgart ist unter den Glücklichen, am Sonntag, 23. Juni werden die Schotten im dann "Stuttgart Arena" heißenden Neckarstadion gegen die Ungarn spielen. Über den früher in den Pissoirs der Landeshauptstadt in unterschiedlichen Varianten häufiger anzutreffenden Klospruch "S'Hemd verkotzt, die Hos' verschissen, vom letzten Abend nix mehr wissen, alles das verdank' ich Dir, Stuttgarter Hofbräu, so ein Bier" werden die freilich nur müde lächeln, zumal ein Hofbräu aufzutreiben in der womöglich bis nach Kornwestheim reichenden Bannmeile des offiziellen Biersponsors Bitburger schwierig werden könnte. Ähnlich müde lächeln werden die Dänen, die feiern fast genauso gern und spielen eine Woche vorher hier, gegen Slowenien. Großartige Wochen für alle Gastronom:innen werden das – immer vorausgesetzt, die Fans finden überhaupt einen funktionierenden Zug, der sie nach Stuttgart bringt, und sie finden dann den schiergar endlos langen Weg von den Gleisen der Bahnhofsbaustelle in Richtung Innenstadt.

Nun haben wir bei der Auslosung außer Schottland noch Ungarn und die freundlichen Nachbarn aus der Schweiz in die Gruppe bekommen – also nix mit Todesgruppe, sondern das genaue Gegenteil. Eine Gruppe, auf dem Papier so leicht wie eine Feder und so schön wie eine Rose. Tolle Stimmung und ein Kantersieg im Eröffnungsspiel in München gegen die Schotten, dann das WM-Finale von 1954 reloaded in Stuttgart gegen Ungarn, die fegen wir aus dem Stadion wie die uns einst in der Vorrunde der WM 1954, und schließlich um den Gruppensieg gegen die Schweiz in Frankfurt. Dann als Gruppenerster weiter gegen den Gruppenzweiten der England-Gruppe, und schwupps sind wir im Viertelfinale, und ab da ist ohnehin immer alles möglich. Ich hoffe, an dieser Stelle können Sie, liebe Leserinnen und Leser, sich meinem Optimismus schon längst nicht mehr entziehen, werden mitgerissen von der Begeisterung und holen schon gleich mal die Fähnchen in Schwarz-Rot-Gold aus dem Keller, um die Rückspiegel Ihres Daimlers damit zu bespannen.

Wenn's knapp wird: Kissinger

Für den unwahrscheinlichen Fall, dass es knapp werden könnte mit dem Gruppensieg, schlage ich hier und heute vor, den alten US-Politiker Henry Kissinger wieder rauszuholen. Nicht aus dem Sarg rausholen natürlich, er ist ja letzten Mittwoch in hohem Alter verstorben, sondern eine Geschichte von der Fußball-Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien wieder hervorzukramen, wo der in Fürth geborene fußballaffine Strippenzieher vor dem Halbfinale der gastgebenden Argentinier in Begleitung des Junta-Chefs Videla die Kabine des Gegners Peru aufsuchte, um dem Team alles Gute zu wünschen. Oder was dieses "alles Gute wünschen" eben damals bedeutete, als die Argentinier gegen Peru mit mindestens drei Toren Differenz gewinnen mussten, um ins Finale dahoam einzuziehen.

Argentinien gewann das Spiel mit 6:0, zog ins Finale ein und besiegte dort die Niederlande. Dass Kissinger und Videla einige peruanische Spieler beim ungewöhnlichen Kabinenbesuch bestochen haben sollen, ist ein Gerücht, das sich bis heute hartnäckig hält und sogar von Augenzeugen bestätigt wird. Es soll freilich die Größe und Grandezza des argentinischen Trainers Menotti nicht schmälern, denn Menotti schmälert man nicht, der war schon schmal genug. Nicht umsonst nannten sie ihn "El Flaco", den Dürren.

Aber nun stellen wir uns vor, gegen die Schweiz im Juni geht es um was. Gruppensieg, vielleicht hängt sogar das Weiterkommen von einem Sieg ab. Und dann kommt Olaf Scholz oder wer bis dahin Kanzler ist, denn die Zeiten sind bewegt und wer wollte denn schon fix voraussagen, dass der leise Olaf nicht doch noch über irgendetwas stolpert, aus Versehen mal irgendwas sagt, oder es gibt Neuwahlen – also nochmal: Kanzler Scholz kommt in Begleitung von Ursula von der Leyen in die Schweizer Kabine und wünscht alles Gute. Wäre das nicht ein Ding? Interessiert sich Ursula von der Leyen für Fußball?

Na, wie auch immer. Bei einer Gruppe, so leicht und locker wie eine Champions-League-Gruppe des FC Bayern München, da ist Ausscheiden verboten. Da ist Weiterkommen Pflicht. So wie es auch bei den vergangenen Turnieren Pflicht war – wo wir bei ähnlichem Losglück jeweils übelst scheiterten. Aber vielleicht konzentrieren sich unsere Spieler heuer ein bissle weniger auf das Verhandeln einer möglichst fetten Titelprämie und lassen sich eher von den Jungs der deutschen U-17-Nationalmannschaft inspirieren, die am Wochenende Weltmeister wurden. Ich bin jedenfalls optimistisch und halte ein gutes Turnier unserer Mannschaft für möglich.

Dass die Affen von der UEFA allerdings die Hamburger Auslosungszeremonie bis weit in die Übertragung des Spiels des großartigen VfB Stuttgart gegen Werder Bremen hineinzogen, das war unverschämt. Fanden Sie nicht?

Wir brauchen Sie!

Kontext steht seit 2011 für kritischen und vor allem unabhängigen Journalismus – damit sind wir eines der ältesten werbefreien und gemeinnützigen Non-Profit-Medien in Deutschland. Unsere Redaktion lebt maßgeblich von Spenden und freiwilliger finanzieller Unterstützung unserer Community. Wir wollen keine Paywall oder sonst ein Modell der bezahlten Mitgliedschaft, stattdessen gibt es jeden Mittwoch eine neue Ausgabe unserer Zeitung frei im Netz zu lesen. Weil wir unabhängigen Journalismus für ein wichtiges demokratisches Gut halten, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollte – auch denen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Eine solidarische Finanzierung unserer Arbeit ermöglichen derzeit 2.500 Spender:innen, die uns regelmäßig unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, dazuzugehören! Schon mit 10 Euro im Monat sind Sie dabei. Gerne können Sie auch einmalig spenden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


0 Kommentare verfügbar

Schreiben Sie den ersten Kommentar!

Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!