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Herren-Fußball-WM 2030

Kreischende Knochensägen

Herren-Fußball-WM 2030: Kreischende Knochensägen
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Die Fußball-Weltmeisterschaft 2030 wird in sechs Ländern auf drei Kontinenten ausgetragen. Unser Kolumnist erklärt, was das bedeutet. Und warum er ein persönliches Problem mit dem neuen Hauptsponsor des VfB Stuttgart hat.

Eitel Sonnenschein herrscht derzeit global betrachtet zwar fast nirgends, aber immerhin und erstaunlicherweise doch beim VfB Stuttgart, Baden-Württembergs größtem Sportverein und bis vor gar nicht allzu langer Zeit Anlass steten und größtmöglichen Verdrusses bei seiner zahlreichen Anhängerschaft, Autor eingeschlossen. Aktuell aber, man mag es kaum glauben, ist der VfB mal wieder "en mode" und in aller Munde und das nicht wegen irgendwelcher Fiesheiten seiner Funktionäre, sondern wegen seiner vorzüglichen Leistungen auf dem Platz – und das ist ja schließlich, was zählt. Hütte voll, Hysterie, Tickets kaum zu bekommen.

Der sportlich starke Start in die Saison war und ist geradezu ein Segen für die Vorstandschaft um Alexander Wehrle und Rouven Kasper, denn die hatten sich zuvor ein Thema ans Bein gebunden, welches wegzumoderieren am Tabellenende deutlich schwieriger gewesen wäre als jetzt, wo die Mannschaft um die Tabellenspitze spielt und das auch noch auf eine Art und Weise, dass das Zuschauen richtig Spaß macht.

Aber während des nicht enden wollenden Ritts auf der Erfolgswelle ist der in Zeiten galoppierenden Wahnsinns auf allen möglichen Social-Media-Plattformen und Internetforen obligatorische Aufschrei der Fans und Gewohnheits-Hater nach ein paar Wochen einfach wieder verklungen, und mittlerweile kümmert's kaum eine:n mehr, dass auf der Brust des VfB-Trikots der Name "WINAMAX" prangt, also eines Anbieters von Sportwetten. Denn allzu schnelllebig ist das Geschäft, Moral ist ihm fremd.

Werte oder Wetten

So konnten sie beim VfB lange die Werte-Karte spielen, die soziale und gesellschaftliche Verantwortung des großen Sportvereins betonen, sogar eine Stiftung haben sie gegründet, um "Verantwortung" und "VfBfairplay für alle" zu leben, denn "der Auftrag des VfB ist größer als 90 Minuten Fußball". Und als vor Saisonbeginn – "der Daimler" bzw. dessen Bank hatte gekündigt – ein neuer Hauptsponsor gesucht werden musste, da schien die Lage lange so komfortabel, dass Alexander Wehrle sich auf die Frage, wer bald das Trikot ziere, zu der Aussage hinreißen ließ, "ein chinesischer Sportwettenanbieter" werde es sicher nicht. Zu diesem Zeitpunkt war er dem Vernehmen nach nämlich noch davon ausgegangen, dass ein weltweit reüssierender Lebensmittelriese mit Firmensitz in Neckarsulm bei Heilbronn neuer Sponsor werden würde. Ein regionaler Anbieter und Global Player in Personalunion quasi. Heiligs Blechle, fast so gut wie der Daimler. Zudem war ja bereits Porsche als neuer Investor angekündigt, Weltmarkenbündnis Hilfsbegriff.

Dass es am Ende ein französischer Sportwettenanbieter namens Winamax (gegründet übrigens u.a. von keinem geringeren als Robert-Louis Dreyfus und in der Medienarbeit in Deutschland betreut von der im VfB-Freundeskreis vertretenen Stuttgarter Agentur Convensis) wurde, bekam Wehrle natürlich um die Ohren. Nicht, weil er schuld an einer kurzfristigen Absage aus Neckarsulm gewesen wäre, sondern wegen seiner unnötigen Aussage mit dem chinesischen Wettanbieter. Und weil der VfB allzu lange auf der Sache mit den Werten rumgeritten war.

Dass fast die gesamte Bundesliga, dass fast alle Clubs längst einen offiziellen Sportwettenpartner haben, dass auch die DFL selbst, dass sogar der DFB einen offiziellen Wettpartner hat – geschenkt. Dass der Deal für den VfB sehr lukrativ war, lukrativer noch als der Lebensmittelriese – geschenkt. Denn wer die Werte-Karte spielt, der darf nicht beim Wetten landen. So einfach ist's, und deshalb kassieren Wehrle und Co die Ohrfeigen völlig zu Recht. Selbst Neu-Investor Porsche sprang aufs Bashing-Trittbrett und tat öffentlich sein Missfallen kund, auch wenn diese Äußerungen eher rituell denn emotional daherkamen. Lutz Meschke und seine Jungs in Zuffenhausen werden sich sicher mittlerweile wieder beruhigt und ihre Aufmerksamkeit wieder der Produktion und dem Verkauf hochpreisiger und PS-starker Verbrenner zugewandt haben. Allzu lange werden Wehrle und Co die Ohren ohnehin nicht heiß gewesen sein, denn wie gesagt: Die Hütte ist voll, die Leute lieben den VfB – wenn's sportlich läuft, dann ist der Rest egal. Und außerdem, das reimt sich sogar, kommt Kohle vor Moral.

Was die ganze Geschichte für mich persönlich so schwierig macht, Dilemma geradezu, das ist die Tatsache, dass ich das aktuelle VfB-Trikot – sonst eines der schönsten auf der ganzen Welt, da gibt es ja wohl keine zwei Meinungen – so hässlich finde. Demnächst werde ich ein Spiel der New York Giants besuchen, American Football, noch viel biggeres Business als Bundesliga. Sogar einen Spieler werden wir, also ein befreundeter Fan des VfL Bochum und ich, wohl treffen dürfen, wirklich ein dickes Ding. Und jetzt, was bring ich dem Spieler mit? Natürlich ein Trikot "meines" Vereins, ein Trikot, wie es auch der in der NFL erfolgreiche Schwabe Jakob Johnson von den Las Vegas Raiders gerne trägt. Aber das Winamax-Trikot mit den komischen roten Strichen überall, das trau ich mich gar nicht dem Spieler zu schenken, so hässlich ist das. So wird wohl der Kollege dem Spieler ein Bochum-Trikot überreichen – und ich einen Artikel aus der Teamwear-Kollektion. Oder eine Mütze.

FIFA-Vorentscheidung für 2034

Aber hey, kürzlich hat der Fußball-Weltverband FIFA die Austragungsorte der Weltmeisterschaft 2030 bekanntgegeben – und dagegen mutet unser Weinen über Wettanbieter wirklich winzig an. Denn hallo: 2030 wird nicht nur in drei Ländern ausgetragen, sondern auf drei Kontinenten. WM 2030 also nach einstimmiger Entscheidung des FIFA-Rats (unter Beteiligung von DFB-Präsident Bernd Neuendorf, dem zur Strafe für sein allzu heuchlerisches Herumlavieren die Beule auf der Stirn wachsen möge wie dem Pinocchio einst die hölzerne Nase) in Spanien, Portugal und Marokko und je ein Spiel in Argentinien, Uruguay und Paraguay. Und damit quasi Vorentscheidung für Saudi-Arabien als Ausrichter 2034, weil sich außer den Chinesen sicher niemand für 2034 bewerben wird, wenn schon 2030 fast alle anderen Gastgeber waren. Da kreischen die saudischen Knochensägen jetzt schon vor Freude, und die nichtstaatliche und gemeinnützige Organisation Football Supporters Europe singt beklommen den alten R.E.M.-Hit: "It's the end oft he world (cup) as we know it." Beim DFB werden sicher schon die Köpfe rauchen, in welchem der sechs gastgebenden Länder die Herren Nationalspieler 2030 ihr superteures Quartier beziehen können. Und weil die Saudis uns jede Menge Gas zugesagt haben, wo das vom Russen ja bis auf Weiteres ausfällt, wird der Kanzler dem Scheich längst sein OK für eine Winter-WM gegeben haben. Wetten, dass?


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1 Kommentar verfügbar

  • Dani
    am 11.10.2023
    Antworten
    wegen "Weltmarkenbündnis Hilfsbegriff":
    Bitte fürderhin bleiben lassen. Wenn W. Haas sowas macht, ist es Weltliteratur. Wenn Sie es versuchen, ist es peinliches Geschreibsel.
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