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Profifußball der Herren

Die Vorvorgestrigen

Profifußball der Herren: Die Vorvorgestrigen
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Der Deutsche Fußball-Bund als Sinnbild eines desolaten Deutschlands. Unser Kolumnist überlegt, warum unsere Spieler im Nationaltrikot so schlecht kicken.

Gleich aus mehreren Gründen gilt es im vorliegenden Text ganz besonders, orthografische und andere Ungenauigkeiten zu vermeiden. Denn zum einen ist dies die 75. Ausgabe der Kolumne, kleines Jubiläum also, da zieht man sich doch die guten Kleider an und macht sich auch die Fingernägel richtig sauber – und zum anderen hat die geschätzte Kollegin Susanne Stiefel mit ihrem letztwöchigen Christine-Prayon-Interview derartige Mengen von Staub aufgewirbelt, dass nicht nur gefühlt alle deutschen Medien, die kleinen, die großen und die ganz großen, darüber berichtet haben, sondern dass es mir jetzt grade so vorkommt, als lese die ganze Welt hier mit, bei unserer kleinen Kontext:Wochenzeitung. Also muss heute, um die Sprache des Sports zu sprechen, der Bock umgestoßen, alles rausgehauen und reingelegt beziehungsweise sich voll reingehauen werden, 120 Prozent geben, mindestens, und alles umsetzen, was man sich vorgenommen hat. Sonst endet das hier nämlich ähnlich trostlos wie die großen Turniere unserer Herrenfußball-Nationalmannschaft und jüngstens auch unserer U21, die gar als Titelverteidiger schon in der Gruppenphase der Europameisterschaft ausgeschieden sind, ohne auch nur ein einziges Spiel zu gewinnen.

Und jetzt fragen sich natürlich alle wieder, woran das liegt. Jeder Stein müsse umgedreht werden, die Jungs werden doch schon in der frühen Jugend total falsch ausgebildet, viel zu wenig Charakter, viel zu viel System. Und das ist alles richtig, was da geschrieben und gesagt wird. Was auch an dieser Stelle schon immer mal geschrieben wurde. Dass die Coaches gecoacht werden müssen, dass die jungen Talente auch eingesetzt werden müssen, dass nicht schon in der E-Jugend das Spielergebnis wichtiger ist als das Spiel. Dass auch mal was anderes versucht wird, nicht immer Nullachtfünfzehn, nicht immer alles so machen, weil halt die anderen es auch so machen.

Zweifel an der Vereinsarbeit

Nun werden beim Deutschen Fußball-Bund DFB schon seit Längerem Konzepte vorgestellt und zur Anwendung gebracht, nach denen die Kinder anders kicken lernen sollen. Und auch das ist sicher alles nicht verkehrt, zwei Tore mehr, viel mit dem Ball spielen und so weiter. Aber wenn das alles Hand und Fuß haben soll, dann möchte ich hier mal ordentliche Zweifel daran anmelden, dass unsere Vereine und die dort überwiegend ehrenamtlich arbeitenden Trainerinnen und Trainer das hinbekommen. Nicht, weil sie es nicht wollten, sondern weil sie es nicht leisten können. Weder zeitlich noch fachlich. Da müssten schon richtig starke Netzwerke von Partnervereinen rund um die großen Sportvereine mit höherklassig kickenden Mannschaften entstehen, wo die Trainer der größeren Clubs von Profis gecoacht werden und das so gewonnene Wissen an ihre Kollegen clubintern und im Netzwerk weitergeben, so dass am Ende die Zahl der Vereine deutlich kleiner wird, wo die Kinder von wöchentlich wechselnden Vätern trainiert werden, die das Training ungefähr so gestalten, wie sie selbst vor 30, 40 oder 50 Jahren trainiert wurden.

In einer besseren Welt würde man vielleicht darüber nachdenken, ob nicht unsere Schulen da eine viel größere Rolle spielen sollten. Man könnte sich fragen, was denn eigentlich aus "Jugend trainiert für Olympia" geworden ist. Und warum man so gar nichts hört von irgendwelchen "Stadtmeisterschaften", warum keines heiß ist auf das Duell "Schule A vs. Schule B" – warum findet da so gar nichts statt, nirgends? Und warum gehen denn, zumindest in den größeren Städten, kaum mehr Kinder in den Fußballverein, und wenn doch, dann höchstens bis zur D-Jugend und auch das nur unter gelegentlichen Trainingsbesuchen, weil nämlich die Eltern sich da nicht wirklich drum kümmern? Ach so, isch klar, unsere Schulen haben keine Lehrkräfte und haben auch keine Hallen und Sportplätze, und wenn sie diese doch haben, dann haben sie keine Hallenzeit oder Platzzeit, weil nämlich diese von Vereinen belegt werden, nix zu machen.

Namen nennen

Bildung, Gesundheit, Infrastruktur, you name it – wir sind in allen zentralen Bereichen total im Eimer, haben seit mindestens 50 Jahren alles verschlafen, was man nur verschlafen kann. Und als ob das alles nicht schon viel zu viel wäre, müssen wir uns tagtäglich auch noch die Nasen der Herren Völler, Watzke und Neuendorf (mit Brille auf der Glatze) anschauen, die schlecht gelaunt und ewiggestrig irgendwo rumsitzen und Ewiggestriges in irgendwelche Mikrofone posaunen. Da verstehe ich es doch, dass unsere Nationalspieler auch schon mit schlechter Laune anreisen. Und mit genauso schlechter Laune kicken sie ja auch. Zumindest, wenn sie "den Adler tragen".

Der riesige Sportverband DFB wird von einer Truppe vorvorgestriger grauer Männer geführt, er ist bis runter in seine Basis an fast allen neuralgischen Punkten mit Leuten besetzt, denen es nur um ihre Pfründe und um sonst gar nichts geht. Diese Leute wählen einen DFB-Bundestag, der dementsprechend nichts anderes macht, als das kranke System so lange wie möglich zu erhalten. Ein System, das als korrupt zu bezeichnen womöglich justiziabel ist und deswegen hier nicht behauptet, sondern nur laut gedacht wird. Ein System, das das Eindringen halbwegs integrer, aufgeschlossener Menschen wie dem Ex-Präsidenten Fritz Keller mit Argwohn begegnet und alle seine negative Energie dafür einsetzt, solche unerwünschten Eindringlinge schnellstmöglich wieder loszuwerden, rauszuekeln. Und wenn ebendieser Fritz Keller Jahre später in einem FAZ-Interview sagt, dass für dieses Fehlmanagement des DFB jemand zur Verantwortung gezogen werden muss – dann juckt das halt auch genau niemand. Und wir wundern uns, warum die Jungs im Nationaltrikot so schlecht kicken. Das kann was werden mit der Euro 2024 im eigenen Land, da ist die Schadenfreude über ein erneut miserables Abschneiden der Nationalmannschaft ja fast schon jetzt zu hören. Hoffentlich lassen sich die deutschen Fußballfrauen nicht beeindrucken von all der negativen Energie rund um den Herrenfußball. Hoffentlich spielen wenigstens die mit guter Laune eine gute Weltmeisterschaft (ab 20. Juli).

Die wirklich wichtigen Fragen habe ich jetzt vor lauter Aufregung mal wieder nicht stellen und gleich dreimal nicht beantworten können. Dabei wüsste ich doch allzu gerne, wie die Hefe ins Glas kommt, wenn mir einer ein Weißbier vom Fass einschenkt. Oder ob mein Auto bergauf nicht nur mehr Benzin verbraucht, sondern auch mehr AdBlue. Wissen Sie's vielleicht, liebe Leserinnen und Leser?


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2 Kommentare verfügbar

  • Shorty
    am 07.07.2023
    Antworten
    Sorry, aber die Fußballkolumne, die ich anfangs mit Interesse gelesen habe, wird zusehends zu einem selbstgefälligen Blahblah voll manierierter inhaltsarmer Bandwurmsätze. Da les ich lieber die originellen, oft selbstironischen 11–Freunde-Kolumnen.
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