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Fußball-Bundesliga

Kohle sticht Konzept

Fußball-Bundesliga: Kohle sticht Konzept
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Unser Kolumnist beklagt traurige Zustände im Profifußball. Beim Thema VfB Stuttgart schlägt die Traurigkeit sogar in Wut um. Dabei wollte er sich eigentlich über ganz andere Dinge aufregen.

Eigentlich wollte ich über den Giro d'Italia schreiben, darüber, dass plötzlich alle Corona haben, wo sie tags davor noch Hammerzeitfahretappen in Hammerzeiten abgespult haben. Ob da nicht doch im Zweifel irgendein neues Dopingkontrollverfahren zur Anwendung gekommen ist, eines, das überraschenderweise das ganze neue Zeugs findet, das die Fahrer nehmen. Und dass die Tests auf Covid da gerade recht gekommen sein könnten, größeres Ungemach von einzelnen Fahrern beziehungsweise der gesamten Branche fernzuhalten.

Oder, ganz was anderes, öffentlich-rechtlicher Rundfunk. Den es aus meiner bescheidenen Warte mit Zähnen und Klauen zu verteidigen gilt gegen Politiker:innen und andere radikale Irrlichter, die ihn immer wieder abschaffen wollen. Den es freilich trotzdem auch zu kritisieren gilt. Denn warum zum Beispiel entsendet jede unserer gefühlt 25 Landesrundfunkanstalten ein Heer von Korrespondentinnen und Korrespondenten in ein "Hauptstadtstudio" nach Berlin? Warum kommt Fußball Bundesliga nicht nur in der ARD Sportschau, sondern auch in Sendungen wie "Sport im Dritten", zu allem Elend auch noch präsentiert von der Invasorentruppe des WDR um die Herren Antwerpes und Bartels, die sich seit jeher mit offenem Händchen an die Objekte ihrer "journalistischen" Berichterstattung heranwanzen wie ein Rudel Freidemokraten an die sie finanzierenden Wirtschaftsverbände?

Glückwunsch den Volleyballerinnen von MTV Stuttgart

Wie sich das für die Sportkolumne eines in Stuttgart produzierten Mediums gehört, wollte ich lang und breit der seit etlichen Jahren mit großem Abstand erfolgreichsten Mannschaft dieser Stadt gratulieren – nämlich den Volleyballerinnen von Allianz MTV Stuttgart mitsamt ihres Trainerteams um den so schwer erkrankten und trotzdem so positiv daherkommenden Tore Aleksandersen, die zum wiederholten Mal den Deutschen Meistertitel gewinnen konnten. Was für eine tolle Leistung!

Wie üblich war auch in dieser Ausgabe der Kolumne der Plan, Sport hin Sport her, ein völlig sportfremdes Thema zumindest kurz zu streifen, hier und heute der Umstand, dass bundesweit rumgeheult wird, es gebe nicht genug Auszubildende, der Fachkräftemangel, wir finden keinen Nachwuchs. Schaut man sich aber die Bedingungen in der Ausbildung heute mal an, so sieht man, dass eigentlich nur diejenigen jungen Leute eine Lehre machen können, die ein Abitur gemacht und ein Auto haben und die zuhause bei den Eltern wohnen können. Denn, hallihallo, ohne Abi nimmt Dich kaum mehr Einer, und wenn Dich einer nimmt, dann arbeitest Du von morgens um sieben bis abends um sechs volle Pulle und verdienst, ohne Scheiß, roundabout ein paar Hundert Euro im Monat. Und wenn Du Glück hast, wirst Du wenigstens menschlich gut behandelt bei der Arbeit und nicht noch ständig dumm angeranzt von wegen Lehrjahre sind keine Herrenjahre und so weiter.

Und jetzt wer soll von diesem Lohn alleine leben können, wer soll sich davon neben der Miete auch noch ein Auto leisten können, um morgens früh zur Arbeit zu kommen und abends wieder heim, weil unsere Öffis kannst Du da ja komplett vergessen, vor allem, wenn Du nicht in der Stadt bist. Holy shit, hier herrschen Verhältnisse wie vor 70 Jahren. Und anstatt über die faule Jugend und den Fachkräftemangel rumzuplärren, sollten wir lieber mal beginnen, hier zeitgemäße Verhältnisse zu schaffen. Aber da landen wir schnell wieder bei den freien und auch den christlichen Demokraten, die heute zumeist in zu engen Anzügen peinlich herumdynamisieren und jeglichen Fortschritt in allen nur möglichen Bereichen nach Kräften torpedieren.

Darüber wollte ich schreiben. Eigentlich. Aber dann kam in bewährter Manier der VfB Stuttgart um die Ecke, Baden-Württembergs größter und häufig auch peinlichster Sportverein, und riss einmal mehr die eigentlich bereits am tiefsten aller Tiefpunkte liegende Latte aber sowas von deutlich, dass mir das Hemd mitsamt dem Kragen platzte.

Torhüter doof? VfB Stuttgart doof!

Mit dem erneuten oder eben schon wieder grade mal so mit mehr Glück als Verstand verhinderten Abstieg hatte ich mich irgendwie arrangiert, soll heißen, eine Art resignativer Traurigkeit hatte sich meiner bemächtigt: Du kannst es ja eh nicht ändern, bei denen wird eh nichts besser, also versuch, Dich wenigstens nicht allzu sehr darüber aufzuregen. Aber als dann kurz vor dem vorletzten Spieltag der Saison, kurz vor dem quasi lebenswichtigen Spiel am vergangenen Sonntag in Mainz von Clubseite an den Boulevard durchgestochen wurde, man finde seine beiden Torhüter doof, die taugten ja nicht mal für die zweite Liga, man werde beide im Sommer abstoßen – da wandelte sich die Traurigkeit in regelrechte Wut. Wer steckt diese Info gerade jetzt zum Boulevard durch? Wer macht sowas? Schon klar, dass auf etlichen der unzähligen VfB-Sessel pathologische Profilneurotiker kleben, die sich allein dann schon wichtig fühlen, wenn sie irgendeinem hergelaufenen Journalisten was erzählen können. Schon klar, dass in der gesamten Fußballbranche vorwiegend Leute arbeiten, um die ich normalerweise einen weiten Bogen mache. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Aber die Torwartdiskussion zu diesem Zeitpunkt? Der Begriff "vorsätzliche Vereinsschädigung" erscheint mir hier bei weitem zu schwach, zu verharmlosend. Aber was soll man sagen? Es ist einfach nicht zu fassen, und aus Protest werde ich den letzten Spieltag möglicherweise in meinem Ulle-Full-Kit bestreiten, also dem kompletten Trikot des ehemaligen und ohne Not vergrämten VfB-Torhüters Sven Ulreich.

Gierige Clubs, gierige DFL

Und wo wir hier schon mal wieder die gesamte Fußballbranche verachten: Just heute, am Tag des Erscheinens dieser Kolumne, stimmt die Deutsche Fußball Liga darüber ab, ob ein heuschreckengleicher Finanzinvestor Anteile an einer neu zu gründenden DFL-Tochter kaufen darf. Weil dann ziemlich zügig ziemlich viel neues Geld reinkommt. Und weil die gierigen Dilettanten auf den Fußballchefsesseln immer lieber schnelle Kohle verbrennen als gute Konzepte durchzuziehen. Womöglich werden die 36 Clubvertreter erstmal auf Zeit spielen, eine Entscheidung vertagen.

Aber: 24 Zustimmungen reichen aus, um den Anteilsverkauf abzusegnen. Genug Platz also für die etlichen Schaumschläger, die so tun, als seien sie Interessenvertreter der Fans, als liebten sie den Fußball und nicht den schnellen Kommerz. Die können dann pro forma mit Nein stimmen und sich hinterher von ihren Kurven feiern lassen als Robin Hoods. Und es wird kaum einer fragen, warum sie nicht im Vorfeld der Abstimmung richtig Rabatz gemacht haben, so wie das eigentlich immer nur Oke Göttlich vom FC St Pauli tut. Ja, warum haben sie nicht? Was meinen Sie, werte Leserinnen und Leser?


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3 Kommentare verfügbar

  • Kritik
    am 26.05.2023
    Antworten
    "Hammerzeitfahretappen in Hammerzeiten" wenn man sich mit dem sport auseinandersetzen würde, wüsste man, dass der Junge ne Minute langsamer war als gedacht. Alle Reporter die sich wirklich mit dem Sport beschäftigen fragen sich, was da los war. Nach der Etappe sieht der Junge aus wie scheiße, weil…
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