KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Fußballbundesliga der Herren

Hurra 2024

Fußballbundesliga der Herren: Hurra 2024
|

Datum:

Ob die Angestellten in thailändischen Luxusresorts bald Trikots des SV Darmstadt 98 tragen? Unser Kolumnist verabschiedet sich mit viel Optimismus in die Winterpause. Auch wenn noch einige Fragen offen sind.

Das nächste Jahr wird super, keine Frage. Zumindest, was den Fußball angeht. Schließlich sind wir Gastgeber der Europameisterschaft der Herren. Und unsere höchste Spielklasse, die Bundesliga (DFL), darf sich nach dem entsprechenden Ergebnis einer Abstimmung unter den 36 beteiligten Clubs einen Investor suchen, um die eigenen Vermarktung zu verbessern. Digital, im Inland, aber vor allem im Ausland. Der Investor soll etwa im Sommer 2024 präsentiert werden. Hurra, dann heißt die Bundesliga vielleicht bald so wie ein chinesischer Wettanbieter. Oder ein französischer. Oder sie wird zur Blackrock-Bundesliga.

Dann sind der nach oben offenen Expansion auf globalem Level keine Grenzen mehr gesetzt. In thailändischen Luxusresorts tragen die Angestellten dann womöglich Trikots des SV Darmstadt 98. Und an den weniger traumhaften Beaches und Buchten lungern die Erwerbslosen im verschlissenen Paderborn-Leibchen herum. Das wird super, da gibt es keine zwei Meinungen. Denn wofür sonst als für Paderborn- und Darmstadt-Merch sollen die Leute künftig ihr Geld ausgeben – wo doch über neue, mit dem Geld des neuen Investors finanzierte superdigitale Superplattformen tagtäglich erstklassiger Content von allen 36 Clubs der ersten und zweiten Liga in alle Welt übertragen wird? Chaled Nahar und Marcus Bark haben für die ARD-Sportschau schon letzte Woche schön zusammengefasst, was uns da erwarten könnte: irre neue Insights direkt aus der Kabine. Interviews direkt vor Anpfiff. Mehr Zugang für übertragende Sender zu den Mannschaften, unter der Woche für mehr Inhalte abseits der Spiele. In Spanien, wo die dortige Liga einen ähnlichen Investorendeal bereits abgeschlossen hat, war neulich im Fernsehen zu sehen, wie die Mannschaft von Athletic Bilbao in der Kabine das "Vater Unser" betet. Welch gigantischen Run auf Werder Bremen-Trikots wird es da erst in Pakistan auslösen, wenn Naby Keïta und Leo Bittencourt unter der Dusche ein paar Suren aus dem Koran runterrezitieren?

Wer sollꞌs machen?

Natürlich bleiben ein paar Fragen offen. Zum Beispiel, wer die Verhandlungsführer der DFL, die Geschäftsführer Marc Lenz und Steffen Merkel, überhaupt sind? Früher, da kannte man die Leute noch, die der Liga vorstanden. Ein Heribert Bruchhagen, ein Christian Seifert, an kaum einem Mikrofon kamen die vorbei, ohne irgendwas zu sagen. Und jetzt Lenz, Merkel, wer hat diese rein äußerlich an Hohenheimer WiWi-Studenten erinnernden Herren direkt an der Spitze unserer Liga platziert? An wessen Seilen hängen die beiden? Und weiter: Dass die DFL in der Auslandsvermarktung noch deutlich Luft nach oben hat, ist wohl unbestritten. Und nur ganz fundamentale Fundamentalisten sind wohl heute noch der Meinung, unser Fußball sei im Wesentlichen der im besten Sinne ritterlich faire Wettkampf fair geführter und fair finanzierter deutscher Sportvereine untereinander. Aber wer soll denn bitteschön für eine weitere Professionalisierung nach dem Vorbild US-amerikanischer Profiligen konkret sorgen? Wer ist denn in der Lage, für die angedachte ligaeigene Medienplattform die entsprechenden Inhalte zu produzieren? Freundinnen und Freunde des American Football sind aus dem kostenpflichtigen NFL-"Game Pass" längst vertraut mit einer Vielzahl schöner Formate, können die wichtigen Momente einer jeden Saison mit dem im Super Bowl siegreichen Team wunderbar nachschauen, können im Format "Hard Knocks" das Trainingscamp quasi hautnah miterleben. Und hier, Fußball? Hier gibt's "All or Nothing – die Nationalmannschaft in Katar, Staffel 1, Folgen 1 bis 4" auf Amazon. Hat das wer gesehen? Konnte jemand das länger anschauen als ein paar Minuten?

Um also brauchbare TV-Formate überhaupt produzieren zu können, müsste die DFL schon das komplette Sky-Team von vor 15 Jahren einkaufen, mitsamt state of the art Equipment – und selbst dann wäre es mehr als fraglich, ob angesichts unserer glattgebügelten kickenden Langweiler was Brauchbares dabei rauskäme.

Weitere Fragen wie die Frage danach, warum Martin Kind, Hörgeräte herstellender Geschäftsführer von Hannover 96, bei der überraschend ohne entsprechenden Antrag geheim erfolgten DFL-Abstimmung pro Investor stimmen konnte, obwohl "sein" Club via Vorstandsweisung ihn für ein klares "Nein" mandatiert hatte, seien hier nur am Rande erwähnt, weil die Entscheidung ja nun gefallen ist. Auch wenn sie ganz anders ausgefallen wäre, hätte Kind so gestimmt, wie ihm geheißen. Denn dann wäre die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit um eine, nämlich Kinds Stimme, verfehlt worden.

Auch die Frage danach ist berechtigt, warum die 36 Clubs eine ligaeigene Medienplattform nicht selbst finanziert bekommen – ohne dafür einen externen Investor zu holen, dem sie angeblich über viele Jahre lang acht Prozent der Einnahmen abtreten müssen. Wer freilich weiß, dass alle Einnahmen der Clubs mehr oder weniger sofort in Gehälter und Provisionen für Spieler, Berater und Funktionäre fließen, wer weiß, dass die meisten Clubs längst schon ihre zukünftigen Einnahmen verpfändet haben und, wie man so sagt, immer knapp auf Kante genäht sind, den oder die wundert schon lange überhaupt nichts mehr.

Lieber Erkenschwick vs. Lotte?

Anders herum sind die üblichen Reflexe immer lächerlicher, das Geschrei, der Fußball, wie wir ihn kennen, sei nach dieser Entscheidung tot, er habe seine Seele verkauft, sofort gelte es jetzt, die Dauerkarte zurückzugeben. Natürlich ist es legitim zu sagen, man sei zufrieden damit, die Spielvereinigung Erkenschwick vs. Sportfreunde Lotte in der Oberliga Westfalen zu sehen und habe ohnehin die Schnauze gestrichen voll von diesen "Scheiß-Millionären" in der Bundesliga. Nur sollte man dann auch weniger laut bruddeln, wenn der VfB Stuttgart sich nicht im obersten Regal der Klassespieler bedienen kann, sondern einmal mehr Bankdrücker aus Hannover holen muss, so wie noch vor Kurzem geschehen in Zeiten, die wir heute wieder mal überwunden zu haben glauben.

Und wo wir jetzt beim VfB gelandet sind und wo das Jahr bald zu Ende geht: Bitte treffen Sie die nötigen Vorbereitungen für 2024, liebe Leserinnen und Leser. Reservieren Sie rechtzeitig Ihr Hotel in Berlin, wenn wir (ungeachtet der erwartbar geräuschlosen Niederlage am Sonntagabend in München) als frisch gebackener Deutscher Fußballmeister am 25. Mai im Olympiastadion das Pokalfinale spielen und das Double nach Stuttgart holen werden. Bitte haben Sie ein Auge auf den Kalender, wenn die Gruppen der kommenden Champions League ausgelost werden – es könnten wunderbare Auswärtsfahrten und elektrisierende Abende im Stuttgarter Neckarstadion anstehen.

Für die anstehenden Feiertage wünsche ich auch in diesem Jahr viel leckeres Essen und gute Laune. Bleiben Sie gesund, werden Sie gesund, bleiben Sie mir gewogen.

Wir brauchen Sie!

Kontext steht seit 2011 für kritischen und vor allem unabhängigen Journalismus – damit sind wir eines der ältesten werbefreien und gemeinnützigen Non-Profit-Medien in Deutschland. Unsere Redaktion lebt maßgeblich von Spenden und freiwilliger finanzieller Unterstützung unserer Community. Wir wollen keine Paywall oder sonst ein Modell der bezahlten Mitgliedschaft, stattdessen gibt es jeden Mittwoch eine neue Ausgabe unserer Zeitung frei im Netz zu lesen. Weil wir unabhängigen Journalismus für ein wichtiges demokratisches Gut halten, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollte – auch denen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Eine solidarische Finanzierung unserer Arbeit ermöglichen derzeit 2.500 Spender:innen, die uns regelmäßig unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, dazuzugehören! Schon mit 10 Euro im Monat sind Sie dabei. Gerne können Sie auch einmalig spenden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


0 Kommentare verfügbar

Schreiben Sie den ersten Kommentar!

Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!