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Superbowl

Leute, rafft Euch mal!

Superbowl: Leute, rafft Euch mal!
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Am 11. Februar ist Superbowl – und wenn sich unser Autor Gedanken zu Football und Fußball macht, kommt er manchmal ganz schön durcheinander.

Supersache Superbowl – für das möglicherweise größte Einzel-Sportevent aller Zeiten und Welten, das letzte Spiel der US-amerikanischen NFL, das American Football-Finale, das Duell der beiden Champions aus NFC (National Football Conference) und AFC (American Football Conference) am 11. Februar in Las Vegas (am 12. Februar um 00:30 Uhr unserer Zeit) haben sich die Kansas City Chiefs und die San Francisco 49ers qualifiziert. Ein Spektakel, das allen Grund zur Vorfreude gibt – auch wenn mit den Detroit Lions das sympathischste Team am vergangenen Wochenende, quasi kurz vor knapp, gegen die 49ers ausgeschieden ist. Bei den Lions nicht nur toller Trainer Dan Campbell, sondern natürlich auch "unser Mann" Amon Ra St. Brown dabei, Sohn deutsch-amerikanischer Eltern und einer der Topstars der Saison. Dazu kommt die Besitzerin des Clubs, man sagt "der Franchise" oder "der Organisation", Sheila Ford Hamp, eine beeindruckende Person unter all den oft mehr als weniger Trump-nahen Besitzern der Konkurrenz, allesamt Milliardäre, ein Kommerz ist das, dagegen ist unsere Fußball-Bundesliga Kindergarten und Nasenwasser zugleich.

Auffallend übrigens, dass es immer noch derart auffällt, wenn eine Frau da mitmischt unter all den Männern. Das war auch schon bei Gigi Oehri so, der langjährigen Besitzerin des schweizerischen Fußballclubs FC Basel. Die hat ihren Laden ähnlich toll reorganisiert und hingestellt wie Sheila Hamp die jahrzehntelang darniederliegenden Lions aus Detroit, der ehemaligen "Motorcity", die vor die Hunde ging und jetzt wieder blüht. Und was war das für ein geradezu körperlich spürbares Glück all der Menschen im Ford Field, dem Detroiter Stadion, als sie nach so langer Zeit wieder Playoff-Siege feiern konnten. Selbst vor dem Fernseher konnte man das richtig spüren, das war schön.

Alle Clubs der NFL verdienen Milliarden, geben Milliarden aus für neue Stadien, für Charity auch, die Spieler verdienen enorm und engagieren sich enorm, die NFL ist eine beeindruckende Gelddruckmaschine. Muss niemand gut finden, ist aber geil. Fans können da übrigens im Trikot "ihres" Clubs auch auswärts fahren, es müssen keine rivalisierenden Gruppen polizeilich getrennt werden. Trotzdem ist Häme erlaubt, Gegnerschmähen durchaus auch – aber ohne kriegsähnliche Zustände.

Fans und Fahnen

Fahnen schwenkt einem niemand vor der Nase rum, Banner und Zaunfahnen gibt es nicht, Blocktrennung und Einpferchung von Gästefans natürlich auch nicht. Die Leute stehen wild durcheinander, fast alle haben wenigstens die Mütze ihres Clubs auf. Und als ich neulich in Bochum bei Eiseskälte eine knappe Stunde auf den Anpfiff der zweiten Halbzeit des Fußballspiels VfL Bochum gegen den großartigen VfB Stuttgart warten musste, weil die Zaunfahne der Stuttgarter Ultras angeblich die Funktion eines Fluchttores von der Tribüne zum Innenraum verhinderte, da gingen mir so ein paar ganz unterschiedliche Gedanken durch den Kopf.

Zunächst mal: Warum hängen die diese Zaunfahne nicht einfach ab? Dann: Warum soll das Ding plötzlich verboten sein, es war doch noch vor ein paar Monaten erlaubt, und in der ersten Halbzeit hing es ja auch. Und warum geht die Feuerwehr nicht einfach hin und schaut, ob das Fluchttor aufgeht? Und warum fordern die vom VfL unsere Ultras auf, ihre Zaunfahne abzuhängen? Weiß doch jedes Kind, dass Ultras niemals ihre Zaunfahne abhängen würden.

Dann aber: Die scheiß Fahnen immer bei uns im Fußball, was soll das überhaupt? Nazis schwenken Fahnen, Kommunisten schwenken Fahnen, Soldaten früher, Fahne hier, Fahne da, komm ich zum Fahnenschwenken ins Stadion oder zum Fußball schauen? Und die ganzen Embleme, Signets, Banner, klaust Du mir meins, mach ich Dich platt – ja wo sind wir denn? Und währenddessen versuchen die Spieler auf dem kalten Rasen sich irgendwie warmzuhalten, es war wirklich kalt, und eigentlich heißt es doch immer, niemand sei größer als der Verein?

So war ich hin- und hergerissen zwischen Verständnis für "unsere" Ultras, Zorn auf die Bochumer Sicherheitsheinis auf der einen Seite – und den Gedanken an eine komplette Abschaffung dieser Auswärtsblocks und all der Fahnen und Banner auf der anderen Seite. So wie sie das wohl in Argentinien vor ein paar Jahren beschlossen haben, als allzu viele Fans sich gegenseitig abgestochen haben und der Wahnsinn komplett aus dem Ruder gelaufen war. Keine Gästefans mehr. Aber wer sollte so was wollen? Warum sollte ich nicht mehr zum VfB nach Bochum fahren dürfen?

Nichts verstanden?

Während der US-amerikanische Football immer noch weiter wächst und scheffelt und expandiert und investiert und weltweit immer noch populärer wird, scheint es, als hätten hierzulande unsere Fußballmenschen immer noch nichts verstanden. Die Funktionäre behandeln die Ultras, die aktive Fanszene immer noch genauso borniert wie seit Jahrzehnten – und die Fanszenen geben sich geradezu erzkonservativ, meinen, der Fußball gehöre ihnen und beharren trotzig auf einem Status Quo, den es vielleicht in den Achtzigerjahren des vorigen Jahrtausends mal gegeben haben mag, als die Stadien noch halb leer und ungemütlich waren.

Keiner versteht den anderen, keiner will verstehen. Dass ein Investor in der DFL nur verdient, wenn die Erlöse steigen – warum sagt das niemand? Warum tun immer alle so, als werde die Seele des Fußballs verkauft? Warum sind Pyros verboten, werden aber trotzdem Spieltag für Spieltag abgebrannt? Warum erlaubt man die nicht einfach und straft nur dann, wenn einer die Fackel aufs Spielfeld oder in den anderen Block wirft? Straft dann aber richtig. Warum stellt man den Ultras Forderungen, von denen glasklar ist, dass sie niemals erfüllt werden? Und warum sind die Ultras oder alle, die sich "kritische Fans" nennen, gefühlt immer gegen alles? Definiert sich ein kritischer Fan denn über irgendetwas anderes als darüber, hauptsächlich aus der Anonymität einer Gruppierung oder gleich hinter einem trolligen Avatar versteckt mehr oder weniger unflätige Kritik zu üben? Und wann hört das auf, dass immer wer behauptet, in England in den Stadien sei die Stimmung schlecht und beim American Football in den USA erst recht?

Football schauen wir daheim eigentlich immer im NFL Game Pass, die Liga produziert längst viele Bilder und Inhalte selbst, qualitativ sehr hochwertige Inhalte, und vermarktet sie dann teilweise an Medienpartner. Manchmal schauen wir aber auch bei anderen Formaten vorbei, so wie zum Beispiel dem ganz hervorragenden Podcast "Football Bromance" der deutschen Experten Björn Werner und Patrick "Coach" Esume. Letzterer hat da neulich mal was interessantes gesagt: dass es nämlich auch in den USA Leute gebe, die nicht wollten, dass noch mehr als bisher NFL-Spiele im Ausland ausgetragen würden. In Deutschland, England, Mexiko, Brasilien usw. Und dass er das nicht verstehe – denn das Abendland gehe doch nicht unter, wenn von insgesamt über 250 Spielen ganze acht im Ausland ausgetragen würden. Und jetzt denke ich, was hier los wäre, wenn die DFL beschließt, ein oder zwei Spiele der Saison irgendwo im Ausland stattfinden zu lassen. Von den insgesamt neunmal 34 Spielen einer Saison findet eines im Ausland statt. Wäre das wirklich so schlimm?

Leute, rafft Euch mal!

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1 Kommentar verfügbar

  • Rebstock
    am 31.01.2024
    Antworten
    Und jetzt denke ich, was hier los wäre, wenn die DFL beschließt, ein oder zwei Spiele der Saison irgendwo im Ausland stattfinden zu lassen. Von den insgesamt neunmal 34 Spielen einer Saison findet eines im Ausland statt. Wäre das wirklich so schlimm? (Brot und Spiele)
    Ja , das wäre schlimm. Aus Jux…
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