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Franz Beckenbauer

Der freie Mann

Franz Beckenbauer: Der freie Mann
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An Gott kam nur Stan Libuda vorbei. Am verstorbenen Franz Beckenbauer kommt nicht mal unser Kolumnist vorbei. Am Freitag wird der Kaiser mit einer Gedenkveranstaltung in der Münchner Allianz-Arena geehrt.

Erste Kolumne im neuen Jahr steht an, mit Optimismus reinstarten war die Devise – und dann stirbt Franz Beckenbauer. Der bis zum Ausbruch der TikTok- und Twitter-Epidemie womöglich bekannteste Deutsche aller Zeiten. Noch im hintersten fernöstlichen Winkel, wenn man als Deutscher erkannt wurde, hieß es "Beckenbauer". Nur "Hitler" konnte da noch mithalten in Sachen weltweiter Bekanntheit.

Er hat immer in seiner eigenen Liga gespielt. Als Spieler 1970 mit dem Arm in der Schlinge im WM-Halbfinale gegen Italien. Weltmeister als Spieler 1974, als Trainer 1990 ebenso, nicht vielen gelang das. Jahrzehntelang, auch als Trainer, als Funktionär, als Vereinspräsident des FC Bayern München – gleichzeitig eine Kolumne bei "Bild", bei niemandem sonst vorstellbar. Tatsächlich fünf Kinder von gefühlt sieben, tatsächlich drei Frauen, fast wie Dschinghis Khan im Lied von Dschinghis Khan.

Mit noch nicht mal 18 erstmals Vater, das war seinerzeit ein echtes Ding und führte dazu, dass er auf Reisen mit der Jugend-Nationalmannschaft das Zimmer mit Trainer Dettmar Cramer teilen musste. Als Spieler trainingsfleißiger als die anderen, auch wenn das wegen seiner Pässe mit dem Außenrist, seiner Art, sich zu bewegen, nie so rüberkam. Beim VfB Stuttgart meinte ich später bei Hans-Peter Makan oder dem jungen Benjamin Pavard manchmal beckenbauerartige Bewegungsmuster zu erkennen. Als Trainer detailversessen und akribisch, trotz seines "geht's naus und spuits Fußball".

Scheinbar mühelos, folgenlos

Beckenbauer war Pionier in Sachen Werbung, auch dank seines damaligen Managers Robert Schwan, vom Suppenkasper zum Sänger. Als Weltstar zu Cosmos New York gewechselt, möglicherweise auch geflüchtet, weil er es mit seiner deutschen Steuererklärung sehr leicht genommen hatte. Mit Pelé in einem Team, von Warhol porträtiert, mit Muhammad Ali über Trainingsmethoden fachsimpelnd.

Noch heute erinnere ich mich an meinen Vetter in Stuttgart, natürlich VfB-Fan, in dessen Zimmer ich bis in die frühen Achtzigerjahre hinein häufig heimlich Horrorfilme und Dirty Harry geschaut habe. Drei Wimpel hingen dort an der Wand. VfB Stuttgart, FC Santos – und Cosmos New York. Und ganz egal, was der Franz sagte, und ganz egal, in welcher Sprache er es sagte: Er konnte immer alles sagen. Auch wenn es vielmals gar nix Besonderes war und manchmal auch blanker Unsinn. Er konnte immer alles machen, auch wenn es manchmal gar nicht so toll war. Eigene Liga halt.

Als Spieler, Trainer, Funktionär, Kolumnist, Schürzenjäger, Mensch – immer mit einer Leichtigkeit unterwegs, die sonst niemand draufhatte. Und auch bei noch so sinnfreien Aussagen oder Aktionen – gesegnet mit einer Folgenlosigkeit, die niemand sonst genießen durfte. Ob das daran lag, dass außer Franz Beckenbauer nur zwei Menschen jemals Weltmeister als Spieler und auch als Trainer wurden: Mario Zagallo mit Brasilien und Didier Deschamps mit Frankreich? Oder daran, dass Beckenbauer mit derselben scheinbaren Leichtigkeit auch die Weltmeisterschaft 2006 nach Deutschland holte, das sogenannte Sommermärchen, in dem nicht nur wegen des schönen Wetters in der zweiten Turnierhälfte das ganze Land sich so unbeschwert präsentierte wie nie zuvor? Geradezu ein Kaiserwetter hatte da geherrscht.

Und doch vom Sockel geholt

An den Kittel geflickt haben sie ihm eigentlich erst nach der zugegebenermaßen unklugen Behauptung im Jahr 2013, er habe in Katar "nicht einen einzigen Sklaven gesehen, die laufen da alle frei herum". In all dem Geschrei über die korrupte FIFA, den korrupten Fußball, die bösen Scheichs, da hatte er es womöglich mal übertrieben mit den flapsig dahingesagten Sachen. Da hatte er nicht wahrhaben wollen, dass sich der Zeitgeist geändert hatte, die Medienlandschaft an manchen Stellen nicht mehr die war, die er so lange beherrscht hatte. Da hatte er vielleicht auch unterschätzt, wie viele Leute hierzulande nur darauf warteten, diesen "Kaiser" endlich erden zu können.

Was ja dann wenige Jahre später auch funktionierte, als es, bis heute unerklärlich, gelang, das gesamte Thema "Fußball Weltmeisterschaft 2006" als durch und durch korrupt hinzustellen. Als unrühmliche Ausnahme quasi. Als ob nicht alle anderen Turniere seit spätestens 1974 durch Stimmenkauf, durch Zahlungen und Investitionen, durch Geschacher und Gefuchse in ihre jeweiligen Austragungsländer geholt worden wären. Als hätten nicht die größten deutschen Unternehmen riesige Invests in Südafrika zugesagt für die WM 2010, quasi im Gegenzug für den Zuschlag 2006. Als habe der Kaiser das Turnier nicht vor allem wegen seiner gewinnenden Art und Unermüdlichkeit nach Deutschland geholt, sondern weil er in ganz besonderem, unerhörtem Maße alle bestochen und gekauft und sich selbst die Taschen voll gemacht hätte.

Die Berichterstattung zu Franz Beckenbauer war lange Jahre so verehrend, dass man meinen konnte, der Kaiser könne übers Wasser gehen und es hernach in Wein verwandeln. Heiland Hilfsbegriff. Obwohl ausgerechnet Beckenbauer der große Vorreiter war in Sachen Kommerzialisierung, die wir heute so gerne kritisieren. Er war der erste deutsche Profi mit einem Manager, er war als erster Fußballer auch ein echter Werbestar, und er ging als Erster für viel Cash in die USA, in ein Land, wo Fußball bis dahin überhaupt nicht wichtig war.

Ab 2015 aber, da kippte das alles, war in Teilen eine durch und durch unwürdige Geschichte und trug Züge einer Hetzjagd. Bisweilen saßen wir da und fragten uns, ob er aus seinem österreichischen Exil gar nicht mehr rauskäme, weil er mit einer Verhaftung zu rechnen habe. Oder ob er all die gesundheitlichen Probleme nur vorgetäuscht hätte, um nicht vor Gericht erscheinen zu müssen.

Auch jetzt, nach seinem Tod, wo es Überlegungen gibt, das Stadion des FC Bayern in Franz-Beckenbauer-Stadion umzubenennen (was beim SSC Neapel nach Maradonas Tod eine Selbstverständlichkeit war), bringen es manche nicht fertig, ihm die Größe zuzugestehen, die er hatte. Da muss immer noch der "Schatten" kommen, da darf der Seitenhieb einfach nicht fehlen, als ob noch persönliche Befindlichkeiten und offene Rechnungen zu begleichen wären. Da musste, wie Stefan Osterhaus ihn in seiner besonders gelungenen Würdigung nennt, dem "freien Mann des deutschen Fußballs" Franz Beckenbauer die Freiheit genommen werden, die man ihm wohl allzu lange geneidet hatte.

Was heute aber auch auffällt: Seit sie zur Jagd auf den Kaiser geblasen haben, ging es bergab mit dem deutschen Fußball.

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1 Kommentar verfügbar

  • Beate Hugk
    am 18.01.2024
    Antworten
    Ist das Satire oder kann dieser weitere Beitrag zur Heiligsprechung eines konservativen, reichlich reaktionären deutschen Fußballprofis weg?
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