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Untersuchungsausschuss Polizeiaffäre BW

Zufällig den Po betatscht

Untersuchungsausschuss Polizeiaffäre BW: Zufällig den Po betatscht
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In der Landesverwaltung, vor allem bei Baden-Württembergs Polizei, gibt es keine strukturellen Probleme mit sexuellen Übergriffen. Sagt im Polizei-Untersuchungsausschuss jedenfalls die mit der Aktenprüfung betraute Amtsrichterin. Ihr lagen allerdings nur 85 Fälle zur Begutachtung vor.

Er stand nicht auf der Tagesordnung am vergangenen Freitag im Landtag, der gute Ruf der Einsatzkräfte im Südwesten. Aber seit der Suspendierung des früheren Inspekteurs der Polizei (IdP) Andreas Renner und seit der Brief-Affäre von CDU-Innenminister Thomas Strobl samt Strafbefehl, seit nächtliche Gelage und immerhin rund 300 Verdachtsfälle sexueller Belästigungen bekannt wurden, wird viel über Zustände und Stimmungen diskutiert – nicht nur, aber gerade unter Polizist:innen. Ergo wird die Botschaft von Bärbel Hönes große Erleichterung auslösen. Denn die Amtsrichterin, die vom Untersuchungsausschuss als Ermittlungsbeauftragte benannt wurde, sieht keine gravierende Versäumnisse.

Vor einem Jahr wurde Hönes vom Untersuchungsausschuss eingesetzt, um herauszufinden, ob es in punkto sexuelle Belästigung strukturelle Probleme gibt in Staats-, Innen-, Justiz- und Finanzministerium. Nun erläuterte sie den Abgeordneten im Ausschuss, wie sie die Situation in den Behörden sieht.

Schon zwei Stunden berichtet die 34-Jährige, als der Stuttgarter CDU-Abgeordnete Reinhard Löffler seine Zufriedenheit einfach nicht mehr bezähmen mag. Zum dritten oder vierten Mal bestätigt die Juristin auf Nachfragen ihr Urteil über die Zustände: "Eine ungeschriebene Behördenkultur nach dem Motto, wir beschmutzen unser Nest nicht, habe ich nicht festgestellt." Löffler strahlt und winkt Hönes zu mit nach oben gereckten Daumen. Seine Fraktionskollegin Christiane Staab, CDU-Obfrau im Ausschuss, spricht später vor Journalist:innen sogar von einem Meilenstein.

Das Lob ist verfrüht. Denn Hönes hat zwar einen knapp 70-seitigen, leicht fasslich formulierten Bericht vorgelegt, "nach bestem Wissen und Gewissen gearbeitet", wie sie erläutert, und in der Tat bei der Durchsicht der Akten zu sexuellen Übergriffen keine schwerwiegenden Fälle ausgemacht. Von den 300 gemeldeten hat sie, unter anderem wegen Fristverstreichung und den damit verbundenen Löschungen oder doppelt gemeldeten Vorkommnissen, am Ende überhaupt nur 91 Vorgänge ausgewertet. Und davon sind nach Einschätzung der früheren Sinsheimer Amtsrichterin 71 von "eher niederschwelliger Qualität". Nicht die einzige Formulierung, die die notwendige Präzision angesichts der heiklen Thematik vermissen lässt. "Im Großen und Ganzen", wiederholt die Ermittlungsbeauftragte mehrfach, sei mit den Vorwürfen innerhalb der Landesbehörden "ordentlich umgegangen" worden. Der SPD-Obmann im Ausschuss, Fraktionsvize Sascha Binder, verlangt nach einer Eingrenzung des Begriffs: "Ist das ein schwäbisches 'ordentlich', also heißt das: Alles war so weit okay?" Antwort: Sie könne statt "ordentlich" sagen: "Es war sicherlich gut, wie die Behörden mit Vorgängen umgegangen sind, aber in Einzelfällen nicht ganz so gut." Es heiße doch: "Die Kehrwoche ist ordentlich gemacht."

Ein naives Durcheinander der Begriffe

Je länger ihr Auftritt dauert, umso deutlicher werden die Schwächen dieser Herangehensweise. Hönes kann ihre Vorstellungen von ordentlich nicht klar umreißen, unklar bleibt auch, was eigentlich unter "niederschwellig" zu verstehen ist. "Die vorkommenden Berührungen an Gesäß und Brust sowie Küsse überschreiten natürlich die Erheblichkeitsschwelle, haben gleichwohl in der Gesamtschau überwiegend allenfalls mittlere Intensität", steht ohne weitere Erläuterungen auf Seite vier. Stattdessen diese leichtfertige oder gar naive Behauptung: "Von einer zufälligen Berührung ist beispielsweise auszugehen, wenn es im Rahmen eines bei einem Sporttag veranstalteten Volleyballspiels und dem damit verbundenen Jubel zu einer Berührung am unteren Rücken/Gesäß oder wenn es bei einem sich kreuzenden Laufweg zu einer Berührung am Gesäß gekommen sein soll."

Einen Klaps "auf Hintern" stuft Hönes' Bericht als Berührung ein, die nicht "als Nettigkeit" verstanden werden kann, der bewusste Griff oder Klaps "überschreitet deutlicher die persönliche Distanz". Wer meint, einer Kategorisierung der einzelnen Fälle von sexueller Belästigungen auf der Spur zu sein, wird im nächsten Satz bitter enttäuscht. Denn sogleich wird wieder relativiert: So habe eine Kollegin einen Kollegen mit einem Klaps aufs Gesäß in den Feierabend verabschiedet. Sexuell habe er sich nicht belästigt gefühlt, heißt es weiter, aber für unangemessen habe er das schon gehalten.

Der Vorhang zu und viele Fragen offen, erst recht im Kapitel "Anzüglichkeiten und Beleidigungen". Hönes surft durch die Thematik, macht selber mit einer Beschreibung deutlich, dass Aktenstudium bei Weitem nicht ausreicht, um sich ein belastbares Urteil zu erlauben.  "Objektiv unter keinem Gesichtspunkt" als sexuelle Belästigung stuft sie allerdings ein, dass ein Mann im Rahmen einer Besprechung zur anstehenden Gesundheitswoche von einer Kollegin ein gewaschenes T-Shirt entgegennimmt "und daran riecht". Vielleicht hätte sie sich an Erfahrungen aus ihrer Zeit als Handballerin erinnern und sich als Schiedsrichterin, als die sie inzwischen tätig ist, in eine solche Situation hineinversetzen sollen. Auf jeden Fall wird deutlich, dass Papier viel zu geduldig ist, um weitreichende Schlüsse über Sitten und Gebräuche in der Landesverwaltung zu ziehen.

Hönes musste für ihre Aufgabe von vornherein hinnehmen, dass das Innenministerium ihr in beträchtlichen Teilen unleserlich gemachte Dokumente zur Verfügung stellte. Zudem wurde den beteiligten Ressorts auch erlaubt, ihren Bericht vorab zu lesen. Das von Thomas Strobl geführte Haus reagierte mit einer Korrektur in einer Nebensache. Die Opposition im Ausschuss ist grundsätzlich unzufrieden mit einer solchen internen Vorabkommentierung. Vor allem die Grünen heben allerdings lobend hervor, dass hier zum ersten Mal überhaupt ein derartiger Ermittlungsbericht öffentlich zugänglich wurde. So sind auch die Berichte zum NSU nur teilweise publik gemacht.

Immerhin vermittelt die Veröffentlichung des Hönes-Berichts auch einen Eindruck von sanfter Kritik, etwa an der Aktenführung: "In vielen Verdachtsfällen erscheint sie nicht vollständig oder wenig strukturiert." Auch fehlten Vermerke und Verfügungen, und es sei nicht zu klären gewesen, ob die gar nicht erst ergangen oder nicht abgeheftet worden seien. Und: Allein das Polizeipräsidium in Karlsruhe, die einzige von einer Frau geführte Behörde ihrer Art im Land, habe interne Regelungen zur "einheitlichen, transparenten und nachvollziehbaren Bearbeitung von Disziplinarverfahren". Aus dieser Übersicht ergebe sich, "was zu veranlassen ist, wer zu informieren ist und auch, was zur Akte zu nehmen ist (…) nicht aber ob sie eingehalten wird".

Grüne und Opposition sind unzufrieden

Zudem ermöglicht die Veröffentlichung einen Abgleich mit deutlich breiter angelegten Analysen, allen voran mit Megavo, der bundesweiten Polizeistudie zu "Motivation, Einstellung und Gewalt im Alltag von Vollzugsbeamten" mit über 40.000 Online-Befragten. Allerdings beteiligt sich Baden-Württemberg daran nicht. Der Abschlussbericht liegt vor und vermittelt viele Details und Zusammenhänge, etwa dass Polizeibeamte, die sich sexistisch äußern, "mit höherer Wahrscheinlichkeit auch Wohnungslosen, Asylsuchenden und weiteren Gruppen gegenüber ablehnend reagieren". Oder dass von sexistischen Übergriffen nur drei Prozent der Befragten berichten, von Äußerungen hingegen mehr als 40 Prozent. Megavo wird, finanziert von Bund und den beteiligten Ländern, weitergeführt. Hönes hält ihre Arbeit indessen für abgeschlossen und gibt dem Untersuchungsausschuss keine Ideen oder Empfehlungen mit auf den Weg. "Weitergehende Ermittlungen sind aus Sicht der Ermittlungsbeauftragten nicht veranlasst", heißt es lakonisch.

Das sieht nicht nur die Opposition im Landtag ganz anders. Oliver Hildenbrand, der Grünen-Obmann, will sehr wohl noch einmal und vor allem mit einem breiten Ansatz sehr genau hinzuschauen. Und er zitiert die Ermittlungsbeauftragte, die selber gesagt habe, sexuelle Übergriffe könnten überall stattfinden, "wo Menschen miteinander in Interaktion treten". Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende verlangt "problembewusst" mit der Materie umzugehen. Strukturelle Probleme gebe es in der ganzen Gesellschaft, "und ich habe nie verstanden, warum einzelne Institutionen freigesprochen werden".

Zum Schwur kann es spätestens am Ende der Arbeit im Untersuchungsausschuss kommen. Denn die Grünen ordnen den vorgestellten Bericht allein als "Hellfeldbetrachtung" ein. Um sich mit der Dunkelziffer zu befassen, wird eine Arbeit mit einem breiteren interdisziplinäreren Ansatz angeregt, über die, wie Hildenbrand sagt, rein juristische Perspektive der Ermittlungsbeauftragten hinaus. Da wird sich zeigen, ob die CDU mitgeht, oder ob der "Meilenstein" ihr Schlussstein sein soll im Umgang mit sexuellen Übergriffen in den Landesbehörden, vor allem in Baden-Württembergs Polizei.

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