"E-Autos sind keine Lösung!", lässt "Bild" im August 2023 den Ex-Chef des Münchner Ifo-Instituts Hans-Werner Sinn zu Wort kommen: "Da grüner Flatterstrom es vorläufig nicht schafft und die Atomkraftwerke abgestellt sind, bedeuten mehr E-Autos mehr Braunkohleförderung und befördern Kohlenstoff in die Luft, der eigentlich versiegelt werden sollte." Diesen Unsinn darf der Professor-Emeritus unwidersprochen verbreiten. Tatsächlich fiel dank Zubaurekord bei Solarenergie die Bruttostromerzeugung durch Braunkohlekraftwerke im vergangenen Jahr auf das Niveau von 1963.
Damit nicht genug: "Niemand will E-Autos!", behauptete "Bild" im Juni und beruft sich auf "Sachsens Autohauskönig" Thomas Elitzsch. Angesichts von etwa 241.900 neu zugelassenen E-Autos in Deutschland zwischen Januar und August 2024 ist das zwar eine gewagte Behauptung. Aber wie auch schon bei den Kampagnen gegen Windenergie und Wärmepumpe ist "Springer" zur Stelle, wenn nachhaltige Alternativen fossile Geschäftsmodelle gefährden. "Ich glaube, wir reden uns in Deutschland die Elektromobilität derzeit ein wenig kaputt. Dagegen sehen wir ansonsten überall in der Welt Wachstum", sagte Ford-Deutschlandchef Martin Sander im April der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". "Wir sind fest davon überzeugt, dass das Elektroauto die Zukunft ist."
Unterschätzte Innovationskraft
Doch selbst seriöse Medien verbreiten Blödsinn. "Die aktuell verfügbaren Modelle haben meist um die 150 bis 230 Kilometer Reichweite", behauptete das Fachmagazin "Agrar heute" im Februar. Die durchschnittliche Reichweite von E-Autos liegt derzeit bei rund 400 Kilometern, betont dagegen der ADAC, "Technik und Reichweiten werden immer besser". Einige der neuesten Modelle müssen erst nach über 600 Kilometern an die Ladesäule.
Zur Verunsicherung trägt auch bei, dass FDP und Union unter dem Schlagwort "Technologieoffenheit" für synthetische Kraftstoffe (E-Fuels) trommeln, um das europaweit drohende Verbrenner-Aus ab dem Jahr 2035 auszuhebeln. Und das wider besseren Wissens, da E-Fuels ineffizient, teuer und kaum verfügbar sind. Mit finanziellen Anreizen will Lindner den Exotensprit trotzdem unters tankende Volk bringen. Marktwirtschaft hin oder her. "Wir haben verabredet, dass klimafreundliche Kraftstoffe steuerlich so behandelt werden wie Elektromobilität", sagte Lindner im April der "Augsburger Allgemeinen".
Souffliert vom VDA fordern Union und FDP zudem, die CO2-Flottenziele für die Auto- und Nutzfahrzeugindustrie zu "überprüfen". Ehrlicher gesagt: zu schleifen. Hintergrund ist der Stufenplan der EU zur Senkung des CO2-Ausstoßes von Neufahrzeugen, damit der Verkehr klimafreundlicher wird. Die Flottenziele der einzelnen Hersteller werden ab 2025 verschärft. Wird das Ziel verfehlt, drohen hohe Strafzahlungen. Erreichen lassen sich die strengeren Grenzwerte laut Analyst:innen nur mit mehr E-Auto-Verkäufen im kommenden Jahr, die den Schnitt drücken. Erwartet wird, dass Hersteller gezwungen werden, Rabatte für Verbrenner zu streichen und günstigere E-Modelle anzubieten.
Als einer der ersten forderte VW-Aufsichtsrat Hans Dieter Pötsch eine Streckung des Zeitplans. Schützenhilfe gab's dafür von den üblichen Verdächtigen: "Europa verliert an Glaubwürdigkeit, weil es Ziele vorgibt, die es selbst nicht erreichen kann", meinte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) vergangene Woche bei Eröffnung der Nutzfahrzeugmesse IAA Transportation in Hannover. CDU-Vize Spahn plädiert auch dafür.
Nicht alle jammern
Doch nicht alle jammern. "Ich bin gegen eine Verschiebung des Inkrafttretens der neuen Vorschriften", so Carlos Tavares, Vorstandschef von Stellantis, dem Mutterkonzern von Opel und Fiat. "Wir wissen seit Jahren, dass im nächsten Jahr strengere Grenzwerte eingeführt werden, und wir haben hart gearbeitet, um vorbereitet zu sein. Es ist nicht richtig, die Karten nur wenige Monate vor dem Startschuss für diese neue Herausforderung neu zu mischen", bekräftigte der Automanager kürzlich.
Wahr ist, dass die Listenpreise von Stromern noch höher als vergleichbare Verbrenner sind. Dass nach dem Auslaufen der Umweltprämie viele Hersteller bis heute Rabatte in gleicher Höhe einräumen, wird dagegen kaum berichtet. Ebenso, dass geleaste Stromer mitunter günstiger als Verbrenner sind. Aktuell ist das günstigste E-Auto, ein Dacia Spring, online zum monatlichen Preis von 99 Euro zu haben. Auch beim "Sprit" fahren E-Autos günstiger, erst recht, wenn der Strom von der eigenen PV-Anlage auf dem Hausdach kommt. Besonders sparsame Modelle kommen so bei knapp zwei Euro Ladekosten 100 Kilometer weit.
Viel zu selten wird über die sonstigen Vorteile von E-Autos berichtet. Etwa über das extreme Drehmoment der Motoren, das rasantes Beschleunigen ohne jegliches Ruckeln zulässt. Oder die leisen Betriebsgeräusche, die den Lärmpegel in verkehrsreichen Straßen spürbar senken. Nicht zuletzt sorgen E-Autos dafür, dass sich die Luftqualität in Innenstädten verbessert. Und sie ersparen das Einatmen krebserregender Benzindämpfe beim Tankstellenbesuch, der klimazerstörende Fossilkonzerne, skrupellose Oligarchen und Autokraten in ölexportierenden Ländern noch reicher macht.
8 Kommentare verfügbar
Peter Nowak
vor 5 TagenDas sieht man doch sehr konkret beim Tesla-Ausbau in Brandenburg. Große Teile der Bevölkerung befürchten, dass ihnen hier im wahrsten Sinne des Wortes das Wasser…