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VW-Krise

Die Geisterfahrer

VW-Krise: Die Geisterfahrer
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Bei VW sei die "Lage ernst", heißt es aus dem Konzern, Medien und Politik überschlagen sich. Dabei hat der Autobauer im vergangenen Jahr 18 Milliarden Euro Gewinn gemacht. Wohin ist dieses Geld eigentlich geflossen, fragt sich unser Autor und ist sauer, dass einmal mehr die Beschäftigten die Zeche zahlen.

Da haut es einem echt das Blech weg: der VW Konzern in einer Mega-Wirtschaftskrise! Aufkündigung des über Jahrzehnte bewährten Beschäftigungspakts mitsamt Werksschließungen, Entlassungen, Kurzarbeit und so weiter und so weiter. Alles steht beim größten deutschen Autobauer plötzlich in Frage. Und schuld daran ist – natürlich wieder mal der Habeck. Und/Oder zumindest die rot-grüne (und ein bisschen ex-liberale) Bundesregierung. Klar, wer denn auch sonst?

Im Grunde ist es ein Skandal. Und zwar nicht das Agieren der genannten Politiker, sondern die Kommentare von Medien, Fachleuten, Wissenschaftlern. An vorderster Stelle wieder mal mit dabei (wie immer wenn es um etwas mit vier Rädern geht) der anscheinend unvermeidliche "Autoforscher" Ferdinand Dudenhöffer, der allen Ernstes und unwidersprochen dieser Tage im Fernsehinterview behauptet hat, "der Habeck" sei an der VW-Krise schuld. Weil der ja schließlich auch die Elektroautoprämie gekillt habe. Weswegen der VW-Konzern automatisch in tiefroten Zahlen versunken sei. Und deshalb müsse jetzt dringend die Politik ran und sofort ihre Fehler korrigieren. Beispielsweise mit extra Steuervergünstigungen für E-Dienstwagen. Ausgerechnet Dienstwagen!? Ach, wie simpel kann die Welt doch sein.

Und wie faszinierend, dass alle diesen Blödsinn nachplappern.

Kritik ist absolut tabu

Aber Bullshit bleibt Bullshit, egal wie groß der Haufen auch sein mag. Denn ein kleiner Blick auf die Geschäftspolitik von VW, Porsche und Mercedes in den vergangenen fünf Jahren zeichnet ein völlig anderes Bild. Und da kenne ich mich ein wenig aus, denn ich habe bei Recherchen zu Büchern über die Autopioniere Daimler, Benz, Porsche und Bosch unzählige Konzernmitarbeiter von ganz oben und ganz unten getroffen, die ob der Geschäftspolitik ihrer Firmen nur noch resigniert den Kopf geschüttelt haben. Denn Kritik an der Führungsebene ist absolut tabu. Nun gut, immerhin stellen sich die nahezu Göttergleichen beim alljährlichen Betriebsfest tatsächlich mit dem Tablett in der Hand in die Schlange bei der Bratwurstausgabe und signalisieren damit: Schaut her, ich bin eine(r) von euch. Haha. Aber damit langt's dann auch wieder für die nächsten zwölf Monate.

Jahrelang hat man bei VW im Wahn, unbedingt der größte Autohersteller der Welt werden zu müssen, irrwitzige Absatzzahlen produziert. Jetzt sind die Zahlen um ein paar Prozent zurückgegangen. Und das soll nun die Krise sein? Dass man in Wahrheit seit Jahren eine völlig bescheuerte Strategie verfolgt hat und – egal ob VW, Mercedes oder Porsche – mit immer größeren Stielaugen auf die Rekordgewinne seiner teils absurd überdimensionierten Verbrennervehikel in China gestiert und dabei vor lauter Gier die Energiewende in der Automobilpolitik völlig verpennt hat, das wollen sie alle nun plötzlich nicht mehr wahrhaben. Dabei hat der jetzt plötzlich ach so notleidende VW Konzern im vergangenen Jahr noch 18 Milliarden Euro Gewinn gemacht – nach Steuern. In Worten: achtzehn (!) Milliarden.

Wohin sind diese Gewinne eigentlich gegangen? Ist davon ein Notgroschen für schlechte Zeiten übrig geblieben, oder ist das ganze schöne Geld jetzt futsch? Oder bei Aktionären und Aufsichtsräten gelandet, denen eine ordentliche Rendite schon immer lieber gewesen ist als teure Investitionen in die Zukunft? Denn schließlich hat so ein Verantwortungsträger ja auch teure Verpflichtungen. Wie beispielsweise an einer Bärenjagd in Osteuropa teilzunehmen, wie mir einer der maßgeblichen Anteilseigner des aktuell notleidenden Konzerns kurz vor Ausbruch des Ukrainekriegs geflüstert hat. Originalzitat: "Und der Putin, der war auch dabei. Und da haben sie mich dann betrogen: denn sie haben mir einen ausgestopften Bären nach Hause geschickt, der war viel kleiner als derjenige, den ich erlegt hatte!" Ja, auch dieser Mann hat seine Sorgen – wie soll er sich bei so viel negativem Stress dann auch noch um eine stimmige Angebotspalette seiner Autoschmiede kümmern? Scheißen, Krauthacken und dem Pfarrer die Hand geben: Alles gleichzeitig geht nun wirklich nicht!

Elektroantrieb verpennt

Das alles ist mir eigentlich egal und ich hätte den Ärger über meine zweijährige vergebliche Suche nach einem einigermaßen bezahlbaren Elektroauto von VW auch schon längst hinuntergeschluckt. Und ich hätte auch gerne verdrängt, dass ich dann notgedrungen zähneknirschend bei einem Hybrid von Skoda gelandet bin, auf den ich ein Jahr länger habe warten müssen, als vertraglich vereinbart. Das alles wäre mir wurscht: Wenn sie jetzt nicht mit diesem Elektroprämien-Habeck-Jammersong daherkommen und den Leuten weismachen würden, dass nicht sie es sind, die Autokonzerne, die den Elektroantrieb verpennt haben. Aber sie sind es! Denn sie haben schlichtweg nichts zu bieten gehabt – und haben es noch immer nicht –, während die Chinesen, über die man jahrelang nur milde gelächelt hat, längst das Heft des elektromobilen Handelns in die Hand genommen haben.

Und dann, wenn die Kacke so richtig am Dampfen ist, dann ruft man in den Konzernzentralen plötzlich wieder nach genau jenem Staat, den man sonst mit aller Gewalt draußen halten will. Das ist erbärmlich. Das ist jämmerlich. Und wir sollten nicht darauf hereinfallen. Egal, mit welcher Lautstärke die Autolobby ins Horn bläst. Es gibt nämlich nur eine Erkenntnis: Es sind nicht die Arbeitnehmer, die den Karren in den Dreck gefahren haben. Es ist die Gier der Manager, Aufsichtsräte und Aktionäre. Und deshalb darf es auch nicht sein, dass jetzt die Beschäftigten die Zeche bezahlen müssen und auch nicht die Steuerzahler. Es sind die sogenannten "Konzernlenker", die jetzt gefälligst ihren Job zu machen haben. Wenn sie das nicht können, dann sollten sie gehen. Und zwar rasch. Der alte Bosch rotiert längst in seinem Grab.

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4 Kommentare verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    vor 3 Wochen
    Antworten
    Zwei Überschriften die hierzu anregen:
    „Kritik ist absolut tabu“
    ► VDA März 2013 Wissmann: Deutsche Automobilindustrie erschließt konsequent Zukunftsfelder der… https://www.vda.de/de/presse/Pressemeldungen/3133
    Die deutsche Automobilindustrie setzt sich das Ziel, die Zukunftsfelder der…
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