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E-Fuels und CO2-Absaugung

Auf der Jagd nach Luftschlössern

E-Fuels und CO2-Absaugung: Auf der Jagd nach Luftschlössern
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Porsche setzt alles daran, synthetisches Benzin als umweltfreundliche Alternative zum Elektroauto anzupreisen. Doch bislang schneidet die E-Fuels-Fabrik in Chile nur in einem Bereich gut ab: beim Greenwashing.

Wie schnell die Zeit vergeht. Kurz vor Weihnachten 2022 ging im äußersten Süden Chiles die weltweit erste Fabrik für E-Fuels in Betrieb. Mit viel Pomp feierte der Stuttgarter Autobauer Porsche die ersten Tropfen synthetischen Benzins. Grund zur Freude bot das Versprechen, dass der Sprit "nahezu klimaneutral" sei. Zunächst 130.000 Liter wollte man im ersten Betriebsjahr von "Haru Oni" produzieren, exklusiv für Sportwagen aus Zuffenhausen. Dafür machte die Porsche AG 20 Millionen Euro locker. Zudem sicherte man sich für 75 Millionen Dollar 12,5 Prozent an der Betreiberfirma HIF Global (Kontext berichtete).

Anders als der heimische Konkurrent Mercedes, der bis Ende des Jahrzehnts – zumindest "überall dort, wo es die Marktbedingungen zulassen" – nur noch vollelektrische Autos verkaufen will, möchte Porsche am Verbrennungsmotor festhalten. Michael Steiner, Vorstandsmitglied für Forschung und Innovation, beteuerte jüngst: "Dass die Mobilität der Zukunft umweltfreundlich und nachhaltig sein sollte, steht außer Frage." Geschrieben hat er das im Sammelband "Antriebswende", herausgegeben von Baden-Württembergs grünem Verkehrsminister Winfried Hermann. Steiner erwähnt dort auch, dass er sich als Ingenieur manchmal nur wundern könnte, wie einige Teile von Politik und Gesellschaft die Realität bewusst oder unbewusst ausblenden: "Im Sinne des Umweltschutzes würde ich mir an dieser Stelle mehr technisches Verständnis für die physikalischen Sachzusammenhänge wünschen."

Die Argumentation des Porsche-Vorstands zielt darauf ab, E-Fuels als sinnvolle Alternative zum Elektroauto darzustellen, da mit ihrer Hilfe auch Verbrennungsmotoren "potenziell nahezu CO2-neutral im Verkehr angetrieben werden" könnten. Doch gerade mit Blick auf die physikalischen Sachzusammenhänge der Realität tun sich hier einige Fragen auf. So fällt die Bilanz von Haru Oni nach einem Betriebsjahr dürftig aus. Im November, elf Monate nach der Eröffnung, konnte erstmals eine Miniladung E-Fuels nach Übersee exportiert werden. 24.600 Liter synthetisches Benzin wurden im speziellen Isotank nach Großbritannien verschifft. Empfänger der explosiven Fracht: das Porsche Experience Center in Silverstone. Nicht etwa in der Logistik lebensnotwendiger Güter, sondern auf einer berühmten Motorsport-Rennstrecke wurde der kostbare Kraftstoff verheizt, um ein paar Runden zu drehen.

Bislang wird gar kein CO2 abgesaugt

Noch enttäuschender ist, dass die Fabrik ihr Klimaversprechen bricht. Zwar liefert eine Windturbine sauberen Strom für die energiefressenden Syntheseprozesse. Bis heute fehlt es jedoch an der in Aussicht gestellten "Direct Air Capture" (DAC). In derartigen Anlagen wird Umgebungsluft über Ventilatoren angesaugt und strömt durch ein Filtermaterial, an dem die klimarelevanten CO2-Moleküle haften bleiben. Ist der Filter gesättigt, wird er erhitzt. Anschließend lässt sich das konzentrierte CO2 als reines Gas aus dem Filter ableiten und für die Synthese von Kraftstoffen verwenden. Nur so verdienen diese streng genommen das Label "klimaneutral": Bei ihrer Verbrennung entweicht nur genauso viel Treibhausgas in die Atmosphäre, wie ihr zuvor entzogen wurde.

Doch das ist in Südchile nicht der Fall: Tankwagen liefern das Treibhausgas an, wie im Frühjahr zufällig durch ein Youtube-Video bekannt wurde. Erst als Medien wie Kontext hierzulande darüber berichteten, gestand Porsche ein, dass man CO2 aus einer "biogenen Quelle" beziehe. Welche das genau ist, verrät das Unternehmen trotz Nachfrage nicht. Die größten CO2-Quellen in der dünn besiedelten Region vor Ort sind immer noch fossiler Natur: Öl- und Gasförderung bilden das industrielle Rückgrat der Region. Auch wenn diese nicht angezapft werden, so ist Haru Oni seit der Video-Enthüllung ein Fall von Greenwashing: Ohne DAC-Anlage halten die E-Fuels – anders als bislang immer suggeriert – die Erderwärmung nicht auf. Vielmehr belasten auch sie durch Emissionen bei Herstellung und Transport das Klima zusätzlich.

Sollte sich daran nichts ändern, wäre das fatal. Denn bis 2025 soll das Produktionsvolumen der Pilotfabrik auf 55 Millionen Liter pro Jahr steigen. Zwei Jahre später soll die Kapazität schon 550 Millionen Liter betragen. Die dafür benötigten riesigen Mengen an "biogenem" CO2 sind offenbar nicht verfügbar, wie eine Ankündigung von HIF Global aus dem vergangenen März nahelegt. Gemeinsam mit dem US-Öl- und Gaskonzern Baker Hughes wolle man ein neu entwickeltes Verfahren testen, um den "Einsatz von DAC im kommerziellen Maßstab zu beschleunigen", hieß es damals. Damit könnten künftig 25 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr vor Ort abgeschieden und 150.000 Barrel (rund 24 Millionen Liter) E-Fuels produziert werden. Das wäre ein Vielfaches dessen, was die aktuell existierende Technik zu leisten vermag: Der bislang weltweit größte DAC-Komplex "Orca" auf Island entzieht der Luft 4.000 Tonnen CO2 pro Jahr, also nur 0,016 Prozent dessen, was HIF Global und Baker Hughes anpeilen.

Bald wurde klar, dass man viel zu viel versprochen hatte. Ende August berichtete die "Wirtschaftswoche", dass HIF Global und Porsche ihre Pilotanlage mit einer CO2-fangenden Technik ausrüsten wollen, die von der US-Firma Global Thermostat geliefert wird. Aktuell stehe die noch beim Hersteller in Denver, Colorado, wo sie optimiert werde. In der ersten mittelgroßen Ausbaustufe, die 2026 fertig werden soll, plane das Konsortium mit CO2 aus einer Biogasanlage, die Abfälle aus der Holzwirtschaft verwertet. "Erst in der zweiten Ausbaustufe soll CO2 direkt aus der Luft gewonnen und verarbeitet werden", beruft sich die "Wirtschaftswoche" in dem Bericht auf Rolf Schumacher, den deutschen Chief Innovation Officer von HIF Global.

Minischritte sind plötzlich Meilensteine

Global Thermostat gilt in den USA als Pionier der DAC-Technik. Nach Kontext-Recherchen feierte die Firma erst im April mit viel Politprominenz die Inbetriebnahme einer DAC-Demonstrationsanlage. Diese soll eine Kapazität von 1.000 Tonnen CO2 pro Jahr haben. "Wenn die Menschheit den Kampf gegen die Klimakrise gewinnt, dann ist das heute ein wichtiger Tag, ein Meilenstein in diesem Handeln", sagte die demokratische Politikerin Nancy Pelosi, ehemals einflussreiche Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, während des Events.

Weniger euphorisch klingt ein Bericht des US-Technikportals "The Verge" im April über das Unternehmen und seine Anlage. "Die Abscheideleistung ist ziemlich dürftig – das entspricht in etwa den jährlichen Emissionen von etwas mehr als 200 spritfressenden Autos", heißt es darin.

Noch seltsamer sei, dass Global Thermostat mit dem abgeschiedenen Gas überhaupt nichts mache. "Im Moment fängt das Werk in Colorado das CO2 auf und setzt es frei – was natürlich nichts zur Reduzierung der Treibhausgasbelastung beiträgt", kritisiert das Magazin. Darüber hinaus sei die Anlage ans Stromnetz angeschlossen und verbrauche konventionell erzeugten Strom, wodurch noch mehr Treibhausgasemissionen entstehen. "DAC-Technologien sind bekanntermaßen energieintensiv, obwohl das Unternehmen die Maschinen nicht kontinuierlich laufen lässt, sondern nur hin und wieder einschaltet, um die Ausrüstung zu testen", moniert der Bericht. "Die Anlage muss erst zeigen, dass sie auch funktioniert", schlussfolgert "The Verge".

Die Auftraggeber in Chile und Stuttgart lasen den Bericht offenbar ebenfalls. Anfang September verkündeten sie auf der Internationalen Automobilausstellung IAA in München, die Dinge selbst in die Hand nehmen zu wollen. Man habe sich mit Porsche und dessen Mutterkonzern Volkswagen darauf geeinigt, in Haru Oni im kommenden Jahr eine eigene DAC-Anlage zu installieren, vermeldete HIF Global. "Wir denken über die Integration einer DAC-Pilotanlage im E-Fuels-Werk in Chile nach", wird Entwicklungsvorstand Steiner im Porsche-Newsroom zitiert.

Immerhin gibt es das Modell einer Anlage

Am IAA-Stand von VW war ein Modell der Anlage ausgestellt. Doch Porsche schwebt Größeres vor. Um die globale Erwärmung zu verlangsamen, müssten die Emissionen reduziert und CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden. Gleichzeitig würde in vielen Herstellungsprozessen CO2 als Rohstoff benötigt, heißt es weiter im Newsroom. "Warum also nicht beides miteinander verbinden? Daran arbeiten wir. Wir wollen ein industrielles Direct-Air-Capture-Verfahren zur Serienreife bringen", verkündete Steiner auf der IAA.

Offenbar wollen die Schwaben neben Autos künftig auch CO2-Abscheideanlagen bauen. Darauf deutet auch ein "Letter of Intent zu DAC" hin, den Porsche-Vorstandsvize Lutz Meschke und Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) vergangene Woche im Rahmen des Strategiedialogs Automobilwirtschaft unterzeichneten. Die Kooperation soll dazu beitragen, das Marktpotenzial der Technologie in Baden-Württemberg zu heben.

Das weltweite Potenzial ist gigantisch. Nach dem Weltklimarat IPCC lässt sich die Erderwärmung nur auf 1,5 oder 2 Grad begrenzen, wenn die Menschheit nicht nur sofort ihre Treibhausgasemissionen drastisch reduziert, sondern in den nächsten Jahrzehnten auch Milliarden Tonnen an Kohlendioxid wieder aus der Luft einsammelt und dauerhaft wegspeichert. Seit der industriellen Revolution hat sie um die 2.500 Milliarden Tonnen des Klimagases emittiert, die zuvor in Form von Öl, Gas, Kohle und Kalkstein im Boden gebunden waren.

CO2-Absaugen braucht extrem viel Strom

Laut der Universität Oxford spielt die CO2-Entnahme (Carbon Dioxide Removal, CDR) bislang nur eine marginale Rolle: Jährlich werden nur zwei Milliarden Tonnen CO2 abgeschieden – bei einem Ausstoß von fast 40 Milliarden Tonnen. Dabei wird CDR derzeit hauptsächlich durch Aufforstung CO2-absorbierender Wälder oder Wiedervernässung von trockengelegten Feuchtgebieten praktiziert. Nur ein winziger Teil – etwa 0,1 Prozent – wird durch neue Technologien gebunden, wie etwa DAC.

Wie weit der Weg noch ist, zeigt eine Studie in der Fachzeitschrift "Nature". Demnach wären 3.683 DAC-Anlagen mit einer CO2-Entnahmeleistung von 100.000 Tonnen pro Jahr aktuell nötig, um der Atmosphäre nur ein Prozent der jährlichen CO2-Emissionen zu entziehen. Der Strombedarf dieser Anlagen würde das derzeit verfügbare globale Stromangebot überschreiten – das bislang vor allem auf fossilen Energien basiert. Um nennenswerte Mengen an CO2 abzusaugen, müsste die Produktion erneuerbarer Energie massiv steigen, schreiben die Autor:innen.

DAC ist zudem kostspielig. Derzeit kostet es rund 800 bis 1.000 Euro, eine Tonne CO2 aus der Luft zu holen. Das ist im Vergleich zum klassischen Emissionshandel, mit dem Unternehmen ihre eigenen Emissionen zumindest auf dem Papier neutralisieren können, noch extrem teuer. Aktuell ist der CO2-Preis in Europa auf unter 70 Euro pro Tonne gesunken. Gründe dafür sind die milden Wetterbedingungen, die starke Einspeisung von erneuerbaren Energien sowie eine schwache Stromnachfrage aufgrund nachgebender Konjunktur.

Zurück nach Südchile. Auch wenn in der E-Fuels-Fabrik Haru Oni eines Tages Kohlendioxid direkt aus der Luft abgesaugt wird, einen messbaren Effekt auf das Klima wird es nicht haben. Nach Angaben von HIF Global soll es sich bei der nun im dritten Anlauf geplanten DAC-Anlage um einen Prototyp handeln, der als "ergänzende Lösung bis zu 600 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr direkt aus der Atmosphäre filtert". Nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein – auf dem besorgniserregend große Hoffnungen in Politik und Wirtschaft ruhen.

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3 Kommentare verfügbar

  • Gast
    am 16.12.2023
    Antworten
    Von der Reichsflugscheibe Haunebu II gibt bzw gab es auch ein Modell.

    Derweil haben in China 85% der neu zugelassenen Busse Batterie/Elektroantrieb. Die Natrium Batterie wird einen Tesla3 rund 5.000 Euro billiger machen, Produktion der Batterie laeuft seit Q2 3023.

    Aber der Endsieg ist…
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