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E-Fuels

Die Luft ist raus beim Porsche-Kunstsprit

E-Fuels: Die Luft ist raus beim Porsche-Kunstsprit
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Synthetische Kraftstoffe gelten als Rettung für klimaschädliche Verbrennungsmotoren. Erst im Dezember feierte Porsche im Süden Chiles die Inbetriebnahme einer Anlage, die derartige E-Fuels produziert. Jetzt stellt sich heraus: Anders als behauptet, heizt auch der Sprit aus Patagonien die Erde weiter auf.

Es war eine Sause mit viel Prominenz und noch mehr PS: Kurz vor Weihnachten vergangenes Jahr lud Porsche ins 14.000 Kilometer entfernte Patagonien, um die Inbetriebnahme der Spritfabrik Haru Oni zu feiern. Rund 20 Millionen Euro hat der Stuttgarter Autobauer in die Pilotanlage an der Südspitze Chiles investiert, die als weltweit erste ihrer Art jährlich hunderte Millionen Liter E-Fuels erzeugen soll. Für einen elfprozentigen Anteil an der Betreibergesellschaft HIF Global zahlte Porsche zudem 75 Millionen Euro. Feierlich betankte Barbara Frenkel, aus Zuffenhausen eingeflogene Porsche-Vorständin, einen enzianblauen 911er mit dem "völlig neuen, fast kohlenstoffneutralen Kraftstoff". Anschließend driftete Entwicklungschef Michael Steiner vollgetankt übers staubige Werksgelände unweit der Regionshauptstadt Punta Arenas, berichtet der Newsroom des Konzerns.

Grund für die Feier: Mit E-Fuels sollen Porsche-Fans künftig mit reinem Gewissen über hiesige Autobahnen brettern können. Denn anders als fossiles Benzin heizt der Kunstsprit die Erde nicht auf. Bei der Verbrennung wird zwar Kohlendioxid freigesetzt, jedoch nur so viel, wie zuvor bei der Spritsynthese aus der Luft abgesaugt wurde. Bilanziell wird so kein Treibhausgas ausgestoßen, heißt es auf dem Haru Oni-Projektportal. Dies betonen alle Projektpartner, zu denen neben den deutschen Unternehmen Porsche und Siemens Energy auch der US-Ölriese ExxonMobil gehört, der jahrzehntelang die Klimaforschung mit Desinformation zu diskreditieren versucht hatte.

Nur mit aus der Luft gefiltertem CO2 klimaneutral

Inzwischen gibt es jedoch Zweifel an den E-Fuels made in Patagonien. Der Synthesesprit scheint nicht so nachhaltig zu sein, weil die Pilotanlage kein sogenanntes Direct Air Capture (DAC) nutzt. Eine derartige Anlage ist Bedingung, um Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre abzuscheiden. Stattdessen behelfen sich die Betreiber mit "recyceltem" Kohlendioxid, das offenbar fossilen Ursprungs ist. Damit erfüllt der Sprit nicht die Anforderungen, die auch die internationale E-Fuels Alliance für erneuerbare Kraftstoffe nennt: Nur mit aus der Luft gewonnenem CO2 sind E-Fuels klimaneutral.

Wohl deshalb machten HIF Global und Porsche bislang ein großes Geheimnis um die CO2-Abscheidung, indem sie in allen Publikationen ihr Fehlen verschwiegen. Gelüftet wurde es erst durch den US-amerikanischen Youtuber Zach Jobe. Der wollte sich die E-Fuel-Produktion genauer ansehen und reiste dafür zum Haru-Oni-Werk "ans Ende der Welt". Seine Eindrücke lud er am 20. März auf dem Youtube-Kanal "Donut Media" hoch. In dem elfminütigen Video präsentiert er die Syntheseschritte, bevor er mit einem Porsche Panamera zur E-Fuel-Testfahrt losbraust.

Bei der CO2-Abscheidung aus der Luft musste der Youtuber passen. "Die Anlage gibt es noch gar nicht", sagt Jobe im Video. Stattdessen liefern Lkw das Gas, erläutert er, während im Hintergrund ein Tanklaster des Industriegase-Konzerns Linde zu sehen ist. Auf diesem prangt gut erkennbar die chemische Formel "CO2". Damit sei das patagonische E-Fuel nicht richtig grün, sondern "auch etwas braun", bemerkt Jobe in dem Video, das inzwischen über 1,2 Millionen Mal aufgerufen wurde. Denn schließlich lande ohne DAC doch zusätzliches Kohlendioxid in der Luft. Ergo: Das klimaneutrale Etikett, das Porsche & Co. dem Sprit aus Haru Oni umgehängt haben, ist Etikettenschwindel.

Zufall oder nicht? Nahezu zeitgleich mit dem Besuch des US-Youtubers gab HIF Global per Pressemitteilung eine "Zusammenarbeit bei der Entwicklung einer Technologie zur Abscheidung von Kohlendioxid direkt aus der Atmosphäre" bekannt. Gemeinsam mit dem US-Konzern Baker Hughes wolle man ein neu entwickeltes Verfahren testen, um den "Einsatz von DAC im kommerziellen Maßstab zu beschleunigen". Im Detail geht es um sogenannte metallorganische Feststoffe (MOF), an denen das amerikanische Start-up Mosaic Materials forscht. Die Firma wurde im April 2022 von Baker Hughes übernommen, um das Portfolio bei Abscheidung, Nutzung und Speicherung von Kohlendioxid, Fachbegriff: Carbon Capture Utilisation and Storage (CCUS), zu erweitern. Zuvor hatte sich der in Housten, Texas, ansässige Konzern auf die Erdöl- und Erdgasförderung konzentriert.

Mit der MOF-Technik will HIF Global laut Mitteilung künftig 25 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr abscheiden und mit grünem Wasserstoff kombinieren. Täglich sollen so 150.000 Barrel (rund 24 Millionen Liter) E-Fuels produziert werden. "Damit lassen sich mehr als 5 Millionen Fahrzeuge, die heute im Einsatz sind, dekarbonisieren", wird Cesar Norton, CEO von HIF Global, in der Aussendung zitiert. Man könne die DAC-Technologie von Mosaic an zwei "Pionierstandorten" nutzen: in Haru Oni in Chile und im texanischen Matagorda County, wo ab 2024 eine E-Fuels-Produktion aufgebaut werden soll. Wann die CO2-Abscheidung wo einsatzbereit ist, verrät die Aussendung nicht.

Klimakatastrophe schafft einen neuen Milliardenmarkt

Dabei gibt es längst kritische Stimmen. "DAC gehört 'leider' zu den Zukunftstechnologien, die zum Erreichen unserer Klimaziele mittlerweile als unerlässlich gelten", heißt es im Expertenportal und Fachmedium energie-experten.org. Die Klimakatastrophe schaffe damit einen "neuen Milliarden-Markt – teilweise für die, die die Klimakrise mit verursacht haben – und birgt die Gefahr, zum Selbstzweck zu werden." Unklar sei auch, ob die Gesellschaft bereit sei, für ihren jetzigen Lebensstil zukünftig Milliarden-Kosten auf nachfolgende Generationen abzuwälzen, um das CO2 wieder technisch aufwändig aus der Atmosphäre zu filtern.

Zudem ermögliche die Kohlendioxidabscheidung auch die Energiegewinnung aus fossilen Brennstoffen und behindere dadurch einen konsequenten Ausbau erneuerbarer Energien, warnen die Energie-Experten: "Werden mit CCU Kraftstoffe hergestellt und gleich wieder verbrannt, dann ist im Grunde nichts gewonnen. Letztendlich schiebt dann CCU die Emissionen aus fossilen Energien in die Atmosphäre nur auf."

CO2 aus der Luft

Um das 1,5-Grad-Szenario von Paris zu halten, sind laut Internationaler Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) etwa 20 Prozent der dafür erforderlichen CO2-Emissionsminderungen in irgendeiner Form mit Kohlenstoffabscheidung verbunden. Dies entspricht der Beseitigung von 7,38 Gigatonnen CO2 pro Jahr (7.380.000.000 Tonnen). Unter Annahme eines CO2-Preises von 137 US-Dollar pro Tonne würde der Abscheidungsmarkt eine Billion Dollar erreichen. "Für Unternehmen, die Projekte zur Kohlenstoffabscheidung entwickeln, besteht also ein erhebliches Ertragspotenzial", heißt es auf energie-experten.org.

Sind E-Fuels für Pkw sinnvoll? Nein, sagt eine Studie der Deutschen Energieagentur Dena: Allein die Notwendigkeit, fossiles Kerosin in der Luftfahrt bis 2050 weltweit durch klimaneutrale Kraftstoffe zu ersetzen, erfordert einen gigantischen DAC-Bedarf. Aufgrund begrenzter Verfügbarkeit von Biokerosin muss im Jahr 2050 fast 60 Prozent des Flugbenzins E-Kerosin sein. Über 90 Prozent des CO2-Bedarfs für die E-Kerosin-Produktion muss dann durch DAC gedeckt werden. In Summe wären das 161 bis 281 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr in Europa und 102 bis 176 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr in den USA.

2022 gab es weltweit aber nur 27 operative Projekte zur Kohlenstoffabscheidung, davon 13 in den USA, die nur einen sehr kleinen Teil der CO2-Emissionen einfangen. Diese Zahl müsste auf Hunderte oder sogar Tausende von Anlagen weltweit anwachsen. Daher werden DAC-Technologien auch staatlich gefördert. Unter anderem auch vom baden-württembergischen Verkehrsministerium. Eine Direct Air Capture-Forschungsanlage soll am Stuttgarter Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZSW) betrieben werden. Die Anlage mit einer Erzeugungskapazität von bis zu 100 Tonnen CO2 pro Jahr wird vom Wirtschaftsministerium gefördert.  (les)

Daneben gelten E-Fuels als untauglich für eine Verkehrswende in Deutschland. Extremer Energiebedarf bei Herstellung, geringe Verfügbarkeit sowie hoher Preis sprächen dagegen, sagen Forscher wie Ökonomen – und raten, auf batterieelektrische Fahrzeuge zu setzen. Eingesetzt werden sollten sie nur, wo Elektrifizierung schwer oder nicht möglich ist, etwa im Luftverkehr (siehe Kasten).

Dessen ungeachtet trommelt hierzulande die FDP seit Monaten für E-Fuels. Unter dem Schlagwort Technologieoffenheit stellten die Liberalen zuletzt das bereits beschlossene Verbrenner-Aus in der EU ab 2035 in Frage. Bundesfinanzminister und Porsche-Fan Christian Lindner sowie Verkehrsminister Volker Wissing argumentierten auch mit Verweis auf Haru Oni, dass Verbrenner mit E-Fuels betankt eine goldene Zukunft haben. Steuergeschenke sollen den Kunstsprit wettbewerbsfähig machen, kündigte Lindner bereits an. Das scheint auch notwendig. Derzeit kostet ein Liter chilenisches E-Fuel stolze 9,65 Euro, wie Youtuber Jobe aufgeregt in seinem Video erzählt.

Nicht genug Biomasse für Kohlenstoffabscheidung

Trotzdem beklatschten im vergangenen Dezember der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) und Christoph Reisinger, Chefredakteur der "Stuttgarter Nachrichten", die Inbetriebnahme von Haru Oni. Beide waren einer Porsche-Einladung ans Ende der Welt gefolgt. Von der Betreiberfirma HIF Global wurde Hermann in Pressesendungen mit lobenden Worten zitiert. Reisinger übersandte einen wohlwollenden Bericht ("Porsche setzt Meilenstein für E-Fuels") ins Stuttgarter Pressehaus.

Nachdem Kontext kritisch über seinen Auftritt in Südchile berichtet hatte, konnte der Verkehrsminister in einem Interview seine Argumente nochmals darlegen. Dass in Haru Oni recyceltes Kohlendioxid verwendet wird, erwähnte er dabei nicht. Hatten die Gastgeber es verschwiegen? "Bei der Inbetriebnahmefeier wurde von HIF – auch gegenüber Journalistinnen und Journalisten – kommuniziert, dass in der ersten Pilotphase noch keine DAC-Anlage vorhanden sei. Derzeit werde 'grünes' biogenes CO2 verwendet", antwortet Hermann heute auf Kontext-Anfrage. Dies bestätigt auch HIF Global auf Nachfrage. Man untersuche für die Pilotanlage gerade, ob biogenes COs oder die DAC Technologie von Baker Hughes kostengünstiger regulatorische Vorgaben erfülle.

Was neue Fragen aufwirft. So entsteht biogenes CO2, indem Biomasse von Mikroorganismen zersetzt wird. Im industriellen Maßstab geschieht dies in Bioethanol- und Biogas-Anlagen. Als Ausgangsstoff eignen sich unter anderem nachwachsende Rohstoffe wie Mais oder Gerste. Außerdem werden auch Rest- und Abfallstoffe eingesetzt. An der dünnbesiedelten und klimatisch kalten Südspitze Chiles wächst allerdings nicht ausreichend Biomasse für eine nennenswerte Kohlenstoffabscheidung. Dafür gibt es umso mehr fossile Energiegewinnung und -verarbeitung mit reichlich CO2-Emissionen. So fördert der chilenische Mineralölkonzern ENAP in der Region an Land wie von Meeresplattformen Erdöl und betreibt nahe Punta Arenas Mineralölraffinerie. Das staatliche Unternehmen ist Projektpartner von Haru Oni. Beim industriellen Hochlauf der E-Fuels-Produktion in einer neuen Anlage werde auch in Erwägung gezogen, CO2 industriellen Ursprungs zur Synthese zu verwenden, so eine Sprecherin von HIF Global.

Kontext fragte auch Porsche detailliert nach der Klimaverträglichkeit ihres E-Fuels. Ein Sprecher des Konzerns übersandte statt Antworten einen Link auf einen Newsroom-Beitrag, in dem der Synthesesprit aus Chile im Stile eines Werbetextes angepriesen wird.


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11 Kommentare verfügbar

  • Martin
    am 22.09.2023
    Antworten
    UPDATE: Bei der IAA wurde der Bau einer DAC Anlage angekündigt, siehe: https://hifglobal.com/news/ . Diese wird 2024 CO2 liefern, nämich 600 t.

    Die ganze Anlage liefert nur 130 ooo l/Jahr Sprit. Das ist für mich das grössere Problem: Mit dieser Menge kann man bei einer Fahrleistung von 15ooo…
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