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Sprinter-Maut

Saubere Antriebe antreiben

Sprinter-Maut: Saubere Antriebe antreiben
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Kleintransporter sind höchst beliebt bei Speditionen, bei Paketdiensten oder im Handwerk. Denn bisher sind sie mautfrei unterwegs. Jetzt müssen sie zahlen. Und Baden-Württemberg heckt, ganz im Sinne der EU, schon neue Pläne aus, um den Straßenverkehr einzudämmen.

"Zukunftsweisend, effizient, zuverlässig", so bewirbt die Automobilindustrie leichte Nutzfahrzeuge als "das Rückgrat von Wirtschaft und Handwerk". Keine Maut, lasche Arbeitszeitvorschriften, dazu komme: "sie können rasen, wie sie wollen", so gießt Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) Wasser in den Werber-Wein. Das führe dazu, "dass in kleinen Lkw mit Scheinselbstständigen viele kleine Transporte gemacht werden, die man eigentlich mit großen Lkw machen könnte, die aber teurer sind als die kleinen". Dieser Entwicklung müsse Einhalt geboten werden, denn die "Versprinterung" mache die Straßen gefährlich voll, "und sie ist auch noch klimaschädlich".

Mehrmals ist der Grüne trotz der Skepsis des Koalitionspartners CDU im Bundesrat vorstellig geworden. Vor Weihnachten, nachdem der Bundestag gegen den Widerstand von Union und AfD neuen strengeren Regeln zugestimmt hatte, konnte er Vollzug melden. Denn ab 1. Januar 2024 müssen Kleinlaster ab dreieinhalb Tonnen differenziert nach ihrem CO2-Ausstoß zahlen. Im Einigungspapier von SPD, Grünen und FDP nach der überlangen Sitzung des Koalitionsausschusses Ende März ist das Vorhaben noch einmal bekräftigt. Sogar die Ausweitung auf Nutzfahrzeuge ab zweieinhalb Tonnen ist von der Ampel bereits angedacht, muss aber noch ausdiskutiert werden.

Genutzt werden die Möglichkeiten der veränderten EU-Wegekostenrichtlinie. Die wird zwar einerseits kritisiert, weil unionsweite strengere Regeln gescheitert sind, andererseits öffnet sie willigen Mitgliedsstaaten neue Spielräume, um etwa den CO2-Ausstoß oder den verursachten Lärm in die Bepreisung mit einzubeziehen. Zudem will die Ampel die Möglichkeit nutzen, einen größeren Teil der Einnahmen in Schiene und Wasserstraßen zu stecken statt nur in den Straßenbau. Das sei von großer Bedeutung, sagt der Nürtinger Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel (Grüne), denn beide Verkehrsträger seien "seit Jahrzehnten deutlich unterfinanziert".

Lkw-Maut auf Landes- und Kommunalstraßen

Mehr der so dringend benötigten Mittel könnten fließen, würde Hermann einen weiteren Plan erfolgreich umsetzen. Die Südwest-CDU, die in den Koalitionsverhandlungen mit den Grünen bekanntlich viel unterschrieben hat, um wieder regieren zu können, trägt eine ganz spezielle Formulierung mit. Denn sollte sich eine Ausweitung der Lkw-Maut auf Landes- und Kommunalstraßen "nach Schweizer Vorbild" nicht bundesweit realisieren lassen, "streben wir in der zweiten Hälfte der Legislatur eine geeignete landesrechtliche Regelung an". Die Ampel in Berlin schweigt dazu allerdings, weil die FDP sich querlegt.

Also hat der Minister die Ausgangslage für ein Land juristisch inzwischen prüfen lassen. Sein Appell an die Bundesregierung ist unmissverständlich: Um einen Flickenteppich zu vermeiden, hat er die "dringende Bitte" geäußert, aktiv zu werden, "aber wenn das nicht klappt, müssen wir einen eigenen Weg beschreiten". So habe die Koalition das jedenfalls festgelegt. Spannend für diesen Fall wird zu beobachten sein, wie schwarze Verkehrspolitiker:innen es anstellen werden, das Verb "anstreben" umzudeuten. Gegenwärtig versucht die CDU jedenfalls auf Zeit zu spielen. Der Biberacher Landtagsabgeordnete Thomas Dörflinger verlangt, "nicht für Aufregung sorgen, wo es nicht sein muss".

Eine Zahl belegt die Dimension: Der Umfang mautpflichtiger Straßen in Baden-Württemberg würde sich versechzehnfachen. Bisher fallen nach den Angaben aus dem Hause Hermann auf rund tausend Kilometer Autobahnen und 4.150 Kilometer Bundesstraßen Gebühren an. Dazu kämen 10.000 Kilometer Landes- und 60.000 Kilometer Kommunalstraßen. Gerade Städte und Gemeinden könnten das Geld gut gebrauchen – zum Beispiel zum Ausbau von ÖPNV oder E-Ladesäulen. "So gab es bis Mitte dieses Jahres in knapp der Hälfte der Kommunen in Deutschland keinen einzigen Ladepunkt", moniert der Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA) in seinem Jahresbericht 2022 und verlangt mehr Dynamik: Um bis 2030 die in Deutschland notwendigen gut eine Million Ladepunkte für E-Pkw und E-Transporter auszubauen, müssten pro Woche mehr als 2.000 neue errichtet werden.

Viele Milliarden EU-Geld für die Autoindustrie

Baden-Württemberg versteht sich ohnehin als Vorreiter. Nach den Zahlen aus dem letzten Quartal 2022 gibt es rund 18.000 Ladepunkte – 1.700 davon Schnellader – oder 108 auf 100.000 Einwohner, mehr als überall sonst in der Republik. Zum Vergleich: In Rheinland-Pfalz sind es 63 oder in Niedersachsen 91. Die Bundesregierung will sich jetzt explizit auch der Förderung der Lkw-Tank- und Ladeinfrastruktur annehmen. Und im Klausurkompromiss wird eine Änderung des "Saubere-Fahrzeuge-Beschaffungsgesetzes" angekündigt. Unter anderem sollen ab 2030 nur emissionsfreie Nahverkehrsbusse beschafft werden dürfen.

Mitte März legte Hermann im Kabinett in einem mündlichen Bericht die Entwicklung dar. Das Land fördert private Transportunternehmen bei der Anschaffung von E-Bussen. Mit 63 Anträgen sind dreimal mehr positive Bescheide ergangen als im vergangenen Jahr, womit bereits die Hälfte der zur Verfügung stehenden Mittel in emissionsfreie Antriebstechnik fließen. Noch werden Dieselbusse ebenfalls gefördert. Die Betonung liegt allerdings auf noch, denn auch Brüssel macht Druck: Schon 2030 sollen alle Stadtbusse Null CO2 ausstoßen. "Damit wir unsere Klimaziele erreichen, müssen alle Teile des Verkehrssektors aktiv mitwirken und 2050 praktisch alle Fahrzeuge auf unseren Straßen die Null-Schadstoff-Vorgaben erfüllen", so Frans Timmermans, der EU-Kommissionsvizepräsident, unter Verweis auf das beschlossene Klimagesetz.

Ohnehin ist die Spirale immer noch strengerer Regeln längst nicht ausgereizt. Brüssel hat sich erst kürzlich wieder mit den Vorgaben für kleine Nutzfahrzeuge befasst, denn die seien für immerhin 2,5 Prozent des gesamten Treibhausgasausstoßes verantwortlich. Neu zugelassene Modelle sollen zunächst nurmehr 150 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen dürfen, schon ab 2025 15 Prozent weniger, ab 2030 die Hälfte und ab 2035 gar nichts mehr. Auch in diesem Plan steht übrigens wie üblich kein Wort davon, dass alle Fahrzeuge elektrisch fahren müssten. Die vor allem von der FDP, aber auch in der Union verlangte Technologieoffenheit ist also ohnehin nicht nur eingepreist, sondern ausdrücklich wird unterstrichen, wie die von Vorteil sei für die europäische Automobilindustrie zur Stärkung der Führungsrolle und von Platz eins vor China, der Wettbewerbsfähigkeit und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. 60 Milliarden Euro und damit 34 Prozent der gesamten EU-Forschungsgelder gehen in die Autobranche.

SPD hat sich von Nahverkehrsabgabe verabschiedet

In etwa einem Jahr wird entschieden sein, wer in Baden-Württemberg auf welcher Seite stehen will im konkreten Kampf gegen die Erderwärmung. Wer die Phase der warmen Worte und der falschen Versprechen beenden will, die Mobilitätswende sei ohne Eingriffe ins wirtschaftliche und sogar ins persönliche Leben zu meistern. Der Doppelwahlkampf – Kommunen und Europa – wird dann vor der heißen Phase stehen und er wirft sogar jetzt schon seine Schlagschatten. In der Landeshauptstadt hat sich die SPD im Gefolge von OB Frank Nopper aus dem Modellversuch zur Wiederbelebung der guten alten Nahverkehrsabgabe verabschiedet.

Aus den 21 Kommunen, deren Erfahrungen nach den Vorstellungen der Landesregierung das weitere Vorgehen mitbestimmen sollen, sind 20 geworden. Dabei könnten bis zu 87 Millionen Euro pro Jahr erwirtschaftet werden, würden Autofahrer:innen 25 Euro im Monat abgeknöpft. Um Lenkungswirkung zu entfalten sind Ausnahmen für saubere Antriebe vorstellbar. Sogar bei Sprintern und Kleinlastern, die allerdings erst einmal auf die Straße gebracht werden müssten. Denn noch steht in den monatlichen Neuzulassungsstatistiken bei entsprechenden Modellen viel zu oft weiterhin – und trotz aller Förderungen – eine dicke fette Null.


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1 Kommentar verfügbar

  • a dabei
    am 17.04.2023
    Antworten
    Diese Kleinlaster gehen mir schon lange auf die Nerven – nicht nur auf der Autobahn sondern gerade auch in Wohngebieten. Da fahren sie tagtäglich mehrfach auf und ab, um Amazon- oder Lieferando-Päckchen an die bequemen Online-Besteller zu liefern. Ist ja so einfach und billig. Einmal von der…
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