Hauptsache schön
Im Foyer gibt es Infomaterial und AfD-Buttons zum Mitnehmen. Ich will bereits unbeeindruckt daran vorbeilaufen, als mein Blick an kleinen quadratischen AfD-blauen Verpackungen hängen bleibt. Diese Partei, die bei der Bundestagswahl 2017 mit dem Slogan "Neue Deutsche? Machen wir selber" warb, verteilt Kondome? Perplex greife ich zu – doch nur Brillenputztücher. Angesichts des Durchschnittsalters das weitaus sinnvollere Giveaway. Ich gehe weiter Richtung Saaltür, komme aber nur wenige Schritte weit. Drei junge Männer beobachten mich von der Seite, schließlich traut sich der augenscheinlich älteste – kurze braune Haare, unauffällige Kleidung –, mich anzusprechen: "Du wärst doch eine für die Jot A", die AfD-Jugendorganisation. Da muss ich erstmal schlucken. Ich sehe mich um und stelle fest, dass ich als junge Frau hier eine Minderheit bilde. Was noch dazukommt: Ich bin blond, helläugig und -häutig und entspreche äußerlich ziemlich genau dem, was sich die AfD unter der perfekten Deutschen vorstellt. Und somit auch unter der perfekten Rekrutin für die Junge Alternative, die vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wurde.
Seit vier Jahren sei er überzeugter AfDler, erzählt der jüngste. Der scheiteltragende 22-Jährige in militärgrünem Strickpullover, farblich passender Hose und braunen Schnürstiefeln steht stramm vor mir, die Augenbrauen mürrisch zusammengezogen. Er komme eigentlich aus einer links-progressiven Familie, mittlerweile habe er alle seine Verwandten von der AfD überzeugt, schließlich gehe es darum, die deutsche Kultur zu wahren, den deutschen Stolz zu verteidigen. Und daraufhin will er mir einreden, ich solle zumindest meine Stimme der AfD geben, wenn ich schon nicht eintrete. Meinen klar hörbaren Südtiroler Akzent hat er offenbar nicht wahrgenommen und mich stattdessen als Biodeutsche gelesen.
Als ich kurz vor Veranstaltungsbeginn den Saal betrete, ist er bereits rappelvoll, nur noch wenige Plätze sind frei. Ich setze mich zwischen zwei Männer höheren Alters. Eine Alkoholfahne liegt in der Luft. "Bist du vom Verfassungsschutz?", will der eine sofort wissen. "Nein, von der Presse", erwidere ich. Abscheu in den Gesichtern der beiden. Der Fragende zeigt auf meinen Stuhl, den er mir soeben großzügigerweise angeboten hat: "Du hast Glück, dass du schön bist." Eins, zwei, drei, vier, zähle ich beim Einatmen. Sieben Sekunden halten, acht Sekunden ausatmen.
Hauptsache guter Hintern
Auf Weidel folgt Krah, der auf "TikTok" junge Wähler:innen gewinnen will, indem er ihnen erzählt, echte Männer seien rechts. In Böhmermanns "ZDF Magazin Royale" hat er es damit immerhin schon geschafft. Zur EU fällt ihm wenig ein, außer: Grenzen schließen, Green Deal aufgeben, Verbrennerverbot aufheben und die Macht von Brüssel zu "Alice und Tino" zurückholen. Kein Wort über das Wahlprogramm der AfD, das sich für mich wie die Beschreibung einer dystopischen Parallelwelt liest: Die EU solle durch eine "Neue Europäische Wirtschaftsgemeinschaft souveräner Nationalstaaten" ersetzt werden, der Euro solle der "neuen Deutschen Mark" weichen, das Schengener Abkommen solle reformiert werden und die Nationalstaaten sollten mehr Grenzkontrollen durchführen.
Ich bin im Jahr 2000 geboren, ich kann mich an kein Europa ohne Euro erinnern, die Grenze zwischen Italien und Österreich war für mich immer eine fiktive und nur dadurch bemerkbar, dass bei ihrer Überschreitung plötzlich alle Handys im Auto aufploppten. SMS: "Benvenuto in Austria", "Herzlich willkommen in Österreich". Ich bin in einem geeinten Europa aufgewachsen, umso schmerzlicher empfand ich den Brexit. Fragt mich jemand, als was ich mich fühle, sag ich gerne "Europäerin".
3 Kommentare verfügbar
Peter Bähr
am 30.03.2024Theodor W. Adorno, "Jargon der Eigentlichkeit",…