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Brandmauer in Kommunen

Wie die AfD normalisiert wird

Brandmauer in Kommunen: Wie die AfD normalisiert wird
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Die Brandmauer gegen die AfD steht, heißt es offiziell von der CDU, von anderen demokratischen Parteien ebenso. Dass dem nicht so ist, zeigt eine Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die ostdeutsche Kommunen untersucht hat. Ein Gespräch mit den Autor:innen.

Steven Hummel und Anika Taschke sind überzeugt: Auch in der kommunalpolitischen Arbeit müssen sich demokratische Akteur:innen klar darüber sein, dass die AfD vermeintliche Sachpolitik nutzt, um rechtsextreme Anschauungen und völkische Ideen zu verbreiten. "Hält die Brandmauer?", fragt die Studie der beiden Politikwissenschaftler der Rosa-Luxemburg-Stiftung, in der sie die Kooperation demokratischer Parteien mit der extremen Rechten in ostdeutschen Kommunen untersucht haben. Ergebnisse und mögliche Lehren für die praktische Arbeit von Gemeinde- und Kreisrät:innen wurden am Wochenende in Stuttgart Bad Cannstatt diskutiert.


Frau Taschke, Herr Hummel, Sie haben für den Zeitraum 2019 bis 2023 Kommunen in Ostdeutschland untersucht und 121 konkrete Fälle für Kooperationen von demokratischen Parteien mit der AfD in Gemeinde- und Kreistagen dokumentiert. Gibt es da regionale Auffälligkeiten?

Anika Taschke: Da sticht vor allem Sachsen heraus. Hier haben wir die meisten konkreten Fälle dokumentiert. Und zwar in allen Kreistagen und in allen kreisfreien Städten, ein flächendeckendes Problem. Das hängt natürlich auch mit der dortigen Stärke der extremen Rechten, mit der Stärke der AfD zusammen. Dort, wo sie flächendeckend verankert ist, gibt es ja viel mehr Möglichkeiten, überhaupt mit ihr zusammenzuarbeiten. Das ist vielleicht noch ein relevanter Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland. In Westdeutschland könnte sich das aber ändern, möglicherweise schon mit den nächsten Kommunalwahlen, wenn die extreme Rechte noch mal deutlich stärker wird: Dann stellen sich auch dort Fragen nach Zusammenarbeit noch mal ganz anders.

Steven Hummel: Im Westen war das Wählerverhalten in den vergangenen 50 Jahren deutlich konsistenter, im Osten gab es ja aufgrund der Transformation nach 1989/90 einen Bruch. Was wir aber nicht schaffen, ist zu erklären, warum der Osten anders wählt. Das überlassen wir jetzt mal anderen Soziologinnen und Politikwissenschaftlern.

Welche Partei kooperiert am häufigsten mit der AfD?

Hummel: Hauptkooperationspartner der AfD ist die CDU.

Taschke: Und wir würden schon sagen, dass es inhaltliche Überschneidung gibt. Das sieht man ja auch auf einer höheren Ebene in Bezug auf Themen wie Gendern, in Bezug auf die Migrations- und Asylpolitik, in Bezug auf die Bürgergelddiskussion. Schnittmengen werden aber auch bei Sachen wie Kulturförderung deutlich, wo es gemeinsame Abstimmungen gab.

Aber nicht nur die CDU hat mit der AfD oder anderen rechtsextremen Fraktionen kooperiert?

Hummel: Innerhalb der extremen Rechten ist die AfD dominierende Partei in den Kommunen. Wir haben aber natürlich auch andere rechte Parteien. Und neben der CDU haben wir Kooperationen auch mit FDP, SPD, Grünen und der Linken finden können.

Wie sieht so eine Zusammenarbeit vor Ort aus?

Hummel: Ein Beispiel, das ich immer gerne erzähle, gab es tatsächlich direkt nach der letzten Kommunalwahl 2019 in Sachsen, wo ich herkomme. Im Gemeinderat Gohrisch, Landkreis Sächsische Schweiz, haben ein CDU-, ein Grünen- und ein AfD-Gemeinderat zusammen eine Fraktion gegründet – eine Konstellation, bei der man denkt, da gibt es eigentlich große politische Unterschiede. Der Abgeordnete, der parteilos für die Grünen in den Gemeinderat eingezogen ist, hat dann gesagt, dass er die Aufregung darum gar nicht versteht. Er kenne den AfD-Abgeordneten schon sehr lange, den würde er gar nicht als einen extremen Rechten einordnen. Also könne er mit ihm zusammen eine Fraktion gründen. Ein Beispiel von genau 121 Fällen, die wir in unserer Studie konkret nachgewiesen haben. Wir gehen davon aus, dass es eine größere Dunkelziffer gibt.

Wenn Sie sagen, der häufigste Kooperationspartner ist die CDU – wie hat die Partei reagiert?

Taschke: Meine Hoffnung war immer, dass wir eine große Reaktion kriegen. Es gab einen Artikel in der "Welt", die haben nachgefragt und da hat die CDU sich nicht geäußert. Die "Volksstimme" aus Sachsen-Anhalt hat die CDU im Kreistag in Stendal gefragt und die sagte, sie kommentiere das nicht, weil es eine Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung ist und sie den Inhalt nicht kennen. Und der Podcast "Lage der Nation" hat bei Mario Voigt, dem Fraktionsvorsitzenden der CDU im Thüringer Landtag, angefragt, warum er denn mit der AfD zusammenarbeitet. Der streitet ab, dass das passiert, weil er das Vorgehen im Landtag nicht als gemeinsame Kooperation sieht. Aber es fehlt eigentlich so ein großes Friedrich-Merz-Interview.

Und wie haben die anderen kooperierenden Parteien reagiert?

Hummel: Da ist das Problembewusstsein ein Stückchen größer, die haben zumindest den Anspruch, so etwas wie eine Brandmauer aufrechtzuerhalten. Teilweise gibt es dann auch Konsequenzen. Das heißt, Fraktionen werden aufgelöst, Leute aus Parteien ausgeschlossen. Und es gibt tatsächlich auch eine Reaktion von den Bundesparteien oder mindestens innerparteiliche Auseinandersetzungen. Das ist bei den Kooperationen, die wir bei der CDU gefunden haben, in der Tendenz eher nicht so. Friedrich Merz hatte in seinem Sommerinterview im ZDF gesagt, die kommunale Ebene sei keine gesetzgebende Körperschaft, deswegen wäre es schon okay, mit der AfD zusammenzuarbeiten. Dann ist er später zurückgerudert und meinte, die CDU mache natürlich trotzdem nichts mit der AfD gemeinsam. Das ist eigentlich auch Beschlusslage. Trotzdem sind da die Fälle der kommunalen Zusammenarbeit. Ich habe den Eindruck, das ist bei der CDU eher so ein Wegducken und Totschweigen dessen, was faktisch zutrifft.

Taschke: Was ich spannend finde, sind die Reaktionen der Freien Wähler Gruppierungen. Die sind sehr unterschiedlich, aber in der Regel sagen sie, dass sie diese Brandmauer-Debatte nicht betrifft, weil sie keine Partei seien. Sie verstehen die Diskussion darum überhaupt nicht, weil sie ja versuchten, Sachpolitik zu machen.

Ja, kommen wir zur Sachpolitik: Was ist, wenn die AfD beantragt, dass es einen Zebrastreifen vor der Schule gibt? Da kann man doch mal mitstimmen.

Hummel: Aus unserer Sicht kommt es darauf an, wer einen Antrag einbringt, wer mit wem abstimmt. Das ist nicht egal. Und es ist nicht das Gleiche, ob der Antrag von der AfD, von der Linken oder von anderen Partei eingebracht wird.

Aber ein Zebrastreifen ist ein Zebrastreifen.

Taschke: Ja, und man sieht dem Zebrastreifen nicht an, wer ihn beantragt hat. Aber das muss man im Gesamtkontext sehen, im Gesamtkontext der AfD. Die AfD ist eine extrem rechte Partei. Das ist am Personal, an der Geschichte und an der inhaltlichen Ausrichtung der Partei festzumachen und da muss man sagen, die lokale Ebene der AfD lässt sich nicht trennen von der Bundespartei. Warum sind denn die Leute Mitglied genau dieser Partei geworden? Warum haben sie sich nicht für eine andere Partei oder Wählervereinigung entschieden, wenn es ihnen "nur" um Sachpolitik geht? Und die Frage ist ja auch, für wen wird Politik gemacht, wer wird mitgedacht und wer aktiv ausgegrenzt? Das ist möglicherweise nicht in jedem Antrag zu sehen, aber dennoch schwingt da immer was mit. Ein Zebrastreifen ist Teil der Verkehrspolitik und da gibt es Streitpunkte, wie die funktionieren soll. Ob man nur auf Autoverkehr fokussiert, ob man Fahrrädern, Fußgängern und dem ÖPNV den Vorrang gibt.

In dem Fall gibt man den Vorrang den Kindern, damit die sicher zur Schule kommen.

Taschke: Genau. Und als großer Fan davon, dass Kinder sicher zur Schule kommen, ist es gut, wenn ein Zebrastreifen das ermöglicht. Ich finde aber, dann sollten demokratische Kräfte einen eigenen Antrag einbringen. Wenn das das Politikfeld ist, in dem man etwas voranbringen will, warum machen das die demokratischen Fraktionen nicht? Warum braucht es die AfD, die diesen Antrag einbringt? Da würde ich mir wünschen, dass die anderen schneller sind, eigene kluge Anträge einbringen und vor allen Dingen auch eigene Politikvorstellung nochmal stärker nach vorne stellen.

Hummel: Vor allem verharmlost das rechte Positionen, wenn man immer wieder bei vermeintlich sachpolitischen Themen der AfD zustimmen kann. So wird normalisiert, mit extremen Rechten zusammenzuarbeiten.

Ein schwieriges Feld, wenn es konkret wird. Vielleicht haben Sie positive Beispiele?

Taschke: Gut ist, wenn die Verwaltung schnell reagiert und etwas umsetzt, bevor der Antrag beschlossen wird. Das heißt, die Verwaltung nimmt sich des Anliegens an, sieht, dass es eine Notwendigkeit gibt und schafft es so, dass es die Diskussion gar nicht mehr braucht, weil man sagen kann: gibt's schon. Die Frage von Schnelligkeit hat tatsächlich eine große Relevanz innerhalb der Kommunalpolitik. Wir gehen davon aus, dass vermeintlich sachpolitische Anträge strategisch von der AfD eingesetzt werden. Da funktioniert sozusagen der Riss der Brandmauer, weil die vermeintliche Sachpolitik offensichtlich eine Schwierigkeit für die demokratischen Parteien und Fraktionen darstellt. Und so wird eine Normalisierung der AfD herbeigeführt.

Bald stehen in Baden-Württemberg Kommunalwahlen an: Haben Sie praktische Tipps für angehende Gemeinde- oder Kreisrät:innen?

Taschke: Ich glaube, ein Grundsatz ist, eine eigene Haltung zu formulieren, was man in der Kommunalpolitik will. Und die nach vorne zu stellen und sich nicht abhängig von rechtem Abstimmungsverhalten zu machen.

Hummel: Zudem ist es natürlich lohnenswert, sich mit den extremen Rechten auseinanderzusetzen. Also was für Kandidaten gibt es denn überhaupt? Wie sind die bisher politisch in Erscheinung getreten? Das ist natürlich eine Herausforderung, das ist uns klar, weil Kommunalpolitik oftmals im Ehrenamt passiert und Leute das zusätzlich zu ihrem Job machen oder dem, was sie sonst in ihrem Leben zu tun haben. Das ist uns bewusst.

Taschke: Ein Tipp ist tatsächlich, innerhalb der eigenen Fraktion zu diskutieren, wie kann ein Umgang mit extremen Rechten aussehen und das nach außen zu kommunizieren, also gleich am Anfang der Legislatur. Zum Beispiel, wir stimmen nicht mit Anträgen der extremen Rechten, weil wir sie für rassistisch halten, weil das Programm deutliche Hinweise auf Antifeminismus, migrationsfeindliche Politik und so weiter hat. Und immer wieder erklären, warum man so agiert und dann gemeinsam mit den anderen demokratischen Fraktionen zu überlegen, was zu tun ist. Findet sich trotz vieler Streitpunkte ein Konsens, um Politik voranzutreiben? Und es gibt das Beispiel des Schweriner Wegs, bei dem es darum geht, die politische Bühne in einem Gremium für extrem rechte Politik zu minimieren. Das heißt, wenn die AfD den Antrag stellen würde, müsste normalerweise jede Fraktion Gegenrede halten und den Antrag ablehnen. In Schwerin ist es seit Jahren so, dass nur eine Fraktion reagiert, um insgesamt die Redezeit zu begrenzen, um auf der Tagesordnung auch andere Themen nach vorne zu stellen und sich nicht ständig von deren Politikfeldern treiben zu lassen.

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4 Kommentare verfügbar

  • Karl P. Schlor
    vor 3 Wochen
    Antworten
    Gerald Wissler hat schon richtig kommentiert, und zwar wohlwollend, es nur Kindergarten genannt, was man auch schärfer qualifizieren könnte, z.B. ademokratisch, aber ich will noch auf
    die beiden linksradikalen Protagonisten hinweisen, die ja kein Streitgespräch führen, sondern in
    ihrer…
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