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AfD setzt auf migrantische Wähler:innen

Migranten für Deutschland

AfD setzt auf migrantische Wähler:innen: Migranten für Deutschland
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Die fremdenfeindliche AfD wirbt um Wählerinnen und Wähler mit Migrationshintergrund. Auf Social Media wie TikTok, Youtube oder Instagram werden AfD-Positionen von Influencer:innen verbreitet, die selbst ausländische Wurzeln haben.

Yunus Celep steht im Wind vor einem Baum, im Hintergrund ein abgeerntetes Getreidefeld, über den schwarzen Locken der Schriftzug: "Wählt die AfD", mit Deutschlandflagge und blauem Herz. Das Video, in dem der türkische Influencer in den Sozialen Medien zur Stimmabgabe für die AfD aufruft, ist wenige Tage vor der Europawahl im Juni 2024 entstanden. "Hinter Deutschland zu stehen und sich für das deutsche Volk einzusetzen und die Werte Deutschlands zu verteidigen, sollte unsere Aufgabe sein, als diejenigen, die hier in Deutschland leben – ganz unabhängig davon, ob man einen Migrationshintergrund hat oder einheimisch ist, also deutsch praktisch", erklärt er in dem Video, das er ursprünglich auf TikTok geteilt hat und das später auch auf X verbreitet wurde. Eines sei ihm nämlich aufgefallen, und zwar, "dass es umso wichtiger ist, die Gerechtigkeit Gottes zu verteidigen und dazu gehört auch, die Natur des deutschen Volkes zu bewahren", appellierte Celep an die türkische Community in der Bundesrepublik. In einem anderen Video berichtet er von Kindern, die Angst hätten, in die Schule zu gehen, "weil sie da geschlagen werden", von Rentnern, die Flaschen sammeln müssen, von Arbeitnehmern, die nicht bekommen, was sie verdient haben. "Ich bin Türke und wähle die AfD", steht über seinem Kopf.

Damit trifft er bei extrem Wählenden ins Schwarze. Denn Einkommen und Vermögen stehen in keinem Zusammenhang mit extrem rechten Einstellungen und Wahlverhalten. Vielmehr zeigt sich Angst als deutlicher Treiber für politische Einstellungen, ist in der Philip Morris-"Studie zur Lebenswirklichkeit in Deutschland" nachzulesen, die Anfang September erschienen ist. Und zwar die Angst vor dem ökonomischen Abstieg. Begründet werden diese Ängste laut Studie häufig durch Zuwanderung: Man wähnt sich auf individueller Ebene mit Migrant:innen in einem Konkurrenzverhältnis um vermeintlich oder tatsächlich immer knapper werdende Ressourcen – etwa Wohnungen, Arbeitsplätze, sozialstaatliche Leistungen. So werden gesellschaftlich fremdenfeindliche Ressentiments verstärkt, die sich letztlich in dauerhaften Einstellungen manifestieren.

Ausländerfeindliche Parolen

Von der fast 50.000 Mitglieder umfassenden Partei wird seit Jahren unverhohlen Stimmung gegen Zuwanderer:innen und nicht ethnische Deutsche gemacht. So wollte der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland schon eine deutsche Politikerin mit türkischen Wurzeln "in Anatolien entsorgen", der gebürtige Westdeutsche Björn Höcke hetzte im biologisch-rassistischen Duktus vom "lebensbejahenden afrikanischen Ausbreitungstyp". Marvin Neumann, Ex-Vorsitzender der AfD-Nachwuchstruppe Junge Alternative twitterte mal, "weiße Europäer" könnten Deutsche werden, "Schwarzafrikaner aber nicht".

Verschwörungsmythisch behauptet Hans-Christoph Berndt, Vorsitzender der AfD-Fraktion im Landtag Brandenburg, dass "beinahe jeder, der ins Land kommt, bleiben darf". Dies sei "Ausdruck eines politischen Willens zur Überwindung der Nation und der Nationalstaaten", so Berndt, zugleich Gründer der rechtsextremen Bürgerinitiative "Zukunft Heimat" (Sitz: Cottbus), in einem Interview mit dem extrem rechten Monatsmagazin "Zuerst!" (April 2023). Der "deutsche Selbsthaß" sehe in jedem aufgenommenen Migranten nach der Auffassung des AfD-Parlamentariers "ein Puzzleteil zur Abschaffung des eigenen Volkes". "Realität" sei auch der "Bevölkerungsaustausch", "das geben die Befürworter der Massenmigration mittlerweile offen zu", versichert sich Berndt selbst.

Die AfD grenzt aus und schürt Hass. Gleichzeitig aber wirbt die Partei um Wähler mit Migrationshintergrund. Denn: Migrantische Wähler:innen machen knapp neun Millionen aller Wahlberechtigten in der Bundesrepublik aus. Und auch unter ihnen findet sich ein Potenzial für chauvinistische, konservative und rechte Positionen. Wie Rechtsextremist:innen träumen auch Teile der migrantischen Wählerinnen und Wähler von einer nationalen Kulturgemeinschaft, propagieren den Abwehrkampf gegen Liberalismus, agitieren gegen die Gleichstellung der Geschlechter und gegen Feminismus sowie die Akzeptanz von Homosexualität, treten für das Bewahren eines traditionellen Familienbildes ein und huldigen einem antimodernistischen Kulturpessimismus.

Gegründet in einem griechischen Restaurant

Am 18. Juni 2023 rief der hessische AfD-Landtagsfraktionsvorsitzende Robert Lambrou, Jahrgang 1967, mit anderen in der Universitätsstadt Gießen den Verein "Mit Migrationshintergrund für Deutschland" (Sitz in Wald-Michelbach, Kreis Bergstraße, Hessen) ins Leben. Die Gründung fand in einem griechischen Restaurant statt. AfD-Eigenangaben zufolge beteiligten sich 36 Personen. Der Verein wird von einem zehnköpfigen Vorstand geführt. Sieben der Vorstandsmitglieder wurden außerhalb der Bundesrepublik geboren (Griechenland, Nigeria, Iran, Afghanistan, Rumänien, ehemalige UdSSR). Vorsitzender ist Lambrou, sein Vater ist Grieche.

In der Einladung zur Gründungsversammlung ist notiert, dass es hierzulande ein "weit verbreiteter Irrtum" sei, "dass Menschen mit Migrationshintergrund grundsätzlich politisch links stehen". Stattdessen glaubt die AfD, zu wissen, dass "viele Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland" sich "vielmehr eine authentische freiheitlich-konservative Politik" wünschen. Deshalb wolle die AfD "bei den gut integrierten Menschen mit Migrationshintergrund" für eine Mitarbeit in der Partei werben und diejenigen, die "unsere Werte und Überzeugungen teilen, dazu einladen, sich uns anzuschließen". "Wer sich zur Deutschen Leitkultur bekennt und sich für den Fortbestand der Nation als kultureller Einheit einsetzt", so steht es in der AfD-Einladung, der sei "bei uns willkommen".

Knapp drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln leben in der Bundesrepublik. Auf TikTok forderte der AfD-Europaabgeordnete Maximilian Krah türkischstämmige Deutsche explizit dazu auf, die AfD zu wählen. Krah lieferte erst im Mai Schlagzeilen, als er im Gespräch mit der italienischen Zeitung "La Repubblica" verkündete, nicht jeder SS-Mann sei ein Verbrecher gewesen. Laut Krah gibt es viele Übereinstimmungen zwischen konservativen Türken und der AfD. Und ja: rassistische Abwertung von Minderheiten, Chauvinismus in Form eines übersteigerten Nationalismus und sozialdarwinistische Auffassungen von der naturgegebenen Ungleichheit von Menschen finden sich sowohl bei türkischen als auch bundesdeutschen Rechtsextremisten.

Migrantische Influencer werben für AfD-Positionen

AfD-Positionen werden auch von Influencern auf TikTok, Youtube oder Instagram verbreitet, die selbst ausländische Wurzeln haben. Sie sprechen sich für die AfD aus, weil sie mit der Flüchtlingspolitik in der Bundesrepublik nicht zufrieden sind. Vielfach werden aus diesen Kreisen härtere Kontrollen bei der Einreise gefordert.

Serge Menga, 1977 im kongolesischen Kinshasa geboren, stellte 2016 nach der Teilnahme an einigen AfD-Veranstaltungen einen Aufnahmeantrag bei der AfD Essen, wurde jedoch aus formalen Gründen nicht aufgenommen. Als Gastredner stand Menga der AfD im September 2023 in den bayerischen Gemeinden Rosenheim und in Langengeisling zur Verfügung. Menga kritisierte bei der AfD-Veranstaltung in Langengeisling, "daß sich viele Migranten nicht an die Regeln des Gastlandes halten und auch heimische Konflikte in Deutschland austragen, was Unmut und Ablehnung erzeugt", berichtete der AfD-Kreisverband Erding nach dem Auftritt von Menga. Und weiter: "Kein gutes Haar läßt er an den vielen korrupten Machthabern Afrikas, aber auch vom Westen würde er erwarten, daß in Afrika investiert wird und Arbeitshände gäbe es dort genügend. Auch so könnte man die Migration positiv beeinflussen." Menga wurde bekannt, als er auf Facebook eine Videobotschaft nach den Übergriffen an der Silvesternacht in Köln 2015/16 hochlud. In dem Video forderte er kriminelle Migranten auf, das Land zu verlassen.

Bekennender AfD-Wähler ist auch der 1990 im hessischen Frankfurt geborene Feroz Khan. Der Ex-Muslim mit pakistanischen Wurzeln war im Juni Gastredner bei einer Veranstaltung der AfD-Bundestagsfraktion zum Thema "Wird unser Sozialstaat zum Kalifat?". Khan sei "ein junger Mann, der das Prinzip der freiheitlichen Gesellschaft wirklich verinnerlicht hat", so der AfD-Politiker Björn Höcke auf seinem Facebook-Account. Bereits im Mai 2019 war Khan von der AfD zu einer "Konferenz der freien Medien" in den Bundestag eingeladen worden. Mit dabei: das weithin rechtsextreme und antisemitische Magazin "Compact" und das Islam-feindliche Internetportal "Politically Incorrect".

Im Sommer 2023 wurde bei den Wahlen in der Türkei Präsident Recep Tayip Erdogan wiedergewählt – auch dank der Stimmen von Wahlberechtigten in der Bundesrepublik. Fast zwei Drittel der Deutsch-Türk:innen hierzulande wählte Erdogan. Das liegt auch an Influencern wie Celep, die rechtsnationalistische Propaganda, Stimmung für den Staatschef und seine rechtspopulistische AKP in ihrer Community verbreiten. Vor allem jungen Menschen, die sich von deutschen Medien übersehen fühlen, geben Influencer wie Celep Identität – und prägen deren Wahlverhalten mit. Erdogan (Jahrgang 1954) selbst stand als junger Mann auf der Theaterbühne, eine Art Influencer der damaligen Zeit. Statt Follower:innen beeinflusste er Theaterbesucher:innen. Von 1975 bis 1980 führte der heutige Autokrat das antisemitische Stück "Ma-Kom-Yah" ("Freimaurer-Kommunisten-Juden") auf, das er selbst verfasst haben soll. Feindbilder – mit denen man noch heute Wahlen gewinnen kann.

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2 Kommentare verfügbar

  • Georg Schäfer
    am 06.11.2024
    Antworten
    Nur folgerichtig. Migranten, die sich integrieren (oder sogar assimilieren) hat ja auch keiner was, auch die AfD nicht Mitunter wird von diesen bereits die zweite Generation nicht mehr als "fremd" wahrgenommen. War ja bei den Hugenotten seinerzeit ähnlich.
    Und wenn sie konservativ denken liegt es…
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