Yunus Celep steht im Wind vor einem Baum, im Hintergrund ein abgeerntetes Getreidefeld, über den schwarzen Locken der Schriftzug: "Wählt die AfD", mit Deutschlandflagge und blauem Herz. Das Video, in dem der türkische Influencer in den Sozialen Medien zur Stimmabgabe für die AfD aufruft, ist wenige Tage vor der Europawahl im Juni 2024 entstanden. "Hinter Deutschland zu stehen und sich für das deutsche Volk einzusetzen und die Werte Deutschlands zu verteidigen, sollte unsere Aufgabe sein, als diejenigen, die hier in Deutschland leben – ganz unabhängig davon, ob man einen Migrationshintergrund hat oder einheimisch ist, also deutsch praktisch", erklärt er in dem Video, das er ursprünglich auf TikTok geteilt hat und das später auch auf X verbreitet wurde. Eines sei ihm nämlich aufgefallen, und zwar, "dass es umso wichtiger ist, die Gerechtigkeit Gottes zu verteidigen und dazu gehört auch, die Natur des deutschen Volkes zu bewahren", appellierte Celep an die türkische Community in der Bundesrepublik. In einem anderen Video berichtet er von Kindern, die Angst hätten, in die Schule zu gehen, "weil sie da geschlagen werden", von Rentnern, die Flaschen sammeln müssen, von Arbeitnehmern, die nicht bekommen, was sie verdient haben. "Ich bin Türke und wähle die AfD", steht über seinem Kopf.
Damit trifft er bei extrem Wählenden ins Schwarze. Denn Einkommen und Vermögen stehen in keinem Zusammenhang mit extrem rechten Einstellungen und Wahlverhalten. Vielmehr zeigt sich Angst als deutlicher Treiber für politische Einstellungen, ist in der Philip Morris-"Studie zur Lebenswirklichkeit in Deutschland" nachzulesen, die Anfang September erschienen ist. Und zwar die Angst vor dem ökonomischen Abstieg. Begründet werden diese Ängste laut Studie häufig durch Zuwanderung: Man wähnt sich auf individueller Ebene mit Migrant:innen in einem Konkurrenzverhältnis um vermeintlich oder tatsächlich immer knapper werdende Ressourcen – etwa Wohnungen, Arbeitsplätze, sozialstaatliche Leistungen. So werden gesellschaftlich fremdenfeindliche Ressentiments verstärkt, die sich letztlich in dauerhaften Einstellungen manifestieren.
Ausländerfeindliche Parolen
Von der fast 50.000 Mitglieder umfassenden Partei wird seit Jahren unverhohlen Stimmung gegen Zuwanderer:innen und nicht ethnische Deutsche gemacht. So wollte der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland schon eine deutsche Politikerin mit türkischen Wurzeln "in Anatolien entsorgen", der gebürtige Westdeutsche Björn Höcke hetzte im biologisch-rassistischen Duktus vom "lebensbejahenden afrikanischen Ausbreitungstyp". Marvin Neumann, Ex-Vorsitzender der AfD-Nachwuchstruppe Junge Alternative twitterte mal, "weiße Europäer" könnten Deutsche werden, "Schwarzafrikaner aber nicht".
Verschwörungsmythisch behauptet Hans-Christoph Berndt, Vorsitzender der AfD-Fraktion im Landtag Brandenburg, dass "beinahe jeder, der ins Land kommt, bleiben darf". Dies sei "Ausdruck eines politischen Willens zur Überwindung der Nation und der Nationalstaaten", so Berndt, zugleich Gründer der rechtsextremen Bürgerinitiative "Zukunft Heimat" (Sitz: Cottbus), in einem Interview mit dem extrem rechten Monatsmagazin "Zuerst!" (April 2023). Der "deutsche Selbsthaß" sehe in jedem aufgenommenen Migranten nach der Auffassung des AfD-Parlamentariers "ein Puzzleteil zur Abschaffung des eigenen Volkes". "Realität" sei auch der "Bevölkerungsaustausch", "das geben die Befürworter der Massenmigration mittlerweile offen zu", versichert sich Berndt selbst.
Die AfD grenzt aus und schürt Hass. Gleichzeitig aber wirbt die Partei um Wähler mit Migrationshintergrund. Denn: Migrantische Wähler:innen machen knapp neun Millionen aller Wahlberechtigten in der Bundesrepublik aus. Und auch unter ihnen findet sich ein Potenzial für chauvinistische, konservative und rechte Positionen. Wie Rechtsextremist:innen träumen auch Teile der migrantischen Wählerinnen und Wähler von einer nationalen Kulturgemeinschaft, propagieren den Abwehrkampf gegen Liberalismus, agitieren gegen die Gleichstellung der Geschlechter und gegen Feminismus sowie die Akzeptanz von Homosexualität, treten für das Bewahren eines traditionellen Familienbildes ein und huldigen einem antimodernistischen Kulturpessimismus.
Gegründet in einem griechischen Restaurant
Am 18. Juni 2023 rief der hessische AfD-Landtagsfraktionsvorsitzende Robert Lambrou, Jahrgang 1967, mit anderen in der Universitätsstadt Gießen den Verein "Mit Migrationshintergrund für Deutschland" (Sitz in Wald-Michelbach, Kreis Bergstraße, Hessen) ins Leben. Die Gründung fand in einem griechischen Restaurant statt. AfD-Eigenangaben zufolge beteiligten sich 36 Personen. Der Verein wird von einem zehnköpfigen Vorstand geführt. Sieben der Vorstandsmitglieder wurden außerhalb der Bundesrepublik geboren (Griechenland, Nigeria, Iran, Afghanistan, Rumänien, ehemalige UdSSR). Vorsitzender ist Lambrou, sein Vater ist Grieche.
In der Einladung zur Gründungsversammlung ist notiert, dass es hierzulande ein "weit verbreiteter Irrtum" sei, "dass Menschen mit Migrationshintergrund grundsätzlich politisch links stehen". Stattdessen glaubt die AfD, zu wissen, dass "viele Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland" sich "vielmehr eine authentische freiheitlich-konservative Politik" wünschen. Deshalb wolle die AfD "bei den gut integrierten Menschen mit Migrationshintergrund" für eine Mitarbeit in der Partei werben und diejenigen, die "unsere Werte und Überzeugungen teilen, dazu einladen, sich uns anzuschließen". "Wer sich zur Deutschen Leitkultur bekennt und sich für den Fortbestand der Nation als kultureller Einheit einsetzt", so steht es in der AfD-Einladung, der sei "bei uns willkommen".
2 Kommentare verfügbar
Georg Schäfer
am 06.11.2024Und wenn sie konservativ denken liegt es…