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Nancy Faeser

Extrem durchsichtig

Nancy Faeser: Extrem durchsichtig
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Rechte versuchen, die neue Innenministerin Nancy Faeser mit einer absurden Hetz-Kampagne als Linksextreme zu diffamieren – und Springer-Medien schießen mit. Ein lächerlicher Versuch.

Kreisch! Antifa! Oder "Antifanten", wie selbstgefällige Rechte mit Rüsselphobie zu sagen pflegen. Neben Ausländern im Allgemeinen, Greta Thunberg im Speziellen, Gendersprache, sexueller Vielfalt und natürlich Flüchtlingen, gibt es noch Einiges, was die ganz normalen Konservativen in der Mitte der Gesellschaft ganz schön shitty finden. Doch nichts wird mit so viel fast schon niedlicher Dummheit verabscheut wie "die Antifa": In jedem Schwurbel-Telegramkanal gehört die Aversion gegen "die Antifa" zum Standart-Repertoire und definiert neben Antifeminismus, Antisemitismus und nationalem Rumgevölke ungeniert die deutsche Mitte-Rechts-Gefühlswelt. Dabei spielt es keine Rolle, dass es Menschen aus ebendieser ganz normalen Wahnwelt sind, die in jüngster Vergangenheit immer wieder Leute in Deutschland erschossen haben. Die leidige "Extremismus-Theorie" sitzt tief:

Weil der Verfassungsschutz – von lustigen Antifanten auch Verfaschoschutz genannt – irgendwann mal den Begriff "rechtsextrem" erfunden hat, bastelten sich konservative Politikgelehrte einen gleichwertigen "Linksextremismus" zu einer Extremismustheorie zusammen, die eine gesellschaftliche "Mitte" voraussetzt, die sich gegen beides gleichermaßen zur Wehr setzen müsse. Dabei ging schon der Widerstand gegen den Nationalsozialismus selten von "der Mitte der Gesellschaft" aus, sondern maßgeblich von linken, kommunistischen, sozialistischen und antifaschistischen Organisationen. Während "die Mitte" mitlief oder nix gesehen haben mag.

Drohbriefe mit Mordfantasien

Und weil der Gehirnwurm einer vermeintlich neutralen, unideologischen Mitte mit rechten Kräften in Deutschland seit 2014 immer dicker wurde, verwundert es nicht, dass die umstrittene Extremismustheorie auch jetzt wieder herangezogen wird, um die neue Innenministerin Nancy Faeser (SPD) als "linksextreme" Antifa-Schergin zu dämonisieren. Das ist zwar angesichts Faesers jüngst versprochener Stärkung der menschenfeindlichen Abschiebe-Polizei "Frontex" ein trauriger Witz. Trauriger ist aber, dass es auch fast 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs immer wieder möglich ist, Anti-Antifaschismus als bürgerliche Pflicht auszugeben.

Dass Rechte und die gescheiterten Konserven der CDU jetzt mit einer gemeinsamen Verzweiflungstat die erste weibliche SPD-Innenministerin attackieren, die zur Abwechslung mal nicht aus dem reaktionären Altherren-Filz kommt und Ernst machen will mit der Bekämpfung rechten Terrors, ist absolut nachvollziehbar. Denn Faeser hat den Terror selbst erfahren: Auch die damalige hessische SPD-Landeschefin Nancy Faeser erhielt zwischen 2018 und 2021 Drohbriefe mit Mordfantasien, die mit "NSU 2.0" unterschrieben waren. Weil sich Faeser nicht einschüchtern ließ, schrieb sie im Juli 2021 den jetzt skandalisierten Gastbeitrag in "antifa" – dem "Magazin für antifaschistische Politik und Kultur" der 1947 gegründeten "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten" (VVN-BdA).

Der Inhalt ist kurz und schnell erzählt:, "Der Kampf gegen Faschismus und Rechtsextremismus, gegen Rassismus und völkische Ideologien" gehöre "zur politischen DNA" der SPD. Weil sich die Rechten vor allem im Internet vernetzen, um "sich gegenseitig in Rassenwahn und faschistischen Phantasien zu bestärken", sei sie angespornt, "gegen rechtes Gedankengut, rechte Drohungen und rechte Gewalt aufzustehen. Jeden Tag und an jedem Ort". Niemand, der den Schuss gehört hat, hat mit diesem Beitrag oder dem Magazin der VVN ein größeres Problem. Selbst die FDP, die den Text mit Fraktionsvize Konstantin Kuhle später als hervorragende Lektüre für CDU- und CSU-Innenpolitiker empfehlen wird, bescheinigte Faeser auf Twitter einen "klaren Wertekompass".

Absurde und sexistische Vermutungen von rechts

Doch weil Geschichtsvergessenheit zur politischen DNA rechter Klüngel in der BRD gehören, stand die Hetzkampage zunächst gut in den Startlöchern: Faeser hätte sich mit ihrem Gastbeitrag nicht vom "Linksextremismus" distanziert und sich damit ja eigentlich gleich mit ner Sturmmaske und ’nem Molotow-Cocktail in der Hand bei ihrer Vereidigung zur Innenministerin fotografieren lassen können. So liest sich der initiale Quatsch-Text "Nancy Faeser und die 'Antifa'", der vergangenen Mittwoch in der neurechten Wochenzeitung "Junge Freiheit" online erschienen ist und Faesers Text ausbuddelte. Als wäre die Denunzierung des VVN als militante, linke Terrorzelle nicht schon peinlich genug, würzte die "Junge Freiheit" ihren Textdurchfall noch mit Zitaten von AfD-Mann Martin Hess und der absurden, sexistischen Vermutung, "möglicherweise war ihr die politische Ausrichtung der VVN-BdA einfach unbekannt". Einen Tag später erschien ein Nachklapp, in dem CDUler Stephan Mayer mitmischte und Faesers antifaschistisches Statement für "in höchster Weise kritikwürdig und nicht akzeptabel" befand.

Anstatt die rechte Kampagne in den Untiefen des Internets in den Sand laufen zu lassen, sprang am Wochenende dann der Springer-Verlag auf das rechte Hetz-Züglein, um es zunächst in "Bild" und dann mit einem Kommentar des Welt-Chefs Ulf Poschardt zu einem ICE in der "Mitte" zu machen. Faeser solle sich bitteschön "schnell erklären – und sich klar abgrenzen" von den "Linksradikalen" des VVN, fordert der Mann, der aus dem Magazin der Süddeutschen Zeitung gekickt wurde, weil er ungeprüft gefälschte Interviews eines Autors druckte. Auf Twitter und in anderen sozialen Medien klickten sich dann weitere AfD- und CDU-Randfiguren zur Gruppenhetze gegen Faeser ein, um ein bisschen Fahrtwind zu spüren. Am Montag war der Spuk vorbei und Faeser ging als Siegerin abertausender Twitter-Herzen aus der Anti-Antifa-Kampagne gegen sie hervor.

Weiterhin klare Kante gegen Rechtsextremismus

Zum Glück. Das hätte auch anders ausgehen können. Wenn nicht viele JournalistInnen und andere Influencer auf allen Social-Media-Kanälen verbreitet hätten, was für eine wichtige und richtige Arbeit der VVN bis heute leistet. Wenn der VVN nicht an einem Wochenende seine Followerzahlen verdoppelt hätte und 300 neue Mitgliedsanträge bekommen hätte. Wenn Nancy Faeser nicht voll hinter ihrem Gastbeitrag gestanden wäre und nicht betont hätte, weiterhin "klare Kante gegen Rechtsextremismus und alle Feinde der offenen Gesellschaft" zu zeigen.

Es hätte anders ausgehen können, wenn sie etwa brav die gähnende Extremismus-Laier gezupft hätte, in dem sie sich hätte nötigen lassen, Linksradikale mit Rechtsextremen gleichzusetzen und das von rechts so ersehnte Wort "Linksextremismus" ebenfalls in ihrem Tweet zu erwähnen. Hat sie aber nicht gemacht. Weil Faeser schlauer ist als Vorgänger Horst Seehofer. Weil Antifanten einfach süßer sind.


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17 Kommentare verfügbar

  • NoComment
    am 12.02.2022
    Antworten
    Antifaschismus sollte das Anliegen eines jeden Demokraten sein, nicht nur hierzulande. Dass dem nicht so ist, macht die Existenz von Organisationen wie der VVN dringend nötig. Dass der Verfassungsschutz Antifaschimsus dem Linksextremismus zurechnet, finde ich bezeichnend für den Zustand dieser…
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