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Tunnel in Schwäbisch Hall

Aus der Zeit gefallen

Tunnel in Schwäbisch Hall: Aus der Zeit gefallen
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Was mal im Bundesverkehrswegeplan gelandet ist, wird gebaut. Egal wie teuer und klimaschädlich es ist. So auch in Schwäbisch Hall, wo nun die mehr als 50 Jahre alte Weiler-Tunnel-Idee umgesetzt werden soll. Für 100 Millionen Euro. GegnerInnen haben es schwer.

Er scheut keine Mühe, um auf sein Anliegen aufmerksam zu machen. Selbst wenn einem bei winterlichem Sauwetter der Regen ins Gesicht peitscht, schleppt Paul Michel seinen Besucher zu der Stelle in Schwäbisch Hall, wo 100 Millionen Euro in ein Tunnelbauprojekt fließen sollen. Es geht um eine wenig attraktive Ecke im Westen des Stadtzentrums. Nur wenige Gehminuten vom zentralen Busbahnhof entfernt auf halber Höhe liegt die Weilervorstadt, die von der Bundesstraße 19 durchschnitten wird. Die Verkehrsbelastung vermindern und eine Aufwertung des Viertels ermöglichen soll ein 400 Meter langer vierspuriger Tunnel, der die Autos in einem Bogen um das Quartier herumführt. Nach Ansicht von Michel aus verkehrstechnischer Sicht ein unsinniges Vorhaben, das sich längst überholt hat.

Mit dieser Einschätzung ist der Haller Bürger zwar nicht allein, doch als einziger läuft er mit Entschiedenheit Sturm gegen die Umsetzung. Selbst beim örtlichen Bündnis Mobilitätswende, in dem sich der Aktivist engagiert, vermisst er Vehemenz. Der 69-Jährige, der als Lehrer lange Jahre im EDV-Bereich tätig war, befasst sich seit zehn Jahren mit Verkehrspolitik. Die Initialzündung für ihn war sein Engagement gegen das Megaprojekt der Bahn Stuttgart 21. Seither hat er sich in die Materie reingekniet und an alternativen Verkehrskonzepten in der Region getüftelt. Inzwischen fühlt er sich jedoch wie ein Haller Don Quijote, der gegen die Windmühlenflügel der politischen Bürokratie ankämpft.

Aufwind hat Michel durch das Ende vergangenen Jahres veröffentlichte Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler gespürt. Darin wird der Weiler Tunnel als Geldverschwendung angeprangert wegen der immensen Steigerung der Kosten, die sich von ursprünglich 36 auf rund 100 Millionen Euro mehr als verdoppelt haben. Die 400 Meter lange Tunnelstrecke ist Teil des Ausbaus der durch Schwäbisch Hall führenden Bundesstraße 19, auf der sich jahrelang die Autos in der Weilervorstadt stauten. Inzwischen ist die Stuttgarter Straße jedoch von einem Großteil des Durchgangsverkehrs entlastet durch die 2011 fertig gestellte Westumfahrung, die gebaut wurde, um den Verkehr aus dem Kochertal aus der Innenstadt herauszuhalten. Auf der anderen Seite sind mittlerweile die Kosten für den Tunnel explodiert. Michel hat sich das Quartier entlang der B 19 genau angeschaut und weist darauf hin, dass nur wenige direkt an der Straße gelegene Häuser vom Lärm betroffen sind und kaum Raum für eine Neubebauung ist.

Als Grund für die Verteuerung werden von offizieller Seite neben dem Anstieg der Baukosten auch geologische und hydrologische Schwierigkeiten genannt. Michel hat bislang vergeblich versucht, in ein entsprechendes Gutachten Einblick zu bekommen. Einen öffentlichen Aufschrei hat der Bund der Steuerzahler mit seiner Kritik zur Enttäuschung Michels nicht ausgelöst. Und im Rathaus der 40.000-Einwohner-Stadt will man sich offenbar auch nicht weiter damit befassen, zumindest nicht öffentlich. Eine Anfrage unserer Zeitung wurde mit dem knappen Hinweis beschieden, dass für den Tunnel der Bund zuständig sei.

Geplant ist geplant und wird gebaut

Das Projekt geht auf eine Vereinbarung der Stadt Schwäbisch Hall und dem Bund im Jahr 1968 zurück. Nachdem 2015 der damalige Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) die Mittel für den Tunnel freigegeben hatte, schien die Umsetzung in greifbare Nähe zu rücken. Eine Fertigstellung war bis 2018 in Aussicht gestellt. Zum Leidwesen der Befürworter stellten sich Schwierigkeiten ein – bei der Untertunnelung der Bahnstrecke werden höhere Sicherheitsansprüche gestellt, zudem erweist sich der Untergrund als problematisch.

Wer sich beim Land mehr Aufklärung über das Projekt oder dessen verkehrspolitische Einordnung erhofft, wird enttäuscht. Eine Nachfrage beim baden-württembergischen Verkehrsministerium bringt zwar eine ausführliche Stellungnahme, kritische Fragen sind jedoch ausgespart. Ein Sprecher bestätigt, "dass die Entwurfsplanung für den Tunnel derzeit aufgrund der aktuellen geologischen Erkenntnisse überarbeitet wird". Weiter zieht sich das Ressort von Minister Winfried Hermann, Grüne, auf die Position des Bundes zurück. Festzuhalten sei, heißt es in der Stellungnahme des Ministeriums, dass der Weiler Tunnel an der B 19 im aktuellen Bundesverkehrswegeplan als Maßnahme im Bau enthalten und damit über das Fernstraßenausbaugesetz gesetzlich verankert sei. Und: "Mit dem Bau des Weiler Tunnels in Schwäbisch Hall kann die verkehrliche Situation insgesamt verbessert werden", hält das baden-württembergische Verkehrsministerium an seiner positiven Einschätzung der Maßnahme fest. Offensichtlich ist, dass das Ministerium es sich mit dem Bund nicht verscherzen will.

Paul Michel schüttelt nur den Kopf. Der vierspurige Tunnel widerspricht seiner Ansicht nach einer ökologisch ausgerichteten Klima- und Verkehrspolitik diametral, die ja auch Verkehrsminister Hermann verfolge. Ohnehin sei der zwingende Grund für den Tunnel mit der Westumgehung entfallen, denn die habe das Verkehrsaufkommen in etwa halbiert.

Mehr Straßen bedeuten mehr Verkehr

Schützenhilfe erhält Michel vom Verkehrsforscher Heiner Monheim, der seit Jahren die Fixierung der Politik aufs Auto kritisiert. Er hat schon vor Ausbruch der Corona-Pandemie in der Stadt einen Vortrag über die lokale Verkehrsentwicklung gehalten. Ausdrücklich erkennt er die Bemühungen der Kommune um den öffentlichen Personennahverkehr an, besonders beim Ausbau der Busverbindungen. Mit dem Weiler Tunnel hat sich der Geograph, Stadtplaner und Verkehrsexperte zwar nicht im Einzelnen befasst. Der emeritierte Professor der Universität Trier spricht jedoch von "einem aus der Zeit gefallenen Projekt". Es atme den Geist der 1960er-Jahre. Wenn es eng werde, dann baue man halt den nächsten Tunnel. Aber die Erfahrung seit den 70er-Jahren zeige, dass es am Ende mehr Autoverkehr gebe, wenn es für diesen leichter gemacht wird. Der Weiler Tunnel ist nach Einschätzung von Monheim kein singuläres Projekt, es stehe vielmehr für eine bestimmte Planungsstrategie, die sich nach dem Motto richte: "Die Räder müssen rollen". Und so hat das Vorhaben für den Wissenschaftler nichts mit Verkehrswende und Klimaneutralität zu tun – zwei Zielen, denen sich auch die neue Bundesregierung verpflichtet sieht.

Nach Ansicht Monheims dürfte so ein Projekt im Bundesverkehrswegeplan nicht mehr realisiert werden. "Wir brauchen ein Moratorium für die Kapazitätserweiterung im Straßennetz", meint er und fordert, jedes Projekt auf seine Klimaverträglichkeit zu überprüfen. Dass das noch nicht geschieht, dafür macht er die Bürokratie verantwortlich, die weiter nach dem alten Muster verfahre. Monheim plädiert dafür, es dem Autoverkehr durch einen Rückbau der Straßen schwerer zu machen.

Der Stadt Hall empfiehlt er nicht nur Straßenrückbau und Verkehrsberuhigung, sondern auch, sich um ein betriebliches Verkehrsmanagement mit den "Verkehrserzeugern", also den ortsansässigen Unternehmen, zu kümmern. Zugleich sieht der 76-Jährige großes Potenzial beim Ausbau des Schienenverkehrs für Stadt und Region.

Walter Döring schiebt alles auf den Bund

Trotz all der Gegenargumente halten Stadt und eine Mehrheit im Gemeinderat an dem Tunnel fest. Als Begründung werden vor allem städtebauliche Vorteile angeführt: die Aufwertung der in die Jahre gekommenen Weilervorstadt durch die Verkehrsberuhigung und eine bessere innerörtliche Verkehrsführung. Zugegeben, im Vergleich zur nahegelegenen pittoresken Altstadt mit ihrem mittelalterlich geprägten Fachwerkcharme wirkt die Weilervorstadt heruntergekommen. Kritiker des Projekts, zu denen die Grünen und die Gemeinderätin der Linken zählen, führen jedoch an, dass die Durchgangsstraße auch nach dem Tunnelbau bestehen bleibt. Sie plädieren wie Michel für einen Baustopp. Für eine Neugestaltung sieht Michel ohnehin wenig Spielraum und er fragt sich, wie das städtebauliche Konzept eigentlich aussehen soll, weil konkrete Vorschläge noch gar nicht vorliegen würden.

Andrea Herrmann, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Gemeinderat, spricht wie Monheim von einem veralteten Projekt, das rein aus der Sicht der AutofahrerInnen konzipiert worden sei. Das moniert auch der örtliche ADFC als Vertretung der Radfahrenden, der jedoch von der Stadt mit dem pauschalen Hinweis beschieden wurde, dass an einer guten Lösung für alle gearbeitet werde.

Der frühere baden-württembergische Wirtschaftsminister Walter Döring von der FDP, heute Haller Stadtrat, meint lapidar, dass die Entscheidung beim Bund liege. Heute würde man diesen Tunnel sicher nicht mehr bauen, zumal der Verkehr seit Planungsbeginn um die Hälfte zurückgegangen sei, sagt er. Im Gemeinderat verwies er darauf, dass laut einer Anfrage bei der Verwaltung rechtlich ein Baustopp durch die Stadt nicht möglich wäre. Also lehnte die FDP zusammen mit Freien Wählern, CDU und SPD im vergangenen Jahr einen Antrag der Grünen für einen Baustopp ab.

Hartmut Baumann von der Freien Wählervereinigung ist der Ansicht, dass das Verkehrsaufkommen auch künftig hoch sein wird und der Tunnel den Städtebau voranbringt. Nikolaos Sakellariou (SPD) ist von seiner anfänglichen Ablehnung abgerückt, weil er der Ansicht ist, dass endlich die Weilervorstadt aus ihrem Aschenputtel-Dasein erlöst werden könnte. Er warnt vor Schadenersatzansprüchen in Millionenhöhe. Verkehrsexperte Monheim hält dieses Argument jedoch nicht für zutreffend, da die Stadt ja gar nicht der Bauherr ist, sondern der Bund.

Befürworter und Kritiker bringen seit Monaten dieselben Argumente vor. Paul Michel verzweifelt. Er ist der Ansicht, dass die Kritiker ihre Position nicht vehement genug vertreten und befürchtet, dass sie damit die letzte Chance vertun, den Tunnel zu verhindern. In den vergangenen Jahren hat es schon eine Reihe von größeren Vorarbeiten gegeben am künftigen Nord- und Südportal zur Sicherung des Hangs oder der Bahnstrecke. Der Baubeginn für den Tunnel wurde für dieses Jahr angekündigt. Dass auch der Start der neuen Bundesregierung mit ambitionierten Klimazielen zu keinem Umdenken führt, kann Michel nicht nachvollziehen. Das viele Steuergeld sollte seiner Ansicht nach in ein zukunftsorientiertes Verkehrsprojekt fließen, zum Beispiel in die Schiene.


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3 Kommentare verfügbar

  • Michel aus der Mitte
    am 15.02.2022
    Antworten
    Einmal mehr ein veraltetes, falsches und teures Projekt und Politiker auf allen Ebenen ohne Arsch in der Hose! Auf schwäbisch: eine Granatensauerei!
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