Herr Palmer, was würden Sie tun, wenn Sie in diesen Tagen Verkehrsminister im Land wären?
Mich ärgern.
Warum?
Weil Stuttgart 21 den Nahverkehr in der gesamten Region zu einem Lotteriespiel werden lässt. Genau so, wie die Gegner das vorhergesagt haben.
Wie hätte man auf die hören können? Was hätten Sie 2011 nach der Volksabstimmung getan, wären Sie damals Minister gewesen?
Das ist eine gemeine Frage. Ich würde lieber beantworten, was ich gemacht hätte, wenn ich 2007 Oberbürgermeister gewesen wäre in Stuttgart ...
... also gut, ganz ausnahmsweise darf sich der Interviewte selber eine Frage stellen.
Ich hätte mein Versprechen aus dem OB-Wahlkampf 2004 erfüllt, die 67.000 Unterschriften entgegengenommen, die Leute abstimmen lassen und das Projekt beerdigt.
Tempi passati. Aktuell wird Verkehrsminister Winfried Hermann scharf kritisiert, weil er, wie Eisenhart von Loeper sagt, vor der Wahrheit kapituliert habe. Sie sind anerkannter Experte in Sachen Bahnhofskapazität. Kann das erwähnte Lotteriespiel verhindert werden?
Man hätte die Baustelle nicht anfangen dürfen, ohne den S-Bahn-Tunnel aufzurüsten. Ich habe schon vor 20 Jahren verlangt, die Kapazitäten vorab ausreichend zu erhöhen und vor allem die Stammstrecke zu ertüchtigen. Da hätte man investieren müssen, vielleicht 20 Millionen Euro. Das Geld hat man sich aber lieber gespart, und jetzt laufen die S-Bahnen dauernd ins Chaos. Das ist vollkommen absurd.
Die Kritik am Verkehrsminister entzündet sich auch an seinen Aussagen zum Integralen Taktfahrplan und dass der möglich wird. Hat er recht?
Das scheint mir eine Interpretationsfrage zu sein. Man kann auch einen Fahrplan Integralen Taktfahrplan nennen und trotzdem die Leute eine halbe Stunde auf ihren nächsten Zug warten lassen. Wenn es aber um den eigentlichen Sinn des Wortes geht, also darum, wie der Intergrale Taktfahrplan auch zu verstehen ist: Umsteigen in alle Richtungen innerhalb von zehn Minuten, dann ist die Antwort ganz einfach. Ich kann mit sieben Fernverkehrstrecken und acht Nahverkehrsliniengleisen nicht fahren, außer ich stelle überall zwei Züge drauf. Das geht aber logistisch nicht. Und das wäre eine Notlösung, die wieder in einen Chaosfahrplan führt.
Was also tun?
Man braucht 15 Gleise in Stuttgart und nicht acht. Immer unter der Voraussetzung, dass wir die Anschlüsse akzeptabel organisieren und eben nicht auf 30 Minuten gehen. Da sagen manche Leute, das ist ja nicht so schlimm, da trinkt man halt einen Kaffee im Tiefbahnhof. Das ist aber nicht die Qualität, die ich mir vorstelle. Ich komme da künftig im Tiefbahnhof an, freue mich über meinen Fahrzeitgewinn, verbringe dann aber die Zeit damit, die Bullaugen von unten anzuschauen. Bei mir führt so etwas zu Ärger. Aber andere finden Bullaugen-Anschauen ja vielleicht großartig.
8 Kommentare verfügbar
Robert Merz
am 04.02.2020Die Kapazität der Stammstrecke wird in den nächsten Jahren durch den beschlossenen Kauf von ca. 50 weiteren S-Bahn-Einheiten erhöht. Dann können beim Takt 15 alle als 3-teilige Langzüge fahren, erhöht gegenüber Doppelzügen die Kapazität um etwa die Hälfte. Der VRS hat das beschlossen und gibt…