Als Zwölfjähriger hat er auf dem Platz, auf den er Tag für Tag von seinem Rathaus aus schauen kann, Obst und Gemüse verkauft. Die Anekdoten aus dieser Zeit kommen in unterschiedlichem Gewande daher. Manchmal erzählt Boris Palmer eher belustigt von der Kälte und der Hitze, von den im wahrsten Sinn des Wortes marktwirtschaftlichen Lehren, die er früh zog ("Morgens ist der Salat teurer als mittags"). Manchmal klingt es aber auch ganz schön bitter, wenn er sich erinnert, wie er als Kind Stammkundinnen nachlief, um sie zu beschwichtigen nach den grobianischen Belehrungen durch den Vater.
In den Neunzigern studiert Palmer in Tübingen Mathe und Geschichte. Heute ist der inzwischen 43-Jährige im Amt bestätigter Rathauschef. Jetzt habe er den Traumjob in der Traumstadt, schwärmte er nach seiner ersten Wahl 2006. Das war im Gespräch mit dem People-Magazin "Vanity Fair". Typisch Palmer: keine Berührungsängste. Für ein Hochglanzfoto posierte er sogar auf einem Stocherkahn, die Überschrift "Der neue Joschka" beschrieb einen, der in Sachen Selbstvermarktung denkbar unbekümmert agiert. Wenig später brüskiert er die heimische Automobilindustrie und ihre Arbeitnehmerschaft mit der Anschaffung eines hybrid-angetriebenen Toyota, nimmt für sich in Anspruch, "als Heimatschützer dieses Signal zu setzen".
Der Japaner ist längst durch einen Smart ersetzt - meistens fährt er ohnehin Rad -, der Hang zu öffentlichkeitswirksamen Auftritten hingegen, von Morgenmagazin bis Markus Lanz, pralle Gegenwart. Spitzbübisch nimmt er für sich in Anspruch, in der Flüchtlingsdebatte jene Wahrheit auszusprechen, die sich andere nicht zu sagen trauen - und wie üblich dafür auch reichlich Ärger in Kauf. Die Distanz zu seiner Partei ist ohnehin gewachsen, seit die Bundesdelegiertenkonferenz in Hannover ihn vor drei Jahren aus dem Parteirat warf. Beim Landesparteitag kürzlich in Pforzheim, der Winfried Kretschmann mit einem Traumergebnis zum Spitzenkandidaten kürte, war er abwesend, weil ganz privat mit der Familie unterwegs.
Doppelinterviews mit dem Vater, dem Remstallrebellen
Winfried Kretschmann sagt von sich, aus Liebe zur Natur die Grünen mitbegründet zu haben. Boris Palmer, der nach dem historischen Wahlsieg seine Partei landauf, landab als Minister und anhaltend sogar als möglicher Nachfolger in der Villa Reitzenstein gehandelt wurde, unterlegt seinen Einritt mit der Sorge über die Selbstzerstörung der Menschheit. Er bezeichnet sich als Weltverbesser und nennt das "einen Adelstitel". Tu' Gutes und sprich darüber. Als Student spazierte er zur Stadtverwaltung, weil ausgerechnet die Uni-Stadt von Weltruf noch keine Nachtbusse hatte. Er fand Gehör, setzte sich - wie gut 15 Jahre später in der Schlichtung zu Stuttgart 21 - hin und konzipierte Fahrpläne. Die wurden 1996 umgesetzt und sind Basis des Busverkehrs bis heute.
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Matthias Fahrner
am 07.05.2020