Seit vielen Jahren erhalte ich alle paar Monate eine Werbe-E-Mail des Fünf-Sterne-Hotels Bayerischer Hof in Lindau. In all diesen Jahren habe ich wenig zum Gedeih dieses Hotels beigetragen. Und doch gibt es einen tieferen Grund für die regelmäßigen E-Mails. Und der hat – ohne dass das Hotel-Management davon Kenntnis hat – viel mit einem Menschen zu tun, der in diesen Tagen mit dem Kulturpreis der Stadt Lindau geehrt wird.
Mensch, Charly, wer, wenn nicht Du?
Karl – Charly – Schweizer war bis 2016 Lehrer, überwiegend tätig an der Pestalozzi-Werkrealschule in Friedrichshafen. Er war Teil eines Teams, das 1981 das alternative, linke Blatt "Südschwäbische Nachrichten" gründete; er blieb dieser für die linke und für die Antifa-Szene der Region wichtigen Publikation bis zu ihrer Einstellung im Jahr 1991 eng verbunden. Er ist seit den 1970er-Jahren aktiv in der Friedensbewegung, in DGB und GEW. Er engagiert sich seit rund vierzig Jahren in unterschiedlichen fortschrittlichen Projekten, Zusammenhängen und bei diversen Antifa-Aktivitäten.
Lokalhistoriker und -politiker
Nun gelten Antifa-Aktivitäten, Antikriegsengagement und klassenkämpferische Gewerkschaftsarbeit nicht nur im bayerischen Lindau den Oberen als eher nicht salonfähig. Und schon gar nicht als kulturpreiswürdig. Was dennoch dazu geführt haben dürfte, dass die Verantwortlichen in der Stadt Lindau Karl Schweizer den Kulturpreis 2022 der Stadt verliehen, dürften dessen Tätigkeiten als Autor von Büchern und von Zeitungsartikeln gewesen sein. Schweizer ist Verfasser von rund einem Dutzend Broschüren und Büchern zur Geschichte von Lindau und der Bodensee-Region – beispielhaft genannt seien "Lindau und der Erste Weltkrieg", "Jakobiner am Bodensee", "Novemberrevolution 1918 und Räterepublik 1919 – Sozialisten und Kommunisten in Lindau und Umgebung" und – erst 2021 erschienen und bereits wieder vergriffen – "170 Jahre Eisenbahn in Stadt und Landkreis Lindau. 100 Jahre Bahnhofsgebäude Lindau-Insel".
Charly gehörte lange Zeit zum inneren Kreis der Bunten Liste Lindau, die seit 1984 im Lindauer Stadtrat vertreten ist und die inzwischen dort die stärkste Fraktion stellt. Seit einigen Jahren vertritt er als Mitglied im Kreisrat Lindau die Partei Die Linke. Und es sind immer wieder Großprojekte der Oberen in Stadt und Kreis, der Bau- und Beton- und Spekulationslobby, die von der Linken und von der Bunten Liste bekämpft werden – wobei Charly bei diesen Aktivitäten so gut wie immer eine vorantreibende Rolle spielt. Wenn man diese Kämpfe auf einen Nenner bringen will, dann geht es fast immer um Widerstand gegen die Zerstörung von Urbanität, von Lebensqualität, von Natur und Umwelt.
Und wie das bundesweit fast überall der Fall ist, so handelt es sich bei all diesen Aktivitäten überwiegend um Verteidigungskämpfe, um Rückzugsgefechte, um Hier-steh-ich-und-ich-kann-nicht-anders-Engagements. Doch auch diese müssen mit Energie, mit Witz und nicht zuletzt mit Würde geführt werden. Und Charly gehört zu denen, die auch diese Defensiv-Kämpfe nach dem Motto führen: Man muss sich am nächsten Tag im Spiegel doch noch ansehen – und erkennen! – können.
2 Kommentare verfügbar
RadtourenChecker
am 12.06.2022Der Bahnhof direkt auf der Insel hat mich immer fasziniert, der muss unbedingt bleiben. Es wäre fatal grundlegende Infrastruktur abzubauen (wie es gerade in Stuttgart geschieht).