Es ist soweit: Die Südbahn ist elektrifiziert. Auf der Strecke Ulm–Friedrichshafen fährt die Bahn seit dem 12. Dezember elektrisch. Was die Deutsche Bahn AG auf ihrem Faltblatt "Die Südbahn elektrisiert" mit den Worten bewirbt: "Volle Elektro-Power für Oberschwaben". Sogar die Verbindung Friedrichshafen–Lindau wurde elektrifiziert. Klingt ebenfalls gut. The Länd mit Entwicklungshilfe in Richtung Bayern. Und dann soll es auch noch ein besseres Fahrplanangebot geben, was in der DB-Eigenwerbung wie folgt angepriesen wird: "Zwischen Ulm und Friedrichshafen fährt künftig der Regionalexpress alle halbe Stunde – und damit so oft wie anderswo die Straßenbahn."
Man fragt sich, wo es eine Straßenbahn im Halbstunden-Takt geben könnte. Selbst in den 1950er-Jahren fuhr beispielsweise in Ravensburg "s'Bähnle" alle Viertelstunde. Und in Wirklichkeit ist das gesamte Projekt Südbahn-Elektrifizierung ein Beispiel für die miserable Schienen-Infrastrukturpolitik im Land.
90 Jahre lang Versprechungen
Die Südbahn-Elektrifizierung wurde das erste Mal in den Zwanzigerjahren zugesagt. Der Karte "Das elektrifizierte Netz der Deutschen Reichsbahn" vom 1. Juli 1927 war zu entnehmen, dass die Strecke "Ulm–Friedrichshafen–Lindau–Singen" für die "Umstellung auf elektrifizierten Betrieb" vorgesehen war. Seither gab es seitens der Reichsbahn-Oberen, der Bundesbahn-Verantwortlichen, der Reichsregierungen, der zunächst westdeutschen, dann der gesamtdeutschen Bundesregierungen, der jeweiligen baden-württembergischen Landesregierungen und ab 1994 der bislang fünf Chefs der Deutschen Bahn AG mehr als zwei Dutzend solcher konkreter Versprechungen einer Südbahn-Elektrifizierung. So als die baden-württembergische Landesregierung 1960 "nach Gesprächen mit dem BMV [Bundesverkehrsministerium, d. Red.] sowie der DB [Deutsche Bundesbahn, d. Red.] eine Elektrifizierung der Südbahn zum baldestmöglichen Zeitpunkt in Aussicht" stellte. Fertigstellungstermin: "1965/6".
Der Eisenbahnenthusiast und ehemalige Hotelier Andreas Kleber hat eine Liste zusammengestellt mit solchen konkreten Zusagen für eine Südbahn-Elektrifizierung – teilweise basierend auf Antworten auf eigene Briefe an offizielle Stellen, meist dokumentiert durch öffentliche Aussagen der Verantwortlichen. Beispielsweise stellte der Verkehrsminister des Landes Thomas Schäuble (CDU) am 11. Februar 1992 fest: "Die Elektrifizierung der Südbahn hat oberste Priorität".
In einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen, eingebracht von den MdB Agnieszka Brugger, Matthias Gastel und Chris Kühn, datiert auf den 24. April 2014, hieß es: "Das Baurecht für die Gesamtstrecke könnte nach aktuellen Angaben der Vorhabenträgerin [Deutsche Bahn AG, d.R.] … bis zum Ende des 1. Quartals 2015 erlangt werden". Dann sei "mit einer Bauzeit von 36 Monaten zu rechnen". Danach wäre die Strecke im 1. Quartal 2018 elektrifiziert gewesen. Es sollte weitere dreieinhalb Jahre dauern.
Kostenexplosion im Eilzugtempo
Die baden-württembergische Landesregierung errechnete 1985 für die Südbahn-Elektrifizierung, einschließlich der Verbindung Friedrichshafen–Lindau, Gesamtkosten in Höhe von 85 Millionen DM. 1990 ergab eine genauere Kalkulation 90 Millionen DM.
Als mit der Bahnreform von 1994 klar war, dass die entsprechenden Kosten nicht die DB, sondern der Bund trägt, wurde die DM in Euro umgerubelt und ein 40-Prozent-Zuschlag draufgesattelt. Konkret: 2010 nannte die DB Gesamtkosten in Höhe von 120 Millionen Euro. Als das Land Baden-Württemberg und dessen grün-rote Regierung sich bereit erklärte, die Hälfte der Gesamtkosten zu tragen, stiegen die auf 226 Millionen Euro. Und als dann Ende 2021 abgerechnet wurde, waren es 370 Millionen Euro. Auch wenn die Inflation berücksichtigt wird, stiegen damit die Kosten seit Mitte der 1980er Jahre in realen Preisen um mehr als das Vierfache. Wobei bedacht sein will, dass es seither ja auch im Bausektor enorme Produktivitätsfortschritte gab, die sich eher in sinkenden Preisen niederschlagen sollten.
Doch die Struktur der Deutschen Bahn AG belohnt diese Art Preisexplosion, wie wir sie ja auch bei Stuttgart 21 kennen. Einerseits werden gut 60 Prozent des Umsatzes der DB-AG-Infrastrukturtochter DB Netz, die für alle Neubaumaßnahmen und Modernisierungen im Schienennetz verantwortlich ist, von öffentlichen Zuschüssen gespeist. Andererseits erwirtschaftet DB Netz (damit) hohe Gewinne – die sie an ihre Holding abführt. Und diese Holding finanziert damit unter anderem die Global Player-Orientierung des Bahnkonzerns – so lautet der regelmäßig vorgebrachte Vorwurf des Bundesrechnungshofs.
In diesem Punkt gibt es im Koalitionsvertrag der Ampel die Absichtserklärung einer sinnvollen Neustrukturierung des Bahnkonzerns: DB Netz und DB Station und Service sollen in ein neues, "gemeinwohlorientiertes" Unternehmen zusammengeführt werden; der Beherrschungsvertrag zwischen der Infrastrukturgesellschaft und der Holding soll aufgehoben werden. Für die Preistreiberei bei der Südbahn-Elektrifizierung kommt dieser Konzernumbau – wenn es denn tatsächlich zu einem solchen kommt – deutlich zu spät.
Elektrifizierung im Schneckentempo
Der grüne Ministerpräsident des Landes, Winfried Kretschmann, äußerte anlässlich einer symbolischen Eröffnung der elektrifizierten Südbahn am 6. Dezember in Friedrichshafen, er sei froh, dass "mit der Inbetriebnahme der elektrifizierten Südbahn das Ende des fossilen Zeitalters im oberschwäbischen Bahnverkehr eingeläutet" werde. Baden-Württemberg sei eine der innovativsten Gegenden Europas. "In eine solche Landschaft passen dröhnende Dieselloks nicht mehr hinein" ("Schwäbische Zeitung" vom 7.12.2021). Das ist kurzsichtig und kurzatmig.
4 Kommentare verfügbar
Christian Moritz
am 12.01.2022Was sagen Sie dazu ?
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Gruß
Christian Moritz