Lange Menschenschlangen stehen vor dem Eingang des Bürgerbüros Mitte in der Eberhardstraße in Stuttgart, die Wartezeit beträgt circa eine Stunde. Die Sonne scheint, die Menschen vor dem Bürgerbüro warten geduldig und ruhig in zwei Schlangen – in der rechten für die Ausländerbehörde, in der linken für alles andere. "Bei schlechtem Wetter sieht's anders aus", berichtet Hans Kunz, der als Security vor dem Bürgerbüro Mitte steht. Dann mache sich eher Missmut Luft. Besonders die Situation in der Ausländerbehörde beschreibt Kunz drastisch: "Die Leute fragen, wo ihre Papiere bleiben", und er müsse sie "auf E-Mail und Telefon vertrösten", wenn sie nicht mehr drankommen. Kunz "kann jeden verstehen", der daran verzweifelt, an der Türe abgewiesen zu werden. Schließlich besteht die Gefahr, wenn es beispielsweise um das vorläufige Aufenthaltsrecht in Deutschland durch eine Fiktionsbescheinigung geht, dass die Betroffenen Deutschland verlassen müssen. Er müsse "gegens Gewissen arbeiten", wenn er in seiner Funktion als Security dennoch Leute abweisen müsse, so Kunz.
Der 33-jährige Julian Hirneth steht in der linken Schlange vor dem Bürgerbüro Mitte, in der es um alle Angelegenheiten geht, die nicht die Ausländerbehörde betreffen. Ihm ist im Bürgerbüro West ursprünglich mitgeteilt worden, dass die Bearbeitung seiner erweiterten Meldebescheinigung postalisch "kein Problem" sei, doch der "Brief kam dann irgendwann zurück". Erweiterte Meldebescheinigungen werden beispielsweise von ArbeitgeberInnen, Banken und verschiedenen Behörden wie dem Standesamt als Beleg für die aktuelle Meldesituation verlangt. Der Versuch von Hirneth, an das Dokument zu kommen, "zieht sich schon seit einem guten Monat". Digitale Alternativen gebe es nicht, so Hirneth: "Online geht es gar nicht." Die Mitarbeiter:innen im Bürgeramt seien aber nicht das Problem, denn sie seien bemüht und freundlich, ergänzt er.
Für Irini Pröfrock ist ebenfalls eigentlich das Bürgerbüro West zuständig. Sie hat zufällig mitbekommen, dass sie nach Mitte muss. Dort arbeiten nur zwei Personen in dem Büro, das für Personalausweise zuständig ist, so Pröfrock. Vor ein oder zwei Jahren sei die Wartesituation allerdings nicht anders gewesen, sagt der 24-jährige Xo Thency, der wegen eines Visums in der Schlange steht. Damals habe man auch mal zwei bis drei Stunden warten müssen. Zu dieser Zeit konnte die Verwaltung auf Corona verweisen, was zumindest auf ein gewisses Verständnis stieß. Doch das Hauptproblem – schon vor Corona – ist: Die Stadtverwaltung findet keine Leute.
Ein altes Problem spitzt sich zu
2021 mussten die Bürgerbüros 149 Mal wegen Personalmangels ganztägig geschlossen werden, ist in einem FDP-Haushaltsantrag nachzulesen. 2022 hat sich die Lage nicht gebessert, wie das geschlossene Bürgerbüro West beispielhaft zeigt. Auf der Internetseite der Stadt Stuttgart steht zur Begründung: "Beschäftigte aus den Bürgerbüros werden momentan in sogenannten Pop‐up‐Bürgerbüros zur Registrierung der zahlreichen Geflüchteten aus der Ukraine eingesetzt." Doch auf die Kontext-Anfrage, wo denn diese Pop-up-Bürgerbüros seien, antwortet die städtische Pressestelle: "Leider ist die städtische Homepage in diesem Punkt nicht mehr ganz aktuell. Die melderechtliche Erfassung vor Ort in den Notunterkünften mit dem sogenannten Pop-up-Bürgerbüro wurde vor Kurzem abgeschlossen." Eine Woche nach dieser Antwort ist die falsche Begründung für die Schließung immer noch online. Wieder fragte Kontext nach. Antwort: "Das Bürgerbüro West muss leider weiter geschlossen bleiben, weil (…) aktuell zu viele Stellen in diesem Bürgerbüro unbesetzt sind, insbesondere fehlt auch die Leitung."
3 Kommentare verfügbar
Bolzkopf
am 08.06.2022Die fehlenden Leute werden doch grad' bei S21 eingesetzt. Da ist der Mangel noch viel größer.
(... mit der prosperierenden Wirtschaft im Wettbewerb...)
In der Verwaltungsspitze sitzen doch ungemein fähige und bestens ausgebildete Fachleute.
Und…