Sie bitte um Verständnis dafür, schrieb die Stadt Stuttgart vor einigen Tagen, dass sie der Presse nach dem Einzug von Geflüchteten in Notunterkünfte "grundsätzlich keinen Zugang zu den Räumlichkeiten gewährt". Ein Besuch der Unterkünfte durch JournalistInnen, heißt es in den neuen "Leitlinien der Landeshauptstadt Stuttgart zu Foto- und Filmaufnahmen", stelle einen Eingriff in die Privatsphäre und die Persönlichkeitsrechte besonders Schutzbedürftiger dar. Außerdem bringe Presse, welcher Art auch immer, "Unruhe rein", bekräftigt Susanne Kaufmann am Telefon, Sprecherin von Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) und frühere SWR-Redakteurin. Also stellt die Stadt den Medien jetzt Fotos und Videos von den bezogenen Hallen zur Verfügung, die sie beim Fotografen und Filmer ihrer Wahl beauftragte hat. Und legt auch gleich fest, wie das Material zu verwenden ist, nämlich "nur zu Zwecken einer aktuellen ... Berichterstattung".
Das Verständnis für diese "Leitlinien" hält sich in Grenzen. Mit einigem guten Willen lässt es sich für das Verbot von Fotos und Filmaufnahmen vielleicht noch aufbringen, für ein generelles Presseverbot allerdings nicht. Da stellt sich auch die Frage, welche Vorstellung von Pressefreiheit hinter solch einer Vorgabe steckt. Zumal der Besuch von Unterkünften und Gespräche mit dort untergebrachten Geflüchteten für JournalistInnen auch bisher nur nach Anmeldung und in Begleitung möglich waren. Denn natürlich sollen Menschen in Notlagen ihre Ruhe haben und ein Recht auf Privatsphäre.
Was aber spricht dagegen, begleitete Pressebesuche zu ermöglichen? Wie übrigens in fast allen aktuell eingerichteten Notunterkünften und Landeserstaufnahmestellen des Landes üblich. Einzig die Messehalle in Karlsruhe in Verwaltung des Regierungspräsidiums (RP) Karlsruhe teilt die Stuttgarter Auffassung und lässt ebenfalls keine Presse rein.
Um die Frage zu beantworten: Offenbar liegt es auch an der Personaldecke. Aus dem RP Karlsruhe heißt es, da müsse man ja täglich fünf Leute abstellen, nur damit diese die Presse begleiten und aufpassen, dass keiner aus der Reihe witscht, um sein eigenes Ding zu machen. In der Tat ist die Personalsituation wohl auch im Stuttgarter Rathaus nicht überwältigend. Aber in welchem Lebensbereich fehlt denn bitte kein Personal, um irgendwas besser zu machen als den Status quo? Wenn sich die Stadt zu dieser Gelegenheit eben PressebegleiterInnen aus den Rippen schnitzen muss: So sei es. Ist ja eine Landeshauptstadt. Und die Pressefreiheit in Artikel 5 des Grundgesetzes geschützt. Wie wichtig sie für eine Demokratie ist, wird gerade während des Ukrainekriegs immer wieder betont. Und jetzt wird sie ausgerechnet im Fall der Unterkünfte eingeschränkt?
Klappt das alles so, wie die Stadt behauptet?
Es wird momentan eine Menge Steuergeld ausgeschüttet, um die Geflüchteten aus der Ukraine unterzubringen und ihnen ein gutes Ankommen zu ermöglichen. Das ist toll, aber es muss möglich sein, nachzuschauen, ob auch alles so klappt, wie die Stadt das behauptet. Denn wenn es Probleme gibt, wird sie ganz sicher nicht selbst damit an die Öffentlichkeit gehen. Dazu gibt es ja die Presse.
Die "Stuttgarter Zeitung" hatte 2015 einen Text geschrieben über die Odyssee der damals hier angekommenen Geflüchteten, die in einer Halle an der Schleyerhalle aufgenommen wurden. Die musste dann wegen Vorbereitungen zur Gymnastik-WM vorzeitig geräumt werden. Er fühle sich als "Spielball" der Behörden, sagte da ein Gambier, und ziemlich sicher hätte es dieses Zitat ohne einen Pressevertreter vor Ort nicht in die Öffentlichkeit geschafft. Damals war übrigens der Grüne Fritz Kuhn OB von Stuttgart und noch nicht Frank Nopper.
Außerdem wäre es wünschenswert, wenn die Betroffenen selbst entscheiden könnten, mit wem sie reden wollen oder auch nicht. Juristisch ist aber auch das ausgehebelt. Denn wer sich in einer Unterkunft befindet und seine Einwilligung gibt, beispielsweise für ein Foto, sei in einer Ausnahme-Situation und die Einwilligung deshalb nicht bindend, sagt Nopper-Beraterin Kaufmann.
Die Stadt hat das Hausrecht und das besondere Schutzbedürfnis von Geflüchteten stellt ebenfalls keiner in Frage. Auch nicht, dass es unter text- und bildschaffenden JournalistInnen schwarze Schafe gibt. Doch das ist kein Grund, pauschal die Wächterfunktion auszuhebeln.
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