In Syrien, wo sich der russische Imperialismus in den letzten Jahren besonders aggressiv hervorhob, unterstützt Moskau nicht nur eines der menschenfeindlichsten Regime der Gegenwart, sondern beteiligte sich en masse an Kriegsverbrechen und bombardierte regelmäßig Krankenhäuser, Schulen und Moscheen. Vor einigen Jahren interviewte ich den syrischen Intellektuellen und Linken Yassin al-Hajj Saleh. Er befand sich 16 Jahre lang in Gefangenschaft des Assad-Regimes. Mittlerweile lebt er in Berlin – und hat für seine "Genossen" im Westen wenig Sympathien. "Viele jener, die sich im Westen als Anti-Imperialisten definieren, tendieren dazu, unseren Kampf als Regime Change im amerikanischen Sinn zu begreifen. Dabei ignorieren sie die gesamte Geschichte Syriens, der Gesellschaft, des politischen Lebens und der Wirtschaft", sagte mir Saleh damals. Linke Syrer wie er, die in den Folterkellern des Regimes verschwunden seien, hätten von westlichen Linken kaum Solidarität erfahren. In der Ukraine, mit der sich Saleh heute solidarisiert, sei Ähnliches der Fall.
Neben regulären Truppen sind in Syrien auch Milizen der russischen Söldnerfirma "Gruppe Wagner" präsent, die teils einen kruden, nordisch angehauchten "Wikingerkult" gepaart mit rechtsextremen und islamfeindlichen Ideologien pflegen. Für sie ist Putin längst ein messianischer Führer, der Russland zurück zu alter Größe bringen wird. Die russischen Söldner operieren mittlerweile global. Sie sind nicht nur in Syrien aktiv, sondern unter anderem auch in Libyen, Mali, Mosambik, Venezuela und eben auch in der Ukraine. Unter den Wagner-Milizen befinden sich zahlreiche Veteranen aus dem sowjetischen Afghanistankrieg der 1980er, einem weiteren Konflikt, der von den sonst so kritischen Kriegsgegnern im Westen gerne verharmlost und einseitig betrachtet wird. Bis heute muss ich mich zum Teil dafür rechtfertigen, dass weite Teile meiner Familie vor der sowjetischen Besatzung Afghanistans geflüchtet sind.
Viele Menschen denken weiterhin, dass der Krieg in Afghanistan mit den Taliban begonnen hat, und blenden die Tatsache aus, dass Afghanistan zu Weihnachten 1979 von Moskau überfallen und zehn Jahre lang okkupiert wurde. Der damalige Krieg hat rund zwei Millionen Afghan:innen das Leben gekostet und ist für die gegenwärtige Instabilität des Landes sowie die Verbreitung von religiösem Extremismus in der Region maßgeblich mitverantwortlich.
Es ist deshalb einfach nur falsch und heuchlerisch, in diesem Kontext lediglich auf Ronald Reagan und die afghanischen Mudschaheddin oder Zbigniew Brzezinski und die CIA zu verweisen. Viele Afghanen, Tschetschenen oder Syrer waren sowjetischer oder russischer Gewalt und Repression ausgesetzt, was einen erheblichen Anteil an ihrer Radikalisierung hatte. Der Ukraine steht nun Ähnliches bevor.
Desinformation wirkt offenbar
Dasselbe könnte man sogar für Brzezinski selbst behaupten. Der einstige Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter gehörte zu den bekanntesten "Falken" des Kalten Krieges und machte meist keinen Hehl aus seiner antisowjetischen Haltung. Doch warum hatte er die? Vielleicht weil Brzezinski, das Kind polnischer Geflüchteter mit ukrainischen Wurzeln, mit den Geschichten über die Säuberungen Stalins aufwuchs und aufgrund der Brutalität der Sowjetunion nie in die polnische Heimat seiner Eltern zurückkehren konnte. Ähnlich geht es vielen Einwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion bis heute. Sie solidarisieren sich mit den Menschen in der Ukraine, weil sie deren Erfahrung teilen und selbst Opfer des russischen Imperialismus geworden sind.
Dass diese Solidarität anderswo fehlt, ist auch gezielten Desinformationskampagnen zuzuschreiben. Vor allem der Krieg in Syrien hat das in den vergangenen Jahren deutlich gemacht. Dank "Russia Today" und ihrer Propagandisten in vermeintlich alternativen Medien wurden etwa aus Lebensrettern wie den syrischen Weißhelmen "Al-Qaida-Terroristen". Die Kampagne dürfte unter anderem einer der Gründe gewesen sein, aus denen sich James Le Mesurier, der Gründer der Weißhelme, im November 2019 das Leben genommen hat. Der Brite und dessen Privatleben waren regelmäßig Ziel der Propaganda. Eine "Guardian"-Recherche aus dem Jahr 2017 machte deutlich, dass fast jegliche Stimmungsmache gegen die Weißhelme aus Kreml-nahen Netzwerken stammte. Viele linke Medien übernahmen dieses Narrativ, ohne es zu hinterfragen. Die Weißhelme wurden zu einer großen "Regime-Change-Verschwörung" gemacht, an der sich Netflix, Al-Qaida, der britische Geheimdienst und die CIA beteiligten.
12 Kommentare verfügbar
Arnold Weible
am 07.06.2022Bemerkenswert finde ich, dass hier auf die Desinformation aus Russland hingewiesen wird, dabei aber die Desinformation aus den USA komplett ausgeblendet bleibt.
Sicher gibt es…