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Linke Szene

Antiimperialismus im Namen Putins

Linke Szene: Antiimperialismus im Namen Putins
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Aggressoren, die nicht die USA sind, werden von westlichen Linken geschont oder gar entschuldigt. Nicht nur beim Krieg Russlands gegen die Ukraine fehlt linke Solidarität mit den Angegriffenen, meint unser Autor.

Vor mehr als drei Monaten begann der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Mittlerweile hat er die ideologischen Scheuklappen von vielen Beobachtern offenbart. Besonders erwähnenswert ist wohl die Tatsache, dass Noam Chomsky und Henry Kissinger praktisch die gleiche Meinung zu den Geschehnissen in der Ukraine vertreten. Chomsky, eine linke Ikone und ein Intellektueller, den ich eigentlich sehr schätze und den ich mehrmals interviewt habe, ist in den vergangenen Wochen gleich in mehrere Fettnäpfchen getreten. Er kritisierte zwar die russische Invasion, doch gleichzeitig relativierte er sie auch wieder mit Sätzen wie diesen: "Man kann Sympathien für Zelenskys Positionen aufbringen. Aber man kann auch den Realitäten dieser Welt Beachtung schenken." Was Chomsky damit meint: Die Ukraine müsse Appeasement gegenüber Putins Imperialismus aufbringen, weil die Welt nun einmal so funktionieren würde und man einen Nuklearkrieg verhindern müsse. Deshalb, so führt Chomsky fort, sei auch die Krim von Russland annektiert worden und – sic! – irgendwie seien die Menschen dort auch glücklich damit.

Dass muslimische Krimtartaren seit jeher unterdrückt werden und in den letzten Jahren zahlreich das Land verlassen mussten, ignoriert Chomsky. Seine Haltung hat mittlerweile dazu geführt, dass ukrainische Intellektuelle ihm einen offenen Brief geschrieben haben, in welchem sie seine Geschichtsklitterung korrigieren und zu Recht kritische Worte finden. Währenddessen gibt es aus anderer Richtung Rückendeckung. Der ehemalige US-Außenminister und de facto Kriegsverbrecher Henry Kissinger meint nämlich ebenfalls, dass die Ukraine Gebiete an Putin abtreten müsse. Wie kann es sein, dass dieser imperiale Warlord, wie manche Kissinger bezeichnen würden, die gleiche Meinung vertritt wie einer der führenden linken Intellektuellen?

Obwohl es bei Chomsky besonders bitter ist, steht er damit leider nicht alleine. In den letzten Wochen haben viele Linke und vermeintliche Anti-Imperialisten verdeutlicht, wie schnell sie Putins Propaganda bewusst oder unbewusst auf den Leim gehen und dadurch berechtigte Kritik an westlicher Machtpolitik unglaubwürdig machen. In Deutschland ist hierfür wohl Sahra Wagenknecht das bekannteste Beispiel. In vielen Auftritten spricht sie im Kontext der Ukraine fast ausschließlich von der "Aggressivität der USA". Das Massaker von Butscha sei laut Wagenknecht kein Grund, um Verhandlungen mit Putin abzubrechen. Hätte sich dieses im Irak oder in Afghanistan durch US-Soldaten ereignet, hätte sie wohl zu Recht ein Kriegsverbrechertribunal mitsamt Sanktionen gefordert.

Angeblich nicht so schlimm: Putin, Assad, Maduro, Xi Jinping. Wer sucht, findet derartige Meinungen zuhauf. Meist stammen sie von Akteuren, die sich selbst als "antiimperialistisch", "links", "kritisch", "alternativ" oder gar "pazifistisch" bezeichnen – während sie gleichzeitig Putins Großmachtfantasien relativieren, verteidigen oder offen huldigen. Ähnliches war bereits während des Ukraine-Konflikts im Jahr 2014 der Fall.

Wer links ist, so meint man, sollte sich eigentlich für die Selbstbestimmung aller Völker aussprechen und amerikanischen, russischen, chinesischen oder auch türkischen und iranischen Imperialismus gleichermaßen kritisieren, doch nur selten ist dies in der Realität der Fall. Stattdessen geht man davon aus, dass lediglich "Uncle Sam" für jegliches Übel auf der Welt verantwortlich ist. Im Umkehrschluss wird autoritären Staatschefs gehuldigt. Das gilt nicht nur für Putin, sondern auch für Syriens Bashar al-Assad, Venezuelas Nicolás Maduro oder gar Chinas Xi Jinping. Selbst die Tatsache, dass genannte Männer in ihren eigenen Ländern die Arbeiterschaft seit Jahren ausbeuten, oligarchische Eliten an die Macht gebracht haben und eine zutiefst neoliberale Politik vorantreiben, wird von linken Kritikern im Westen gerne übersehen. Hauptsache, das eigene, kurzsichtige und verzweifelt gebastelte Narrativ stimmt.

Meine tschetschenischen Freunde in Österreich schüttelten bereits während des Tschetschenienkrieges den Kopf über so manche Russland-Experten im Westen und machten zum Teil äußerst verzweifelt darauf aufmerksam, dass "Russia Today" keine seriöse Quelle sei. Der russische Staatssender erreichte damals breite Massen in Europa sowie in den Vereinigten Staaten. Jene, die die Bombardierung Grosnys in den Neunzigerjahren erlebt haben, wissen, wovon sie reden. Sie kennen die Brutalität Putins. Auch ich griff damals dummerweise zu einem Buch der Journalistin und Publizistin Gabriele Krone-Schmalz, die sich zwar als Kreml-Kennerin einen Namen gemacht hat, allerdings meist wie eine Art inoffizielle Sprecherin agiert. Spätestens nachdem mir aufgefallen war, dass Krone-Schmalz die Gräuel Moskaus in Tschetschenien verteidigte und sie als eine Art erfolgreiche Antiterror-Operation darstellte, legte ich das Buch zur Seite. Ähnlich verzweifelt wie meine tschetschenischen Freunde sind Menschen, die anderswo Opfer russischer Bomben wurden, während sie von den selbst ernannten Antiimperialisten in Berlin, New York oder anderswo keinerlei Solidarität erfuhren. Grund hierfür ist die Tatsache, dass die vermeintlich antiimperialistische Kritik ebenjener Akteure fest an einen Eurozentrismus gebunden ist – sprich, jeder nicht-westliche Akteur, der Gewalt anwendet, erhält einen Persilschein.

Deutlich wurde dies nicht nur während der Tschetschenienkriege, sondern auch in anderen Konflikten. Während des Jugoslawienkriegs wurde ein Genozid an den Bosniaken verübt, doch so manch linker Kritiker stilisiert Serbien bis heute als "Opfer der NATO" und relativiert die unfassbaren Gräuel serbischer Kriegsverbrecher. Prominente Beispiele hierfür sind etwa der österreichische Literaturnobelpreisträger Peter Handke oder auch – damals schon – Noam Chomsky.

Wo war und ist die Solidarität mit syrischen Linken?

In Syrien, wo sich der russische Imperialismus in den letzten Jahren besonders aggressiv hervorhob, unterstützt Moskau nicht nur eines der menschenfeindlichsten Regime der Gegenwart, sondern beteiligte sich en masse an Kriegsverbrechen und bombardierte regelmäßig Krankenhäuser, Schulen und Moscheen. Vor einigen Jahren interviewte ich den syrischen Intellektuellen und Linken Yassin al-Hajj Saleh. Er befand sich 16 Jahre lang in Gefangenschaft des Assad-Regimes. Mittlerweile lebt er in Berlin – und hat für seine "Genossen" im Westen wenig Sympathien. "Viele jener, die sich im Westen als Anti-Imperialisten definieren, tendieren dazu, unseren Kampf als Regime Change im amerikanischen Sinn zu begreifen. Dabei ignorieren sie die gesamte Geschichte Syriens, der Gesellschaft, des politischen Lebens und der Wirtschaft", sagte mir Saleh damals. Linke Syrer wie er, die in den Folterkellern des Regimes verschwunden seien, hätten von westlichen Linken kaum Solidarität erfahren. In der Ukraine, mit der sich Saleh heute solidarisiert, sei Ähnliches der Fall.

Neben regulären Truppen sind in Syrien auch Milizen der russischen Söldnerfirma "Gruppe Wagner" präsent, die teils einen kruden, nordisch angehauchten "Wikingerkult" gepaart mit rechtsextremen und islamfeindlichen Ideologien pflegen. Für sie ist Putin längst ein messianischer Führer, der Russland zurück zu alter Größe bringen wird. Die russischen Söldner operieren mittlerweile global. Sie sind nicht nur in Syrien aktiv, sondern unter anderem auch in Libyen, Mali, Mosambik, Venezuela und eben auch in der Ukraine. Unter den Wagner-Milizen befinden sich zahlreiche Veteranen aus dem sowjetischen Afghanistankrieg der 1980er, einem weiteren Konflikt, der von den sonst so kritischen Kriegsgegnern im Westen gerne verharmlost und einseitig betrachtet wird. Bis heute muss ich mich zum Teil dafür rechtfertigen, dass weite Teile meiner Familie vor der sowjetischen Besatzung Afghanistans geflüchtet sind.

Viele Menschen denken weiterhin, dass der Krieg in Afghanistan mit den Taliban begonnen hat, und blenden die Tatsache aus, dass Afghanistan zu Weihnachten 1979 von Moskau überfallen und zehn Jahre lang okkupiert wurde. Der damalige Krieg hat rund zwei Millionen Afghan:innen das Leben gekostet und ist für die gegenwärtige Instabilität des Landes sowie die Verbreitung von religiösem Extremismus in der Region maßgeblich mitverantwortlich.

Es ist deshalb einfach nur falsch und heuchlerisch, in diesem Kontext lediglich auf Ronald Reagan und die afghanischen Mudschaheddin oder Zbigniew Brzezinski und die CIA zu verweisen. Viele Afghanen, Tschetschenen oder Syrer waren sowjetischer oder russischer Gewalt und Repression ausgesetzt, was einen erheblichen Anteil an ihrer Radikalisierung hatte. Der Ukraine steht nun Ähnliches bevor.

Desinformation wirkt offenbar

Dasselbe könnte man sogar für Brzezinski selbst behaupten. Der einstige Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter gehörte zu den bekanntesten "Falken" des Kalten Krieges und machte meist keinen Hehl aus seiner antisowjetischen Haltung. Doch warum hatte er die? Vielleicht weil Brzezinski, das Kind polnischer Geflüchteter mit ukrainischen Wurzeln, mit den Geschichten über die Säuberungen Stalins aufwuchs und aufgrund der Brutalität der Sowjetunion nie in die polnische Heimat seiner Eltern zurückkehren konnte. Ähnlich geht es vielen Einwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion bis heute. Sie solidarisieren sich mit den Menschen in der Ukraine, weil sie deren Erfahrung teilen und selbst Opfer des russischen Imperialismus geworden sind.

Dass diese Solidarität anderswo fehlt, ist auch gezielten Desinformationskampagnen zuzuschreiben. Vor allem der Krieg in Syrien hat das in den vergangenen Jahren deutlich gemacht. Dank "Russia Today" und ihrer Propagandisten in vermeintlich alternativen Medien wurden etwa aus Lebensrettern wie den syrischen Weißhelmen "Al-Qaida-Terroristen". Die Kampagne dürfte unter anderem einer der Gründe gewesen sein, aus denen sich James Le Mesurier, der Gründer der Weißhelme, im November 2019 das Leben genommen hat. Der Brite und dessen Privatleben waren regelmäßig Ziel der Propaganda. Eine "Guardian"-Recherche aus dem Jahr 2017 machte deutlich, dass fast jegliche Stimmungsmache gegen die Weißhelme aus Kreml-nahen Netzwerken stammte. Viele linke Medien übernahmen dieses Narrativ, ohne es zu hinterfragen. Die Weißhelme wurden zu einer großen "Regime-Change-Verschwörung" gemacht, an der sich Netflix, Al-Qaida, der britische Geheimdienst und die CIA beteiligten.

Seit geraumer Zeit findet eine weitere massive Desinformationskampagne statt, die mehr Aufmerksamkeit verdient hat. Laut einer Recherche des "New Lines Magazine" lässt die chinesische Regierung Gelder in Millionenhöhe an linke Plattformen und Netzwerke in den USA fließen, um den weiterhin stattfindenden Genozid gegen die muslimischen Uiguren in der Provinz Xinjiang zu vertuschen. Im Fokus der Recherche steht Neville Roy Singham, ein amerikanischer Geschäftsmann und IT-Tycoon, der in linken US-Kreisen aktivistisch tätig war. Singham, der unter anderem für Huawei tätig war, soll Kontakte zu der Kommunistischen Partei Chinas pflegen. Seine Partnerin Jodie Evans wiederum gehört zu den Gründern der bekannten Antikriegsbewegung "Code Pink", die lautstark gegen den Irak-Krieg und andere Militärinterventionen des US-Militärs protestierte. Seit geraumer Zeit positioniert sich Evans gemeinsam mit anderen US-Linken gegen einen neuen "Kalten Krieg" gegen China. Tatsächlich sind jene Akteure, die Putins Handeln verteidigen, meist auch jene, die die Umstände in Xinjiang relativieren und von "amerikanischer Propaganda" gegen China sprechen. Am Ende des Tages zerstören sie damit nicht nur ihre eigene Reputation, die in der Vergangenheit teils um einiges glaubwürdiger und ernstzunehmender war, sondern bleiben als nützliche Idioten von Putin und Co. in ewiger Erinnerung.


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12 Kommentare verfügbar

  • Arnold Weible
    am 07.06.2022
    Antworten
    Ich habe Noam Chomskys Meinung ebenfalls gelesen und sie ist wesentlich besser begründet als die von Emran Feroz.
    Bemerkenswert finde ich, dass hier auf die Desinformation aus Russland hingewiesen wird, dabei aber die Desinformation aus den USA komplett ausgeblendet bleibt.
    Sicher gibt es…
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