In einem Land vor unserer Zeit: Als Donald Trump noch die USA regierte und in den Supermärkten niemand Maske trug, als die Klimabewegung um Fridays for Future weltweit Millionen Menschen auf die Straße brachte und kurz nachdem Astronomie-Begeisterte gerade den seltenen Merkur-Transit bestaunen durften – in diesem November 2019, der heute so seltsam fern scheint, brachte die FrAktion, ein Bündnis linker Kräfte im Stuttgarter Gemeinderat, einen ambitionierten Antrag ein: "Die Landeshauptstadt schöpft alle Möglichkeiten aus, um eine Reduktion des motorisierten Individualverkehrs zu erwirken", lautet die Kernforderung, die sich ehedem an den beinahe vergessenen Oberbürgermeister Fritz Kuhn richtete (ein Grüner). Schon bis 2030, so die Zielvorstellung des Antrags, sollen in der Stadt 70 Prozent weniger Pkw-Kilometer gefahren werden. Als Beitrag zum Klimaschutz, versteht sich.
Weitere zwei Jahre zurück in die Vergangenheit: Im Oktober 2017 befand die lange unter Verschluss gehaltene Studie "Mobiles Baden-Württemberg", dass es eine dramatische Umgestaltung der Verkehrslandschaft im Südwesten brauche, wenn es mit dem Klimaschutz klappen soll. Um bis zu 85 Prozent müsse die Zahl der verkehrenden PKWs reduziert werden und zwar unabhängig ob Verbrenner oder Elektro. Stattdessen aber erreicht die Zahl der Autos auf den Straßen immer neue Rekordwerte. Und gerade in einer Stadt, die den Daimler verehrt wie einen Schutzheiligen, wäre es - trotz aller Wissenschaft - eine Weltbilder zertrümmernde Sensation, falls sich eine politische Mehrheit hinter einem Antrag versammeln ließe, den öffentlichen Raum von so viel Blech zu befreien.
Doch wie sich der Gemeinderat, allgemein anerkannt als Souverän der Kommune, entscheiden würde, bleibt letztlich Spekulation – denn eine Abstimmung hat es nie gegeben. Lange Zeit schien überhaupt nichts mit dem eingebrachten Antrag zu passieren. Doch im Hintergrund mahlten alldieweil die Mühlen der Verwaltung. Und siehe da, am 24. Februar 2022, liegt eine Stellungnahme vor: "Auch zukünftig" werde "das Auto fester Bestandteil der Mobilität in Stuttgart sein", lautet die Ansage, über die geforderten Zielvorgaben heißt es: "Nicht realistisch." Und wenn als Maßstab für das Tempo der städtischen Handlungsfähigkeit die 840 Tage herhalten müssen, die die Stadtverwaltung gebraucht hat, um zwei Absätze als Antwort zu formulieren, ist man wohl oder übel geneigt, sich diese Einschätzung anzueignen.
Der eine von zwei Absätzen lautet übrigens in voller Länge: "Die Fortschreibung des Verkehrsentwicklungskonzeptes VEK 2030 ist ab 2025 vorgesehen und soll sich an die Bearbeitung des Stadtentwicklungskonzepts 2035+ anschließen. Vorgesehen ist ein Verkehrsentwicklungskonzept 'VEK 2050', für erste Bestandsanalysen beabsichtigt die Verwaltung die Beantragung von Planungsmitteln für den Haushalt 2024/2025."
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Thomas
am 10.03.2022