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Geschäfte mit Russland

Die Schwarzwald-Connection

Geschäfte mit Russland: Die Schwarzwald-Connection
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Bis zum Überfall auf die Ukraine pflegte ein Netzwerk in Südbaden engste Verbindungen zu Putin. Seine Mitglieder taten vieles, um Deutschland von fossilen Rohstoffen aus Russland abhängig zu machen und die Energiewende zu blockieren.

Sie nennt sich Perle des Breisgaus, hat eine mittelalterliche Altstadt mit verwinkelten Gassen, die den Blick auf die alte Burgruine freigeben. "In Staufen gibt es viel zu entdecken", verspricht das Tourismusbüro – nicht nur die Hebungsrisse in Häusern, die nach einer verunglückten Erdwärmebohrung vor einem Jahrzehnt die rund 8.100 Bewohner auf eine harte Probe stellen. Seit Kurzem taucht das Städtchen rund zwanzig Kilometer südlich von Freiburg auch in Meldungen zum russischen Überfall auf die Ukraine auf.

Der Grund: Matthias Warnig, Geschäftsführer der Nord Stream 2 AG (NS 2 AG), wohnt oberhalb der Altstadt. Die Adresse: Burgblick 1. Der 66-jährige Manager organisierte den Bau der umstrittenen Ostsee-Gas-Pipeline, die seit Kriegsbeginn auf Eis liegt. Seine Arbeitgeberin ist eine Tochtergesellschaft des weltweit größten Gaskonzerns Gazprom, an dem der russische Staat die Mehrheit hält. "Herr Warnig trat so gut wie nie hier in Erscheinung", so der Staufener Bürgermeister Michael Benitz über den prominenten Mitbürger. Kein Wunder, pendelte der Manager doch zwischen seinem Wohnort, dem Firmensitz der NS 2 AG, und den Gazprom-Zentralen in St. Petersburg und Moskau. "Er sagte mir, dass er jährlich rund 200 Geschäftsflüge macht", so Benitz. Ansonsten scheute der Manager das Licht der Öffentlichkeit, so gut wie nie war er für Medien zu sprechen. Was man über ihn weiß, sickerte häppchenweise durch.

Geboren wurde Warnig am 26. Juli 1955 in Altdöbern in der Niederlausitz. In der DDR heuerte er beim Ministerium für Staatssicherheit an, im Westen soll er die Dresdner Bank ausspioniert haben. Das verhinderte nicht, dass er nach der Wende Aufsichtsratsvorsitzender der Dresdner Kleinwort wurde, einer Investment-Tochter der Dresdner Bank, deren Russland-Geschäft er aufbaute und leitete. Im März 2006 wechselte er zur Nord Stream AG, Betreiberin der ersten Ostsee-Gaspipeline von Russland nach Deutschland. 2015 wurde er CEO der NS 2 AG. Daneben bekleidet er diverse Posten in russischen Rohstoff- und Bankkonzernen. In Staufen hat er mit seiner 44-jährigen Ehefrau Elena, geborene Semenova, ein gemeinsames Kind. Seine Frau fungierte als Geschäftsführerin der MW Invest Beteiligungs-GmbH, die im März 2021 liquidiert wurde.

Spätestens seit 1993 gilt Warnig als Vertrauter und Freund von Wladimir Putin. Er soll damals die Behandlung von dessen schwer kranker Ehefrau Ljudmila Alexandrowna in Deutschland organisiert haben. Als "mächtigsten Deutschen in Russland" sieht die FAZ ihn deshalb bis heute. Im heimatlichen Staufen hielt er sich stets im Hintergrund. "Warnig war immer Fan unserer Kulturwochen", erzählt Staufens Bürgermeister. Seit Jahren überweist der Geschäftsmann 5.000 Euro für das sommerliche Event.

Natürlich ist Gerhard Schröder dabei

Bei einem der Sommerfeste tauchte Warnig in Begleitung von Altkanzler Gerhard Schröder auf, erinnert sich Benitz: "Das muss 2016 gewesen sein." Das Paar verbindet gemeinsame Geschäftsinteressen: Der Genosse der Bosse ist seit 2005 Aufsichtsratschef der Nord Stream AG und seit 2017 in gleicher Funktion bei Rosneft. Der russische Öl- und Gaskonzern ging aus dem Yukos-Konzern des bei Putin in Ungnade gefallenen Oligarchen Michail Chodorkowski hervor. Geführt wird Rosneft bis heute vom Putin-Vertrauten Igor Setschin. Anfang Februar 2022 wurde bekannt, dass Schröder für einen Aufsichtsratsposten bei Gazprom nominiert ist.

Über Schröder tut sich eine Verbindung zum badischen Tunnelbohrer-König Martin Herrenknecht auf. Im Dezember 2016 ernannte der Ingenieur den Altkanzler zum Aufsichtsratsvize seines Unternehmens. Die Schwanauer Herrenknecht AG ist auf dem russischen Markt seit rund 35 Jahren vertreten. Zu den bedeutendsten Bauwerken, die mit Herrenknechts Maschinen gebohrt wurden, zählen Transporttunnel zwischen Sotschi und Krasnaja Poljana, Metrolinien in Moskau, St. Petersburg und Nischni Nowgorod – sowie die Gasleitung zwischen Wladiwostok und der Insel Russkij als auch Abschnitte der Nord Stream-Pipelines I und II.

Klimaschädliches Gas aus Russland hui, saubere Windenergie im Schwarzwald pfui: In "Bild" und "Badische Zeitung" polterte der heute 79-jährige Herrenknecht immer wieder gegen die heimische Energiewende (Kontext berichtete). Handelspolitisch plädierte das CDU-Mitglied stets für enge deutsch-russische Beziehungen, ungeachtet aller Aggressionen. "Die Sanktionen gegen Russland müssen weg", forderte er im März 2016 im "Handelsblatt", zwei Jahre nachdem Putin die ukrainische Krim völkerrechtswidrig annektiert hatte.

Herrenknecht trägt den Orden der Freundschaft

Herrenknechts Lobbying stieß auf Wohlgefallen. Am 11. April 2016 empfing Putin den Unternehmer persönlich im Kreml, gemeinsam mit anderen Top-Managern. Am 27. März 2017 besuchte der russische Botschafter das badische Unternehmen. Im Folgejahr wurde Herrenknecht per präsidialem Erlass von Putin "für seinen großen Beitrag zur Stärkung der deutsch-russischen Zusammenarbeit" der Orden der Freundschaft verliehen. Die feierliche Überreichung der Staatsauszeichnung fand am 8. Januar 2018 in der Berliner Botschaft der Russischen Föderation statt.

Gerüchteweise soll Putin seinen Freund Warnig im Badischen besucht haben. Bestätigen kann Bürgermeister Benitz dies nicht: "Als Kommunalpolitiker bin ich bei solchen Terminen nicht involviert." Doch hartnäckig hält sich das Gerücht, dass Russlands Präsident auch einen Abstecher ins benachbarte Münstertal machte, wo mit Klaus Mangold ein weiterer Russland-Fan lebt. Gesichert ist, dass der ehemalige Daimler-Vorstand und einstige Vorsitzende des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft eng mit russischen Wirtschafts- und Politikeliten vernetzt ist. Über seine Beratungsfirma vermittelt der 79-Jährige Kontakte in Putins Reich. Zudem fungierte er bis vor Kurzem als Russischer Honorarkonsul in Baden-Württemberg. Nach früheren Recherchen ist die Mangold Consulting im russischen Atomsektor aktiv.

Doch mit dem Ukraine-Krieg haben sich die Zeiten geändert. Seither darf sich Matthias Warnig in schlechter Gesellschaft wähnen. Als Reaktion auf den Angriff verhängte US-Außenminister Anthony Blinken am 23. Februar gegen die NS 2 AG und ihr Führungspersonal weitreichende Sanktionen, vergleichbar jenen gegen zahlreiche russische Oligarchen aus Putins Umfeld. So sind alle Vermögenswerte und Beteiligungen in den Vereinigten Staaten seither gesperrt. Die Maßnahmen kommen mit einem Jahr Verzug. Bereits am 19. Mai 2021 hatte Blinken in einem Bericht an den US-Kongress festgestellt, dass sich "Herr Warnig wissentlich betrügerische oder strukturierte Transaktionen ermöglichte, um das Verlegeschiff Fortuna für den Bau von Nord Stream 2 bereitzustellen". Auf Sanktionen verzichtete die US-Regierung damals aus Rücksicht auf Deutschland. Anders als die USA, die Nord Stream 2 immer als geopolitisches Projekt Russlands ablehnte, das die Energieversorgung Europas gefährdet, wollte die damalige schwarz-rote Bundesregierung die zehn Milliarden Euro teure Pipeline um jeden Preis.

Statt auf Sanktionen einigten sich die USA und Deutschland am 21. Juli 2021 auf eine gemeinsame Erklärung zur "Unterstützung der Ukraine, der europäischen Energiesicherheit und unserer Klimaziele". Heute klingt sie hohl: In dem Papier versichern Blinken und der damalige Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) "mit Nachdruck die Souveränität der Ukraine, deren territoriale Unversehrtheit, Unabhängigkeit und den von ihr eingeschlagenen europäischen Weg" zu unterstützen. "Wir bekennen uns heute erneut dazu, gegen russische Aggression und russische destruktive Aktivitäten in der Ukraine und darüber hinaus vorzugehen."

Nord Stream 2 AG sponserte Stiftung für Klimaschutz

"Das Dokument ist von anrüchigen Passagen über Russlands 'Aggression und destruktive Aktivitäten' erfüllt. Es wird gedroht, unser Land für die Nutzung von Energie als 'Waffe' zu bestrafen, indem neue Sanktionen verhängt und 'andere Instrumente' eingesetzt würden", beschwerte sich Russlands Botschafter, Sergej J. Netschajew, auf Facebook. Mit Erfolg: Am 24. September, zwei Tage vor der Bundestagswahl, lehnte die Merkel-Regierung "extraterritoriale Sanktionen, wie sie von den USA im Zusammenhang mit Nord Stream 2 angedroht und verhängt wurden", ab.

Über die blinde Unterstützung konnte sich NS 2 AG-Chef Warnig nur kurz freuen. Mitte November, die neue Ampel-Regierung war einen Monat im Amt, setzte die Bundesnetzagentur (BNAg) den Zertifizierungsprozess für die Pipeline vorläufig aus. Am 22. Februar, einen Tag nach Anerkennung der Separatistenrepubliken im Donbas durch Putin, wies Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die BNAg an, den Versorgungssicherheitsbericht der Vorgängerregierung für NS 2 zurückzuziehen. Ohne diesen kann die Leitung nicht in Betrieb gehen.

Für Wirbel sorgte Putins Krieg auch in Schwerin. Am 28. Februar verkündet Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) das Aus für die gemeinsam mit der Nord Stream 2 AG gegründete Landesstiftung Klima- und Umweltschutz. Das Stiftungskapital von 20 Millionen Euro hatte NS 2 AG-CEO Warnig beigesteuert. Für manche war die Stiftung ein Tarnkonstrukt, um Sanktionen gegen die Pipeline zu umgehen. Auf Twitter beklagt Schwesig, dass man ihre Landesregierung als "Putin-Freund" oder "Putin-Versteher" zu diskreditieren versucht habe: "Dies ist Unsinn." Bis heute fordert die Deutsche Umwelthilfe vergeblich, die Verquickung von Politik und Gaswirtschaft in der Stiftung zu untersuchen.

Die Pipeline als Milliardengrab

Am 1. März vermeldet der Schweizer Rundfunk SRF, dass die Nord Stream 2 AG "die Bilanz deponieren", also Konkurs hätte anmelden müssen. Einen Tag später berichtet der "Spiegel", dass der Öl- und Gaskonzern Wintershall Dea die Pipeline abschreibe und eine Milliarde Euro Finanzierungsanteil als Verlust verbuche. An dem Konzern hält die Ludwigshafener BASF 67 Prozent. Den Rest hält die Investmentholding LetterOne, hinter der die Alpha Group um den russischen Oligarchen Michail Fridman steht. Dieser zählt zu den einflussreichsten Wirtschaftsbossen Russlands. Das Vermögen des am 21. April 1964 im ukrainischen Lwiw geborenen Oligarchen wurde auf 12,4 Milliarden US-Dollar geschätzt. Friedman steht wie Warnig auf Sanktionslisten. Ebenfalls jeweils eine Milliarde Euro haben die Gaskonzerne Uniper - gehört zur finnländischen Fortum-Gruppe -, die französische Engie, die niederländische Gasunie, die österreichische OMV und die niederländisch-britische Shell in Nord Stream 2 investiert. Über fünf Milliarden Euro müsste Gazprom abschreiben, sollte die Pipeline nie in Betrieb gehen.

Und was sagt Matthias Warnig zum Krieg seines Freundes? Ein Kontakt über die NS 2 AG ist unmöglich. Die Website der Firma haben Hacker lahmgelegt. Das Telefon hat keinen Anschluss mehr. Am 28. Februar überweist Staufens Bürgermeister Benitz die 5.000 Euro-Spende für die Kulturwoche 2022 zurück. Angesichts von Putins Angriffskrieg, der viel Leid über unzählige Menschen bringe, seien Spenden womöglich aus russischen Quellen nicht vertretbar, schreibt er an Warnig. "Für uns ist es unerträglich mit ansehen zu müssen, was gerade geschieht und dass es persönliche Verbindungen von Herrn Putin auch in unsere Stadt gibt." Er fordert den Mitbürger auf, sich öffentlich von Putin zu distanzieren und seine Ämter in Russland niederzulegen. Kurz darauf antwortet Matthias Warnig per E-Mail nur, dass auch er fassungslos sei.

Am 1. März teilt die Herrenknecht AG mit, dass Altbundeskanzler Schröder sein Aufsichtsratsmandat mit sofortiger Wirkung niedergelegt hat. Auf Kontext-Nachfrage betont das Unternehmen, dass man voll hinter der Haltung der Bundesregierung sowie den Sanktionen stehe und sich an diese halte. "So wie wir das in den zurückliegenden Jahren bei bereits bestehenden Sanktionen sowie regulatorischen Embargos hinsichtlich Russland oder der annektierten Krim getan haben." Ob der Unternehmer den russischen Freundschaftsorden zurückgibt, beantwortet die Pressestelle nicht.

Am 4. März teilt Klaus Mangold mit, dass er sein Amt als Russischer Honorarkonsul niedergelegt hat.


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6 Kommentare verfügbar

  • Konrad Wanner
    am 10.03.2022
    Antworten
    Kein Wort verliert der Autor in diesem Artikel über die Verbrechen der USA und anderer Energielieferanten, die gerade das Geschäft ihres Lebens wittern.
    Die jahrelange Verzögerung der Gasleitung Nord Stream 2 und ihre voraussichtlich komplette Aufkündigung wird dazu beitragen, dass die…
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