Wichtige Dauerthemen bleiben unter der Wahrnehmungsschwelle. So hat Baden-Württemberg mit eigenen Geldern sowie solchen der EU- und des Bundes 15 Fördertöpfe gut gefüllt (siehe Kasten). Entgegen der beliebten These, "die Politik" lasse die Agrarwirtschaft verkommen, läuft seit 2022 der Strategiedialog zur Zukunft der Landwirtschaft im Südwesten. Fünf Arbeitsgruppen tagen regelmäßig, um "die kleinstrukturierte, bäuerliche Landwirtschaft in Baden-Württemberg zu erhalten und die biologische Vielfalt in der Kulturlandschaft zu stärken", zum Naturschutz oder zur Weiterentwicklung regionaler Wertschöpfungsketten.
Zu zäh für Klicks und Quote, zu unspektakulär. Gerade viele Tageszeitungen, deren Aufgabe Information und Aufklärung wären, stehen wirtschaftlich unter erheblichen Druck. Online-Auftritte tragen finanziell noch immer nicht. Papierpreise sind hoch, die Anzeigenaufkommen gering. Dem guten alten Printformat sterben Leser:innen weg. Themen werden erst aufgegriffen, wenn online Traffic zu erhoffen ist.
Würden sich die Akteur:innen des Strategiedialogs im Streit zerlegen, könnte die Arbeit interessant werden. Oder wenn Aufreger-Infos zu Ge- und Verboten aus der Kulisse drängen. Dabei ist der "Geiz ist geil"-Gesellschaft die deutsche Schräglage eigentlich leicht zu verdeutlichen: In Frankreich fließen gut 15 Prozent eines Familienbudgets in den Lebensmittelkonsum, in Spanien sind es 20, in Deutschland gerade mal elf.
Zur Wahrheit in der neuen Tageszeitungswelt gehört allerdings auch, dass noch immer viele Studien belegen, wie die Lektüre klassischer Medien-Angebote noch immer weitgehend immun gegen Blasenwissen macht, während der Konsum der sozialen Medien Echokammern und die damit verbundene Anfälligkeit für Radikalisierung befördern.
Beckenbauer verdrängt Protestbauern
Am frühen Abend des 8. Januar, des ersten Protesttages, illustriert plötzlich wie in einem Reallabor eine einzige Meldung die Mechanismen einer modernen Medienwelt, in seltenem Gleichklang klassischer und sozialer Angebote: Franz Beckenbauers Tod verdrängt alle einschlägigen, den Nährstand betreffenden Hashtags innerhalb weniger Minuten von Platz eins, die Prioritäten sortieren sich eilig neu. Guido Buchwald schreibt über den "väterlichen Freund", die "Süddeutsche Zeitung" räumt wesentliche Teile des Online-Auftritts frei, die FAZ betrauert den "letzten deutschen Kaiser". Selbst Landwirtschaftsminister Özdemir wird auf einer Pressekonferenz nicht mehr nur zu Agrardiesel und KfZ-Steuerbefreiung befragt, sondern zum Stellenwert des Ausnahme-Fußballers.
Sich schlagartig ändernde Tagesaktualitäten sind das eine, Relevanz und Langfristwirkung der republikweiten Demonstrationen und Straßensperrungen das andere. Denn hinter den Umgang mit den generalstabsmäßig geplanten Treckerparaden – in Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise wurden alle 62 Autobahn-Auffahrten gesperrt –, kann der Umgang mit Klimaaktivist:innen nie mehr zurückfallen. Zumal die nicht vor allem für sich kämpfen mit ihren Forderungen, sondern für die ganze Gesellschaft und zukünftige Generationen. Im gesamtgesellschaftlichen Bewusstsein indes hat sich das bislang nur begrenzt niedergeschlagen: Nach einer repräsentativen Civey-Umfrage vom November halten 61 Prozent der Deutschen Straßenblockaden von Klimaaktivist:innen für "auf keinen Fall" gerechtfertigt. Verständis für die Proteste der Bäuer:innen, ausdrücklich auch die Straßenblockaden, äußern hingegen gegenwärtig 57 Prozent – "auf jeden Fall".
6 Kommentare verfügbar
Peter Nowak
am 15.01.2024Hier die Pressemitteilung des NDR mit der Korrektur :
Bei der Blockade der Fähre mit Bundeswirtschaftsminister Habeck gab es keinen…