KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Falschmeldungen

Fake, Fake, hurra

Falschmeldungen: Fake, Fake, hurra
|

Datum:

In den USA verhalfen konservative Medien mit Fake News dem Lügner Donald Trump ins Weiße Haus. Auch hierzulande häufen sich Falschmeldungen, die politische Diskurse beeinflussen. Selbst angesehene Redaktionen faken mit.

"Dahinter steckt immer ein kluger Kopf" – seit 1960 wirbt die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" mit diesem Slogan für sich. Gemeint sind die Lesenden hinter der Zeitung, und was für die Leserschaft gilt, ist selbstredend für die Redaktion verpflichtend. Bewundern lässt sich der Intellekt der FAZ-Autoren vor allem im "Schlusslicht" der FAZ, in dem Pleiten, Pech und Pannen dieser Welt mit spitzer Feder kommentiert werden.

Zweifel an der behaupteten Seriösität säte vor Kurzem allerdings Michael Spehr, der seit 1999 als Wirtschaftsredakteur im FAZ-Ressort "Technik und Motor" schreibt. Unter der Überschrift "13 Kilo Tomaten" philosophierte er über die CO2-Bilanz von Radfahrer:innen – und kam zu einem erstaunlichen Urteil: "Ein Fleisch essender Radfahrer hat denselben CO2-Fußabdruck wie der Fahrer eines schönen SUV der Kompaktklasse." Falls dieser mit vier oder gar fünf Personen besetzt ist, sieht laut Spehr die CO2-Bilanz fürs Rad sogar "so schlecht aus, dass man diese Art der Fortbewegung aus Gründen des Klimaschutzes nicht mehr empfehlen kann."

SUV als Klimaretter: Ist das Satire?

Selbst Vegetarier radelten laut Spehr nicht klimafreundlicher, weil pflanzliche Lebensmittel geringere Kaloriendichte als tierische haben. Sie müssten folglich Unmengen an Gemüse essen, um Ausgepowertes zu ersetzen – eben besagte 13 Kilogramm Tomaten. Deren Produktion aber verursache ähnlich hohe Klimaemissionen wie ein Kilo Rindfleisch, schreibt Spehr. "Radfahren sollte also ein Hobby bleiben, das man zwecks körperlicher Ertüchtigung und Freude am Fahren ausübt. Aber es ist nicht die nachhaltige Mobilität von morgen. Das ist und bleibt das Auto, sofern man richtig rechnet und alle Klima-Opportunitätskosten einbezieht."

SUV als Klimaretter? Dabei ist der Verkehr der einzige Sektor, in dem die Treibhausgasemissionen in den letzten drei Jahrzehnten zu- statt abnahmen. EU-weit um 33,5 Prozent zwischen 1990 und 2019. Straßenverkehr verursacht inzwischen etwa ein Fünftel aller EU-Emissionen, wobei PKWs einen Anteil von 60,6 Prozent haben.

Laut Umweltbundesamt (UBA) belasten sie Umwelt und Klima heute im Schnitt zwar weniger als früher. Weil der Gesetzgeber die Abgasvorschriften für neu zugelassene Pkw verschärfte und Ölkonzerne zu besserer Kraftstoffqualität verpflichtete. Beides sorgte dafür, dass die Emissionen pro Kilometer gegenüber 1995 gesunken sind: sehr stark etwa bei Schwefeldioxid (SO2) (98 Prozent), deutlich weniger beim Treibhausgas CO2 (5,1 Prozent).

Ein Mehr an Verkehr hebt jedoch das bislang Erreichte teils wieder auf. So hat die Pkw-Fahrleistung zwischen 1995 und 2019 um etwa 20,5 Prozent zugenommen, auch im Pandemiejahr 2020 lag sie noch 16,5 Prozent über dem Wert von 1995. Deshalb betont das UBA: "Bei einer durchschnittlichen Besetzungsquote von 1,6 Personen pro Auto in Europa im Jahr 2018 könnten Carsharing oder das Umsteigen auf öffentliche Verkehrsmittel, Radfahren und Zufußgehen zur Reduzierung der Emissionen beitragen."

Sind die radelnden Klimazerstörer der FAZ Satire? Kontext hat Spehr gefragt – aber keine Antwort bekommen.

Vielleicht glaubt der FAZ-Redakteur, was er schreibt. Weil es der Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger vorgesagt hat. Eichenberger, 2021 zu Gast auf einem Kongress ("Die Schmarotzer-Politik der links-grünen Städte") der rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei und, wie ihn das eidgenössische Online-Magazin "Republik" taufte, der "lärmigste Professor der Schweiz", hatte kurz zuvor in der "Handelszeitung" die gleiche wundersame Rechnung aufgemacht: nämlich, dass Velofahrer auf 100 Kilometer bei normaler Fahrt rund 2.500 Kilokalorien (kcal) verbrauchen, die sie durch zusätzliche Nahrungsaufnahme ausgleichen müssten. "So bräuchten sie für die 2.500 kcal etwa 1 Kilo Rindfleisch. Das verursacht in der Produktion 13,3 Kilogramm CO2", schrieb Eichenberger. "Fleisch essende Velofahrerinnen und Velofahrer verursachen also pro Personenkilometer 133 Gramm CO2 – das Vierfache des gut besetzten Autos. Leider gilt die klägliche Bilanz auch für Veganerinnen und Veganer. Viele vegane Speisen sind erstaunlich CO2-intensiv", schlussfolgert Eichenberger. Gut fürs Klima seien eigentlich nur reine Nudelesserinnen und Nudelesser: "Sie verursachen pro Personenkilometer etwa 12 Gramm CO2, also knapp die Hälfte des Autos. Aber leider werden sie bald Eiweißmangelerscheinungen haben."

In sozialen Netzwerken wird nachgerechnet

Was auf den ersten Blick vielleicht plausibel klingt, ist eine Milchmädchenrechnung. Natürlich verbrauchen auch Autofahrer:innen während des Fahrens Energie, die sie durch Nahrung ersetzen müssen, wenn auch weniger als Radler. Entscheidender ist jedoch die Energie, die bei der Herstellung von Fahrzeug und Kraftstoff verbraucht wird. Diese katapultieren die CO2-Emissionen beim Pkw auf ein Vielfaches des Radfahrens.

Der Bayreuther Wissenschaftler Stefan Holzheu rechnete mit einem Online-Tool genauer nach: E-Bike-Radler verursachen 1,5 Gramm CO2 pro Kilometer. Bei einem Diesel-Pkw sind es mit allen Klima-Opportunitätskosten 220 Gramm. "Es ist eigentlich nicht allzu schwierig, man sollte eben vernünftige Annahmen treffen. Und Tomaten und Rindfleisch sind es nicht", schlussfolgert Holzheu in einem Erklär-Video, das er als Antwort auf das FAZ-Schlusslicht auf Youtube hochgeladen hat.

"Schönrechnerei des Autos und mutmaßlich bewusste Manipulation", twitterte auch der Paderborner Mathematikprofessor Fabian Januszewski über Spehrs Tomaten. "Gibt es zu diesem hahnebüchenen Unsinn eigentlich noch eine Korrektur, oder bleibt das nach dem Motto 'flood the zone with shit' einfach so stehen?", fragte der Hamburger Medienprofessor Christian Stöcker in Anspielung auf Steve Bannon. Der zeitweilige Berater von US-Präsident Donald Trump gilt als Vater der Strategie, durch massenhafte Desinformation in Medien Meinungen zu manipulieren und dadurch selbst abwegige politische Ziele durchzusetzen.

Mancher vermutet, dass dies bereits auch hierzulande an der Tagesordnung ist. "Seit Jahresbeginn werden absurde Säue durchs Dorf getrieben, nie korrigiert. Bullshit-debunken dauert 10x länger als schreiben und nach US-Vorbild sollen damit Kräfte gebunden werden", twitterte Knud Jahnke vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. "Und zwar koordiniert von rechts. Spritpreiskritik, Laufzeitverlängerung Atomkraft, Straßenkleber vs. Radunfall war nur das neueste. Springer und die konservative Presse immer mittendrin". Unter "Debunk" wird die Entlarvung von Falschmeldungen verstanden.

Blackout-Panik und die Terrorismus-Expertin

So inszenierten Springer-Medien vor der Bundestagsentscheidung zur AKW-Laufzeitverlängerung eine Blackout-Angstkampagne mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) als Buhmann. "Blackouts im Winter? Die muss sich Habeck jetzt persönlich zuschreiben lassen", kommentierte Philipp Vetter Mitte September in der "Welt". In der "Bild" rechnete "Blackout-Experte Herbert Saurugg mit Habeck ab: Blackout-Gefahr ist sehr hoch!" Saurugg tingelt als Präsident eines von ihm gegründeten Vereins mit offiziell klingenden Namen "Österreichische Gesellschaft für Krisenvorsorge" durch Talkshows und Redaktionen. Geld verdient er unter anderem mit einem Simulationsspiel, dessen Spieler den Stromausfall in einer Kleinstadt meistern.

Auch die Aktionen der "Letzte Generation" kommen in der Springer-Presse stets schlecht weg. So warnte Anfang November die "Terrorismus-Expertin" Bettina Röhl in "BILD": "Die Klima-Kleber sind auf dem Weg der RAF." Zur Expertin in Terrorfragen machte "Bild" Röhl offenbar, weil sie die Tochter der RAF-Gründerin Ulrike Meinhoff ist.

Vor Fake-News schützt auch der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk nicht. In einem "Tagesthemen"-Kommentar zum Kompromiss des Bürgergelds (18. November 2022) sagte Achim Wendler vom Bayerischen Rundfunk (BR) über die ursprünglichen Pläne der Ampel-Regierung: "Das hätte zum Beispiel bedeutet: Wer mit knapp 900 Euro brutto monatlich nach Hause geht, finanziert mit seiner Einkommensteuer das Bürgergeld für Leute, die 60.000 Euro auf dem Konto haben. Diese Ungerechtigkeit bleibt uns nun erspart." Die Netzgemeinde entlarvte dies umgehend als falsch. Auch der Online-Steuerrechner des Bundesfinanzministeriums bestätigt, dass erst ab einem monatlichen Bruttoeinkommen von 1.250 Euro Einkommensteuer fällig wird. Letztlich verstoßen Fake-Beiträge gegen den Pressekodex. Erweisen sich veröffentlichte Nachrichten oder Behauptungen nachträglich als falsch, hat das "Publikationsorgan, das sie gebracht hat, unverzüglich von sich aus in angemessener Weise richtig zu stellen".

Auf den Online-Kanälen von "FAZ" und "Tagesthemen" sind "13 Kilo Tomaten" und "900 Euro Brutto" bis heute abrufbar. In der ARD-Mediathek wurde der Kommentar von BR-Redakteur Wendler gelöscht, wie der zuständige Norddeutsche Rundfunk (NDR) auf Kontext-Anfrage betont. Auf Twitter bedankt sich BR-Redakteur Wendler zudem für die vielen Hinweise und bedauert, sich "missverständlich" ausgedrückt zu haben.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


3 Kommentare verfügbar

  • bedellus
    am 14.12.2022
    Antworten
    eine moeglichkeit:
    bestimmte berufe erfordern ja bestimmte bildungsnachweise: waere es nicht eine moeglichkeit, bei offensichtlichen maengeln an eben dieser bildung nachtraeglich eben die nachweise auch rueckwirkend wieder entziehen zu koennen?
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!