Laut Umweltbundesamt (UBA) belasten sie Umwelt und Klima heute im Schnitt zwar weniger als früher. Weil der Gesetzgeber die Abgasvorschriften für neu zugelassene Pkw verschärfte und Ölkonzerne zu besserer Kraftstoffqualität verpflichtete. Beides sorgte dafür, dass die Emissionen pro Kilometer gegenüber 1995 gesunken sind: sehr stark etwa bei Schwefeldioxid (SO2) (98 Prozent), deutlich weniger beim Treibhausgas CO2 (5,1 Prozent).
Ein Mehr an Verkehr hebt jedoch das bislang Erreichte teils wieder auf. So hat die Pkw-Fahrleistung zwischen 1995 und 2019 um etwa 20,5 Prozent zugenommen, auch im Pandemiejahr 2020 lag sie noch 16,5 Prozent über dem Wert von 1995. Deshalb betont das UBA: "Bei einer durchschnittlichen Besetzungsquote von 1,6 Personen pro Auto in Europa im Jahr 2018 könnten Carsharing oder das Umsteigen auf öffentliche Verkehrsmittel, Radfahren und Zufußgehen zur Reduzierung der Emissionen beitragen."
Sind die radelnden Klimazerstörer der FAZ Satire? Kontext hat Spehr gefragt – aber keine Antwort bekommen.
Vielleicht glaubt der FAZ-Redakteur, was er schreibt. Weil es der Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger vorgesagt hat. Eichenberger, 2021 zu Gast auf einem Kongress ("Die Schmarotzer-Politik der links-grünen Städte") der rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei und, wie ihn das eidgenössische Online-Magazin "Republik" taufte, der "lärmigste Professor der Schweiz", hatte kurz zuvor in der "Handelszeitung" die gleiche wundersame Rechnung aufgemacht: nämlich, dass Velofahrer auf 100 Kilometer bei normaler Fahrt rund 2.500 Kilokalorien (kcal) verbrauchen, die sie durch zusätzliche Nahrungsaufnahme ausgleichen müssten. "So bräuchten sie für die 2.500 kcal etwa 1 Kilo Rindfleisch. Das verursacht in der Produktion 13,3 Kilogramm CO2", schrieb Eichenberger. "Fleisch essende Velofahrerinnen und Velofahrer verursachen also pro Personenkilometer 133 Gramm CO2 – das Vierfache des gut besetzten Autos. Leider gilt die klägliche Bilanz auch für Veganerinnen und Veganer. Viele vegane Speisen sind erstaunlich CO2-intensiv", schlussfolgert Eichenberger. Gut fürs Klima seien eigentlich nur reine Nudelesserinnen und Nudelesser: "Sie verursachen pro Personenkilometer etwa 12 Gramm CO2, also knapp die Hälfte des Autos. Aber leider werden sie bald Eiweißmangelerscheinungen haben."
In sozialen Netzwerken wird nachgerechnet
Was auf den ersten Blick vielleicht plausibel klingt, ist eine Milchmädchenrechnung. Natürlich verbrauchen auch Autofahrer:innen während des Fahrens Energie, die sie durch Nahrung ersetzen müssen, wenn auch weniger als Radler. Entscheidender ist jedoch die Energie, die bei der Herstellung von Fahrzeug und Kraftstoff verbraucht wird. Diese katapultieren die CO2-Emissionen beim Pkw auf ein Vielfaches des Radfahrens.
Der Bayreuther Wissenschaftler Stefan Holzheu rechnete mit einem Online-Tool genauer nach: E-Bike-Radler verursachen 1,5 Gramm CO2 pro Kilometer. Bei einem Diesel-Pkw sind es mit allen Klima-Opportunitätskosten 220 Gramm. "Es ist eigentlich nicht allzu schwierig, man sollte eben vernünftige Annahmen treffen. Und Tomaten und Rindfleisch sind es nicht", schlussfolgert Holzheu in einem Erklär-Video, das er als Antwort auf das FAZ-Schlusslicht auf Youtube hochgeladen hat.
"Schönrechnerei des Autos und mutmaßlich bewusste Manipulation", twitterte auch der Paderborner Mathematikprofessor Fabian Januszewski über Spehrs Tomaten. "Gibt es zu diesem hahnebüchenen Unsinn eigentlich noch eine Korrektur, oder bleibt das nach dem Motto 'flood the zone with shit' einfach so stehen?", fragte der Hamburger Medienprofessor Christian Stöcker in Anspielung auf Steve Bannon. Der zeitweilige Berater von US-Präsident Donald Trump gilt als Vater der Strategie, durch massenhafte Desinformation in Medien Meinungen zu manipulieren und dadurch selbst abwegige politische Ziele durchzusetzen.
Mancher vermutet, dass dies bereits auch hierzulande an der Tagesordnung ist. "Seit Jahresbeginn werden absurde Säue durchs Dorf getrieben, nie korrigiert. Bullshit-debunken dauert 10x länger als schreiben und nach US-Vorbild sollen damit Kräfte gebunden werden", twitterte Knud Jahnke vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. "Und zwar koordiniert von rechts. Spritpreiskritik, Laufzeitverlängerung Atomkraft, Straßenkleber vs. Radunfall war nur das neueste. Springer und die konservative Presse immer mittendrin". Unter "Debunk" wird die Entlarvung von Falschmeldungen verstanden.
Blackout-Panik und die Terrorismus-Expertin
So inszenierten Springer-Medien vor der Bundestagsentscheidung zur AKW-Laufzeitverlängerung eine Blackout-Angstkampagne mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) als Buhmann. "Blackouts im Winter? Die muss sich Habeck jetzt persönlich zuschreiben lassen", kommentierte Philipp Vetter Mitte September in der "Welt". In der "Bild" rechnete "Blackout-Experte Herbert Saurugg mit Habeck ab: Blackout-Gefahr ist sehr hoch!" Saurugg tingelt als Präsident eines von ihm gegründeten Vereins mit offiziell klingenden Namen "Österreichische Gesellschaft für Krisenvorsorge" durch Talkshows und Redaktionen. Geld verdient er unter anderem mit einem Simulationsspiel, dessen Spieler den Stromausfall in einer Kleinstadt meistern.
Auch die Aktionen der "Letzte Generation" kommen in der Springer-Presse stets schlecht weg. So warnte Anfang November die "Terrorismus-Expertin" Bettina Röhl in "BILD": "Die Klima-Kleber sind auf dem Weg der RAF." Zur Expertin in Terrorfragen machte "Bild" Röhl offenbar, weil sie die Tochter der RAF-Gründerin Ulrike Meinhoff ist.
Vor Fake-News schützt auch der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk nicht. In einem "Tagesthemen"-Kommentar zum Kompromiss des Bürgergelds (18. November 2022) sagte Achim Wendler vom Bayerischen Rundfunk (BR) über die ursprünglichen Pläne der Ampel-Regierung: "Das hätte zum Beispiel bedeutet: Wer mit knapp 900 Euro brutto monatlich nach Hause geht, finanziert mit seiner Einkommensteuer das Bürgergeld für Leute, die 60.000 Euro auf dem Konto haben. Diese Ungerechtigkeit bleibt uns nun erspart." Die Netzgemeinde entlarvte dies umgehend als falsch. Auch der Online-Steuerrechner des Bundesfinanzministeriums bestätigt, dass erst ab einem monatlichen Bruttoeinkommen von 1.250 Euro Einkommensteuer fällig wird. Letztlich verstoßen Fake-Beiträge gegen den Pressekodex. Erweisen sich veröffentlichte Nachrichten oder Behauptungen nachträglich als falsch, hat das "Publikationsorgan, das sie gebracht hat, unverzüglich von sich aus in angemessener Weise richtig zu stellen".
Auf den Online-Kanälen von "FAZ" und "Tagesthemen" sind "13 Kilo Tomaten" und "900 Euro Brutto" bis heute abrufbar. In der ARD-Mediathek wurde der Kommentar von BR-Redakteur Wendler gelöscht, wie der zuständige Norddeutsche Rundfunk (NDR) auf Kontext-Anfrage betont. Auf Twitter bedankt sich BR-Redakteur Wendler zudem für die vielen Hinweise und bedauert, sich "missverständlich" ausgedrückt zu haben.
3 Kommentare verfügbar
bedellus
am 14.12.2022bestimmte berufe erfordern ja bestimmte bildungsnachweise: waere es nicht eine moeglichkeit, bei offensichtlichen maengeln an eben dieser bildung nachtraeglich eben die nachweise auch rueckwirkend wieder entziehen zu koennen?