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TK Elevator Neuhausen

Weihnachtsbotschaft: 500 müssen gehen

TK Elevator Neuhausen: Weihnachtsbotschaft: 500 müssen gehen
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Die Beschäftigten von TK Elevator in Neuhausen haben eine miese Adventszeit. Die Geschäftsführung teilte ihnen mit, in den nächsten zwei Jahren 500 der 800 Arbeitsplätze zu streichen. Über den Niedergang einer einst stolzen Firma.

"Nein, wir möchten nichts sagen." "Lassen Sie mich." Donnerstagnachmittag, 15 Uhr, aus dem Multifunktionsgebäude von TK Elevator – ein 2015 eingeweihtes, 15 Millionen Euro teures Bürohaus – strömen fast 800 Frauen und Männer. Die Gesichter sind besorgt, starr, erschüttert. In einer zweistündigen Infoveranstaltung hat die Geschäftsführung des einstigen Thyssenkrupp-Aufzugsbetriebes erläutert, dass sie mehr als jeden zweiten Arbeitsplatz abbauen will. Und innerhalb eines Radius von 30 Kilometern umziehen. Binnen der nächsten zwei Jahre soll die Erneuerung zu einem "Exzellenzzentrum für Aufzugstechnologie" umgesetzt werden, heißt es in einem Schreiben, das die Unternehmensleitung nach der Versammlung an die Beschäftigten schickte.

"Man hatte ja geahnt, dass es nicht gut läuft und dass was kommt. Aber so schlimm …." Die IG-Metall-Vertrauensfrau Petra Solenne ist eine der wenigen, die spricht. Seit 20 Jahren arbeitet die gelernte Friseurin im Betrieb. "Wenn man früher gesagt hat, man ist bei Thyssenkrupp, war das wie Schaffen beim Daimler. Da kannst du dein Leben lang bleiben", sagt sie. Das haben viele hier geglaubt.

Vor zwei Jahren hatte Thyssenkrupp seinen lukrativsten Unternehmensteil – Aufzüge – verkauft, weil der Konzern dringend Geld benötigte. Für 17,2 Milliarden Euro ging die Aufzugssparte an ein Konsortium aus den Finanzinvestoren Advent und Cinven sowie der RAG-Stiftung. Die Arbeitnehmerseite war ganz zufrieden, konnte die IG Metall doch eine Beschäftigungssicherung bis 31. März 2027 aushandeln. Die Beschäftigten fühlten sich also sicher. Doch sowohl Corona mit Folgen für Lieferketten als auch der Russland-Ukraine-Krieg bereiteten dem Standort Neuhausen Probleme, hat doch das Russlandgeschäft 30 Prozent des Umsatzes ausgemacht. Damit ist durch die Sanktionen Schluss. "Eine Erholung des bestehenden Produktportfolios ist nicht zu erwarten", schreibt das Unternehmen. Zusammen mit den steigenden Material- und Energiepreisen stehe der Standort unter hohem Kostendruck. Die Rede ist von einer "existenzbedrohenden Situation".

Viermal haben Geschäftsführung und Arbeitnehmervertretung miteinander verhandelt. Die komplette Schließung des Standortes stand zur Debatte. "Als der Betriebsrat das eben berichtet hat, haben wir ganz schön geschluckt", erzählt Petra Solenne. "Die setzen uns ja damit das Messer auf die Brust."

Neuhausen war das Herz

Im Besprechungsraum des Betriebsrates sitzt Georgios Triantafillidis, Vorsitzender in Neuhausen und stellvertretender Vorsitzender des Konzernbetriebsrats. Er sieht nicht gut aus. "Katastrophe heute", sagt er. Gerade stand er noch vor der Belegschaft, hat berichtet, was gelaufen ist. Viel habe der Betriebsrat mit der Unternehmensführung diskutiert und gestritten. Dann wurde ein Gutachten in Auftrag gegeben. Das ergab: Das Portfolio passt nicht zum Markt. Das heißt: Die Aufzüge aus Neuhausen will angeblich niemand. Dann stand die Drohung im Raum, den Standort komplett dicht zu machen, der Aufsichtsrat könne das gleich am nächsten Tag beschließen. Die Alternative: Es werden keine Seil-, sondern nur noch Riemenaufzüge gebaut, der Großteil der Arbeitsplätze wird gestrichen. Eine üble Situation für die Arbeitnehmervertretung. "Wenn die Konzernspitze so etwas beschließt – was können wir da noch tun?", fragt Triantafillidis missmutig.

Den gebürtigen Griechen ärgert vor allem die Einschätzung der Arbeitgeber, dass in Zukunft weniger in die Höhe gebaut wird. "Aber auf der ganzen Welt werden die Städte immer größer. Wohin soll denn sonst gebaut werden außer in die Höhe?" Er schüttelt den Kopf. "Die nutzen unser Potenzial hier nicht aus." Riemenaufzüge baut auch einer der anderen großen Hersteller, Otis. Außerdem, so wirft der Betriebsratskollege Uwe Prischl ein, schaffen die es nur bis in eine gewisse Höhe, "acht oder zehn Stockwerke". Triantafillidis: "Aber dafür werden unsere ja voll digital und nachhaltig. Sagt die Geschäftsführung." Digital? "Na, so mit Kameras, dass die Aufzüge schon soundsoviel Meter vorher wissen, da kommt ein Fahrgast – was weiß ich." Antriebe und Steuerung dieser Aufzüge jedenfalls sollen am neuen Standort in Serie gehen.

"Neuhausen war das Herz des Unternehmens, die Innovationen kamen von hier. Wir haben das Knowhow", ereifert sich der gebürtige Grieche. Dennoch ist das Werk seit Jahren im Minus. "Ja, durch massive Managementfehler." Nie sei man an die Prozesse, an die Abläufe rangegangen, die mittlerweile veraltet seien. Die Fertigung hätte man deutlich effizienter gestalten können. Aber Vorschläge der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in Workshops entwickelt wurden, seien nur zum Teil umgesetzt worden.

Entlassen geht nicht

Tja – Schnee von gestern. Nun müssen die Betriebsräte überlegen, wie es weitergeht, damit möglichst viele Kolleginnen und Kollegen doch bleiben können. Wie der Konzern binnen 24 Monaten 500 Leute loswerden wolle, sei ihm ein Rätsel, sagt Triantafillidis. Die Ansage, was genau am neuen Standort überhaupt passieren soll und damit auch, welche Beschäftigte noch benötigt werden, sei noch zu grob. Absehbar sei, dass die Entwicklung wohl massiv betroffen sein wird. Triantafillidis: "Ob unsere Kolleginnen und Kollegen noch Vertrauen in den Arbeitgeber haben oder suchen sie jetzt schnell was Neues?" Schließlich würden in Neuhausen sehr gut ausgebildete Leute arbeiten. "Wir haben zum Beispiel einen Weltraumingenieur hier." Im Moment herrscht bekanntlich Fachkräftemangel – wahrscheinlich ist da, dass die Aufzugswerker:innen sich anderweitig umschauen werden. Die Erfahrung lehrt, dass am Ende genau die gehen, die das Unternehmen noch benötigen würde.

Bülent Dogan, der nach der deprimierenden Mitarbeiterversammlung nachdenklich vor der Tür des verglasten Multifunktionsgebäudes steht, ist seit 23 Jahren im Werk. Der gelernte Metallbauer ist sauer. "Wir haben hier viel Neues entwickelt, und dann wurde das weggegeben, ausgelagert." Jetzt überlegt der 45-Jährige, wie und wo es für ihn weitergehen könnte. "Ich werde mich umschauen und abwarten, was die für Aufhebungsverträge anbieten."

Denn betriebsbedingt entlassen wird nicht. Dagegen steht der Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung. Damit stehen Aufhebungsverträge im Raum, Vermittlung in andere Arbeit, Modelle für Ältere, die Rente zu erreichen, Beschäftigungsgesellschaft. Das werden die Themen für den anstehenden Interessenausgleich sein. Zum Schluss geht es dann um den Sozialplan.

Angst vor der Familie

Für den Betriebsrat dürfte die Devise lauten: möglichst viel rausholen. Sowohl Geld als auch mehr Arbeitsplätze als bislang geplant. Triantafillidis sieht da durchaus noch Luft. "Die andere Seite hat ja nur gesagt: 500 Arbeitsplätze weg und mehr nicht. Das ist nicht gerade professionell." Am vergangenen Montag gab es zunächst eine ausgedehnte Sprechstunde beim Betriebsrat. "Klar, die Kollegen wollen wissen, ob sie betroffen sind. Wir können aber im Moment nur sagen: Alle sind betroffen. Alle."

Am Wochenende habe er zig Anrufe erhalten. "Leute haben geheult, getobt. Manche trauen sich nicht, das der Familie zu sagen. Es ist ganz schlimm." In den nächsten Monaten werde es vor allem um die Kolleginnen und Kollegen gehen. "Wir sagen ihnen: Wir lassen euch nicht im Stich. Wir nicht." Aus den anderen deutschen Standorten mit rund 4.000 Beschäftigten kämen seit vorigen Donnerstag Solidaritätserklärungen, in dieser Woche tagt der Konzernbetriebsrat. "Das hat ja Auswirkungen auf andere Bereiche. Welche Produkte verkauft denn der Vertrieb jetzt in den nächsten zwei Jahren? Wie betrifft das Kollegen aus anderen Bereichen?" Es gebe noch sehr viele offene Fragen.

Auch im Neuhausener Rathaus dürfte Bürgermeister Ingo Hacker (parteilos) sich nun einige Fragen stellen. Er hat von dem Kahlschlag kurz vor der Versammlung telefonisch erfahren, erklärt er auf Anfrage. TK Elevator sei einer der wichtigsten und größten Arbeitgeber in Neuhausen. Falls die Firma den neuen Standort wieder in Neuhausen sucht, werde die Gemeinde das "selbstverständlich" unterstützen. Er hofft: "Dass die angekündigte sozialverträgliche Lösung für alle eine möglichst gute Lösung ist."

Gute Lösungen, wenn die Arbeit weg ist – das dürfte schwierig werden. Die Aufzugswerker:innen waren immer stolz auf ihre Arbeit. Vor dem Multifunktionsgebäude räumt Susanne Taylor nach der Versammlung das am Morgen schnell gebastelte Kreuz und die aufgestellten Kerzen ab. Die Betriebsrätin arbeitet schon Jahrzehnte in Neuhausen. "Meine Mutter wird heulen", sagt sie. "Die hat hier auch 30 Jahre geschafft."


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