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Wassernetz-Rückkauf in Stuttgart

Rohrkrepierer

Wassernetz-Rückkauf in Stuttgart: Rohrkrepierer
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Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) will das Wassernetz weitere 20 Jahre lang der EnBW überlassen. Dabei ist schon ein Jahrzehnt vergangen, seit die Mehrheit bei einem Bürgerbegehren für einen Rückkauf stimmte.

Wassernetze dürften unzweifelhaft zur kritischen Infrastruktur gehören. Dass die Stadt Stuttgart vor 22 Jahren ihr Wassernetz an die EnBW Netze verkaufte, mag am neoliberalen Zeitgeist gelegen haben. Jedenfalls stimmte damals auch die SPD dafür. Und weg war's.

Bürger:innen waren klüger als ihre Stadträte, ein Bürgerbegehren für den Rückkauf war erfolgreich und 2010 hatte sich auch im Rathaus der Wind gedreht. Der Gemeinderat beschloss die Rekommunalisierung ab 2014. Die hat nicht geklappt. Seit Jahren streiten sich Stadt und EnBW vor Gericht, weil sie sich nicht über den Preis einigen können. Die EnBW forderte 480 Millionen Euro, die Stadt wollte unter 200 Millionen bleiben, das Landgericht empfahl 348 Millionen, fällte aber kein Urteil.

Nun behauptet die Stadtverwaltung, also Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU), sie habe eine Lösung, um den Rechtsstreit zu beenden. "Vergleichsvereinbarung zur Beendigung der Rechtsstreitigkeiten Wasser und Löschwasser" lautet der Beschlussantrag, der ganz oben auf der Tagesordnung zur Gemeinderatssitzung an diesem Donnerstag steht. Inhalt: Die EnBW Netze behält das Netz für weitere 20 Jahre, die Stadt bekommt ein Prozent, hier und da einen Aufsichtsrat, und 2042 kauft sie das Wassernetz dann zurück. In Kraft treten soll das Ganze schon zum 1. Januar 2023.

Vor etwa drei Wochen bekamen die Fraktionen die Vorlage plus diverse Anlagen erstmals zu Gesicht. Der EnBW-Aufsichtsrat hatte da bereits zugestimmt, die Fraktionen mussten sich erst in das komplizierte Vertragswerk einfuchsen. Für die SPD stand am Ende fest, sie will nicht, dass das Wassernetz nochmal 20 Jahre in der Hand der EnBW bleibt. "Dann wären ja mehr als 30 Jahre seit dem Bürgerbegehren vorbei", sagt Fraktionschef Stefan Conzelmann. Andererseits zeige der Vorschlag der Stadt, dass es offenbar doch möglich sei, mit der EnBW zu verhandeln. Und so beantragt die Fraktion nun, dass die Verwaltung den Rechtsstreit beendet, indem die Stadt das Netz umgehend zum "subjektiven Ertragswert" kauft. Dieses Preisermittlungsverfahren ist auch Grundlage für den Rückkauf 2042 im Nopper-Vorschlag. Wenn die EnBW sich darauf für die Zukunft einlässt, so SPD und Fraktion, dann könne das doch auch jetzt schon angewandt werden.

Gewinninteresse contra Gemeinwohl

Die Fraktionsgemeinschaft Puls aus Stadtisten, Junge Liste Stuttgart, Die Partei und einem Unabhängigen hat sich laut Conzelmann ihrem Antrag auf schnellen Rückkauf nicht anschließen wollen. Aber gegen den Nopper-Vorschlag ist sie ebenfalls. Denn: "Wasser ist längst eine kritische Ressource, die niemals dem Gewinnmaximierungsinteresse einer Aktiengesellschaft unterworfen sein darf."

Dem SPD-Antrag angeschlossen hat sich die Fraktionsgemeinschaft aus Linke, SÖS, Piraten und Tierschutzpartei. Den Nopper-Vorschlag hält sie für absurd. Auch weil in den diversen Verträgen, die nun den Stadträten vorliegen, zu viele wichtige Fragen offen blieben, sagt Hannes Rockenbauch von SÖS. Welchen Einfluss hätte die Stadt im künftigen Aufsichtsrat zum Beispiel auf den Wasserpreis? Kann die Stadt auf den Wirtschaftsplan Einfluss nehmen? Auf welcher Grundlage basiert das Rückkaufsrecht 2042? Wie kann juristisch wasserdicht gemacht werden, dass die Stadt 2042 tatsächlich das 2.500 Kilometer umfassende Wassernetz, die 44 Hochbehälter, 87 Trinkwasserkammern, 39 Pumpenwerke, 16.949 Hydranten und 16.247 Schieber ohne öffentliche oder EU-weite Ausschreibung erhält? Und wie viel soll das Ganze 2042 eigentlich kosten? SPD-Chef Conzelmann ergänzt: "Wer weiß denn, ob die EU in 20 Jahren nicht immer noch im Privatisierungswahn ist? Dann kämen wir gar nicht zum Zuge?"

Solche Bedenken können Freie Wähler und die CDU nicht nachvollziehen. Die Christdemokraten wollen vor allem den jahrelangen Rechtsstreit beenden, der Idee ihres OB also zustimmen, schreiben sie im Amtsblatt. Außerdem sei heute alles anders als 2010, weil die EnBW nun überwiegend im Besitz der öffentlichen Hand ist (Land und Wasserzweckverbände), also drohe gar keine Privatisierung. Damit übernimmt sie das Argument des OB – das aber kein gutes Argument sei, wie Rockenbauch erwidert: "Da muss man ja nur auf den Verkauf von Transnet schauen." Gemeint ist, dass die EnBW gerade plant, 49,9 Prozent ihres Transportnetzbetreibers TransnetBW zu verkaufen, und die öffentliche Hand, sprich die grüngeführte Landesregierung, interessiert das nicht – im Gegensatz zu Blackrock (Kontext berichtete). "Die EnBW will immer den maximalen Profit", sagt Rockenbauch: "Die Kommune will eine gute Daseinsvorsorge – das passt nicht zusammen."

Bleiben als größte Fraktion noch die Grünen. Die haben nach einigem Hin und Her einen eigenen Antrag formuliert, wollen neu verhandeln. Damit ist auch entschieden, dass die Grünen den Nopper-Vorschlag ablehnen – wenn er denn auf der Tagesordnung bleibt. Denn mit Grünen (16 Sitze), SPD (7), Fraktion (7) und Puls (5) wäre eine Mehrheit (35 zu 25) zusammen.

"Hoffentlich ist dann keiner krank", entfährt es spontan dazu Barbara Kern vom Stuttgarter Wasserforum, das die Nopper-Pläne ebenfalls ablehnt. Auf der jüngsten S-21-Montagsdemo erläuterte sie, dass der vorgeschlagene Konzessionsvertrag so formuliert sei, dass die EnBW strategische Anlagen auch nach einem Rückkauf behalten könnte. Für Stuttgart blieben dann nur "Rohre ohne Wasser".


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1 Kommentar verfügbar

  • Frank
    am 14.12.2022
    Antworten
    Nopper, der derzeitige Stuttgart Vorturner des BW-€DU Filzes.

    Der Zweckverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke hält knapp 46% der Aktien der EnBw, hat damit massiv Einfluss und ist schon immer fest in der Hand der Oberschwäbischen €DU Garde, wie der Wikipediaeintrag zum OEW schön zeigt.

    Ist…
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