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Gewalt und Reichsbürger

Endlich entwaffnen

Gewalt und Reichsbürger: Endlich entwaffnen
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Die Macht hätten die Reichsbürger:innen nicht übernehmen können. Doch die Razzia gegen sie zeigt, dass zu viele Gewehre, Revolver, Pistolen, Handgranaten und Munition in falschen Händen sind – gerade in Baden-Württemberg.

Durchschnittlich sechs Waffen besitzen die Inhaber:innen einer entsprechenden Erlaubnis im Südwesten. Oder in absoluten Zahlen: Auf 115.500 Personen kommen 670.000 Registrierungen. Nicht erst seit den Verhaftungen der Vorwoche kommt die mutmaßlich noch viel größere Zahl einschlägiger Gerätschaften in den Blick, die tatsächlich in deutschen Kellern, Kammern und Schränken lagern. Speziell in solchen von Rechtsextremist:innen. Zum Beispiel im Frühjahr in Boxberg-Bobstadt: Als die Polizei bei einem Reichsbürger nach illegalen Waffen suchen wollte, kam es zu einem Schusswechsel, und in der Folge fand sich ein ganzes Arsenal.

Das geht seit Jahren so. Insgesamt 14 Objekte in Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein sowie in Rumänien seien durchsucht worden, heißt es zum Beispiel im Jahresbericht 2017 des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV). Anlässe waren unter anderem gewerbsmäßige Urkundenfälschung von Personaldokumenten und der Besitz von Materialien zur Herstellung von "Reichsbürger"-Papieren. Eher im Nachsatz hieß es, sichergestellt worden seien auch "verschiedene Waffen mit dazugehöriger Munition".

Schon der frühere baden-württembergische Innenminister Reinhold Gall (SPD) hatte nach dem Regierungswechsel 2011 dem unerlaubten Besitz und den Waffen in der Hand von Rechtsextremen den Kampf angesagt. Strengere rechtliche Grundlagen versprach Grün-Rot damals im Koalitionsvertrag ("Der Wechsel beginnt") mit dem Ziel, ein generelles Verbot für den Privatbesitz von großkalibrigen Faustfeuerwaffen durchzusetzen, mit Ausnahme der Jäger:innen. Dazu werde eine "dauerhafte höhere Kontrolldichte angestrebt". Das hat nur so mittelmäßig funktioniert.

"Trend zur Selbstbewaffnung"

Zwar wurden im Zuge mehrerer Amnestien 60.000 Waffen bei den Behörden freiwillig abgeliefert, darunter etwa 9.000 illegale. Die Gesamtzahlen stiegen und steigen dennoch immer weiter, wie aus der Antwort von Innenminister Thomas Strobl (CDU) auf eine Anfrage der Grünen im Oktober hervorgeht.

Oliver Hildenbrand, Grünen-Fraktionsvize im Südwest-Landtag, spricht von einem "Trend zur Selbstbewaffnung". Die Anzahl der kleinen Waffenscheine hat sich in den vergangenen fünf Jahren von 76.000 auf 98.000 erhöht. Der Vorsitzende des für den Verfassungsschutz zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremiums verlangt nach den Reichsbürger-Verhaftungen "zügig strengere Regeln für mehr Sicherheit durch weniger Waffen". Künftig solle nicht nur für das Führen, sondern ebenso für den Kauf und den Besitz von Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen eine Erlaubnis erforderlich sein. Zudem fordert Hildenbrand, den kleinen Waffenschein nicht mehr unbefristet, sondern nur noch zeitlich begrenzt auszustellen.

Strobl selbst setzte sich eben erst auf der Herbstkonferenz der Innenminister von Bund und Ländern gemeinsam mit Sachsen-Anhalt und Hessen dafür ein, dass Mitglieder verfassungsfeindlicher Vereinigungen nicht mehr an Pistolen und Gewehre kommen: "Wir tun alles, um die Schrauben dort anzuziehen, wo es nötig ist, um Extremisten noch effektiver zu entwaffnen." Zwischen 2017 und Anfang Februar 2022 wurden einschlägig bekannten Extremist:innen aber nur 400 Waffen abgenommen, mindestens 25 Personen besitzen laut Innenministerium sogar weiter eine erlaubnispflichtige Waffe. "Insbesondere in den Händen von Verfassungsfeinden haben Waffen nichts verloren", verkündet Strobl. Allerdings hatte er schon zum Amtsantritt vor gut sechs Jahren als Ziel ausgegeben, "waffenrechtlich als unzuverlässig einzustufenden Personen die Erlaubnisse zu entziehen".

Bereit zur Gewalt

Ohnehin ist das Hellfeld nur ein kleiner Teil der Wahrheit. Das Problem sind vor allem die illegalen Waffen in den Händen von Reichsbürger:innen. Wie eben im bereits erwähnten Boxberg-Bobstadt, wo das Sondereinsatzkommando ein ganzes Arsenal aushob, darunter "absolute Kriegswaffen", so Andreas Stenger, Präsident des Landeskriminalamts Baden-Württemberg.

Bei 380 anderen Rechtsextremist:innen könnten ähnliche Bestände gehortet sein, denn das Landesamt für Verfassungsschutz geht von rund 3.800 Mitgliedern der Reichsbürger- und Selbstverwalter-Szene in Baden-Württemberg aus, mit deutlich steigender Tendenz. Rund zehn Prozent werden als gewaltorientiert eingestuft. Corona habe als Katalysator für die virtuelle Vernetzung von Rechtsextremisten und staatsfeindlichen Akteuren gewirkt, schreiben die Verfassungsschützer:innen im Jahresbericht 2021. Der Innenminister benutzte in seiner Antwort auf die Grünen-Anfrage sogar den Begriff "Tag X". Vorbereitungshandlungen könnten nicht nur im Anlegen von Vorratslagern sowie in der Vorbereitung der Flucht und zukünftiger Unterbringung bestehen, sondern ebenso "in der Beschaffung legaler oder illegaler Schusswaffen". Und: "Auch das Training an Schießständen und Schießsportanlagen im In- und Ausland, Kampfsporttraining sowie die Bildung von Bürgerwehren kann gewaltorientierten Rechtsextremisten zur Vorbereitung auf die aus ihrer Sicht zu erwartenden Auseinandersetzungen mit dem ‚politischen Gegner‘ dienen." Veröffentlicht wurde diese Einschätzung sechs Wochen vor den Razzien und Verhaftungen.

Die AfD scheut die Reichsbürger nicht

Hinter den verschlossenen Türen des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG) beschäftigten sich die Abgeordneten in einer Sondersitzung am Freitag mit dem Wissensstand bei den beteiligten Behörden. Zudem ging es um Details der Razzien, unter anderem in Pforzheim und den Kreisen Enz, Ortenau, Breisgau-Hochschwarzwald, Freudenstadt oder Rottweil, sowie um Kontakte mutmaßlicher Terrorst:innen zur "Alternative für Deutschland".

Dass es da zumindest eine Nähe gibt, zeigte der Göppinger AfD-Abgeordnete Hans-Jürgen Goßner. Er stellte eine Verbindung her zwischen dem tödlichen Angriff auf ein Mädchen – ein zweites wurde schwer verletzt – in Illerkirchberg und den Razzien. In den sozialen Medien schrieb er: "Vorgestern wird ein Schulmädchen Opfer eines Messerangriffs durch einen Flüchtling, heute stürzt sich die Polizei auf angebliche Reichsbürger: Ein Schelm, der Böses dabei denkt." Sage und schreibe 3.000 Polizisten seien eingesetzt worden, "um 52 vermeintliche Umstürzler dingfest zu machen, da frage ich mich, warum derartige Kapazitäten nicht an den Flüchtlingsheimen eingesetzt werden". Das sei einmal mehr nur widerwärtig, erwiderte ein Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, und mehr als schäbig die Unterstellung, mit den Razzien von der Tat in Illerkirchberg ablenken zu wollen.

Die Äußerungen könnten ein Anlass sein, sich im PKG neue Regeln zu geben, wenn intern immer neue Erkenntnisse über die Möchtegern-Putschisten aus dem Reichsbürgermilieu auf den Tisch kommen. Denn dann wäre es nur folgerichtig, der AfD-Fraktion den Zugang zu solchen Beratungen zu versperren. Schließlich müssen die anderen vier Parteien und die ermittelnden Behörden von dem erheblichen Risiko ausgehen, dass Informationen alsbald bei den Demokratiebekämpfer:innen landen. Der große Liberale Gerhart Baum sieht die nicht nur am rechten Rand angesiedelt. "Die Gefahr ist, dass die Mitte infiziert wird", sagt der frühere Innenminister und erinnert daran, wie die RAF gescheitert sei, weil sie das Volk nicht erreicht habe. Das sei diesmal anders, Bürger wären bereits aus dem demokratischen System ausgewandert.


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