Gemessen an der Geschichte einer Institution, die ihren imaginären Freund als Legitimationsgrundlage für blutrünstige Raubzüge missbraucht hat, klingt das, was ihr aktuelles Oberhaupt zu sagen hat, trotzdem relativ vernünftig: "Lassen Sie nicht zu, dass die Finanzen und der Markt das Gesetz diktieren", hat der Papst kürzlich betont und seinen Gästen zugerufen: "Hört nicht auf, von einer besseren Welt zu träumen", die Ideale wie Freiheit, Gleichheit und Würde hochhält. Er wünschte sich zudem "Mut, aus dem Rahmen zu fallen", Offenheit für "neue Wege", etwa durch "radikale Perspektivwechsel bei der Aufteilung von Herausforderungen und Ressourcen zwischen Menschen und Völkern". In Anbetracht der gegenwärtigen Krisendynamik, die buchstäblich den Planeten verheizt und wachsenden Teilen der Weltbevölkerung die Lebensgrundlagen entzieht, scheint ein Dogmatismus der reinen Lehre weniger bedeutsam, als ein möglichst breiter Dialog, wie sich dieser Schlamassel überwinden lässt.
Wie ernst die Gesamtlage ist, signalisieren nicht nur Extremwetterlagen und Hungerbäuche, sondern auch die dreiste Offenheit, mit der sich Faschist:innen inzwischen wieder zu faschistischen Ideen bekennen. "Das ist kein Geheimplan. Das ist ein Versprechen", kommentierte der AfD-Bundestagsabgeordnete René Springer, nachdem "Correctiv" den rechtsextremen Plan enthüllt hatte, Millionen von Menschen aus Deutschland nach Afrika deportieren zu wollen. Nicht die Grünen, sondern die Blauen arbeiten an einer Umvolkung. Die neonazistischen Elemente einer Partei, die sich seit ihrer Gründung permanent weiter radikalisiert, scheinen zwar schon seit Längerem durch – doch nun geht endlich ein Ruck durch die Republik.
Zehntausende waren am vergangenen Wochenende auf den Straßen, in bemerkenswert kurzer Zeit mobilisiert, um der drohenden Barbarei etwas entgegenzusetzen: etwa 8.000 in Kiel, 25.000 in Berlin, 7.000 in Essen, 6.000 in Leipzig, 10.000 in Postdam, 2.500 in Rostock und 2.000 im beschaulichen Tübingen. In Stuttgart aber – laut der Politik-Professorin Gabriele Abels die deutsche "Demo-Hauptstadt" – ist es seltsam ruhig geblieben. Viele Kapazitäten der organisationsfähigen Szene sind durch die Vorbereitung einer seit Langem anberaumten Kundgebung gegen rechts gebunden – die dummerweise am 24. Februar, dem zweiten Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine, parallel zu diversen Friedenskundgebungen stattfinden wird. Zudem spielen bei dem Mangel an Aktionen offenbar gewisse Animositäten eine Rolle, wer lieber nicht mit wem gemeinsame Sache machen will.
Kurz vor Redaktionsschluss, am Dienstagabend, machten schließlich doch noch zwei Aufrufe die Runde: Stuttgart gegen rechts organisiert eine Kundgebung am Samstag, 20. Januar, um 14 Uhr vor dem Neuen Schloss. Und tags darauf, am Sonntag um 15 Uhr, lädt anlässlich des rechtsextremen Geheimtreffens auch die Jüdische Studierendenunion Württemberg zur Kundgebung auf den Stuttgarter Marktplatz. Hoffentlich ist der Papst möglichst vielen ein Vorbild: Er hat erkannt, dass es auf breite Bündnisse ankommt, wenn die Kacke am Dampfen ist.
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