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Messerkriminalität und Waffenverbotszonen

Gefährliche Symbolpolitik

Messerkriminalität und Waffenverbotszonen: Gefährliche Symbolpolitik
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Nach dem Messerattentat in Solingen fordern fast alle Parteien mehr Waffenverbotszonen. Laut wissenschaftlichen Erkenntnissen entsteht dadurch aber mehr Schaden als Nutzen.

Ausgehend vom Hauptbahnhof Richtung Innenstadt gibt es in Heidelberg einen Park mit dem edlen Namen Kurfürsten-Anlage. Er ist aber auch als "Pennerpark" bekannt. Doch ein Kollektiv von Künstler:innen, der Verein gegen Müdigkeit, arbeitet daran, die Anlage zum "Bella Park" zu transformieren.

Seit 2022 experimentieren sie hier an drei Tagen die Woche und wollen vor allem eins: künstlerisch einen Begegnungsraum schaffen. Damit die unterschiedlichen Menschen, die hier wohnen, arbeiten oder ihre Zeit verbringen miteinander statt übereinander reden.

Gerade wird beispielsweise gemeinsam an einer großen Picknickdecke genäht. Am besten solle sie mal 30 Meter lang werden, erzählt Künstler und Mitinitiator Shooresh Fezoni gegenüber Kontext. Dazu bringen alle, die möchten, alte Stoffe mit daran haftenden Erinnerungen vorbei, zerschneiden diese und "lassen los", so Shooresh Fezoni. Dann nähen sie die Stücke wieder zusammen, verweben sie zu einer neuen, gemeinsamen Geschichte.

Manchmal wird im Park auch Schach oder Tischtennis gespielt, es gibt Konzerte und Flohmärkte und mittlerweile auch Orte, an denen Schnaps getrunken werden darf, und andere, wo der oft aggressiv machende Schnaps verboten ist. Manche können drauf verzichten, andere haben die Möglichkeit hin- und herzulaufen.

Künstler Fezoni verspricht sich nicht zu viel davon, dass Stadt und Polizei die untere Kürfürsten-Anlagedie kürzlich zur Waffen- und Messerverbotszone erklärt hat. Er verweist auf die Erfahrungen mit der Waffenverbotszone in der Leipziger Eisenbahnstraße: Dort hat sich der Stadtrat mehrheitlich für eine Abschaffung der Verbotszone ausgesprochen, nachdem sich die Stigmatisierung des Ortes durch die erhöhte Polizeipräsenz noch gesteigert hat. Gleichzeitig konnten die bestehenden Probleme trotzdem nicht gelöst werden.

Alle wollen Verbote, die nichts bringen

Deshalb sehen die Künstler:innen vom "Bella Park" die Einführung der Waffenverbotszone nicht als "Lösung der Probleme vor Ort". Das hätten sie der Stadt auch so rückgemeldet, erklärt Shooresh Fezoni. Er möchte nicht abstreiten, dass hier "nicht alles tutti ist". Es gebe Drogenkriminalität und Gewalt, aber diese Probleme ließen sich nicht einfach verdrängen. Sie würden mit Armut und prekären Lebensbedingungen zusammenhängen. Dagegen helfe keine Waffenverbotszone.

Die Einrichtung dieser Zonen zu fordern oder umzusetzen, ist besonders beliebt, wenn die Politik signalisieren möchte, gegen Messergewalt vorzugehen. Nach dem Anschlag beim Solinger Stadtfest, bei dem drei Menschen durch einen Messerangriff getötet worden sind, wiederholt sich das Ritual: Überall werden Messerverbote gefordert, ganz als ob damit die Ursachen für Gewaltkriminalität bekämpft würden. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Thorsten Frei will die ganze Bundesrepublik zur Messerverbotszone erklären und der Polizei generell "anlassunabhängige Messerkontrollen" erlauben – was erfahrungsgemäß zu Racial Profiling führt.

Es gebe keinen Grund gegen ein komplettes Messerverbot auf Straßen, erklärt auch der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil. "Wir leben nicht mehr im Mittelalter", sagt Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), demzufolgte Hieb- und Stichwaffen in der deutschen Öffentlichkeit nichts zu suchen haben. Klar gegen Verschärfungen des Waffenrechts positionierte sich innerhalb der Bundesregierung nur die FDP. Auch hier scheint etwas in Bewegung zu geraten: Man werde intensiver über Verschärfungen debattieren, kündigt der liberale Bundesjustizminister Marco Buschmann an.

Die meisten Messerdelikte gibt es in Partnerschaften

Eine besonnene Wortmeldung kommt von dem Polizisten Dirk Peglow. Der Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter erklärt gegenüber RND: "Der Täter hätte sich von Messerverbotszonen und von einem generellen Messerverbot nicht aufhalten lassen. Er hat den bisherigen Erkenntnissen zufolge gewusst, was er tut." Auch wissenschaftliche Erkenntnisse deuten daraufhin, dass es sich beim Ruf nach Messerverboten eher um eine symbolpolitische Scheinmaßnahme handelt als um wirkungsvolle Kriminalitätsbekämpfung.

Forschende der Kriminologischen Zentralstelle Wiesbaden, kurz KrimZ, haben "Ausmaß und Entwicklung der Messerkriminalität in Deutschland" untersucht und sehen keinen "unmittelbaren kriminalpolitischen Handlungsbedarf". Es lägen kaum belastbare Zahlen vor, deshalb lasse es sich laut den Wissenschaftler:innen nicht belegen, dass Messerdelikte in den vorangegangenen Jahren tatsächlich zugenommen haben.

Unter "Messerkriminalität" werden generell sehr unterschiedliche Tathergänge zusammengefasst: von Schlägereien über Raub bis zu lebensbedrohlichen Angriffen. Aber auch mit einem Messer in einer Messerverbotszone erwischt zu werden, landet als Fall in der Statistik. Damit liegt auf der Hand: Mehr Verbotszonen führen zu mehr festgestellten Delikten, mit denen dann für mehr Verbotszonen argumentiert werden kann.

Die meisten Messerangriffe finden laut der KrimZ-Studie im "privaten Raum unter Bekannten" statt und als geschlechtsspezifische Gewalt gegenüber Frauen und queeren Menschen. In vielen Medien hören wir aber verzerrte Berichte über Messerdelikte. Es wird häufig über jugendliche Männer berichtet, die sich mit ihren Messern im öffentlichen Raum aufhalten. Aus Niedersachsen liegen Zahlen vor, die zeigen, dass jugendliche Männer zwischen 2013 und 2017 mehr Messer in ihrer Freizeit dabeihatten, jedoch sanken die Zahlen 2019 wieder. Ursache dafür könnte sein, "dass Jugendliche, die in der Vergangenheit Opfer von Gewalt waren, möglicherweise zum Schutz vor wiederholter Viktimisierung häufiger ein Messer mitführten". Aber auch "Gewalt legitimierende Männlichkeitsnormen wie Dominanz, Aggressivität und Wehrhaftigkeit" spielen dabei eine Rolle.

Tötungsdelikte medial massiv überrepräsentiert

Auch die Staatsangehörigkeit der Täter:innen steht in der Medienberichterstattung im Fokus. Es lässt sich statistisch nicht belegen, dass nichtdeutsche Menschen mehr Messerdelikte begehen. Was die Kriminolog:innen aus Wiesbaden jedoch herausgefunden haben ist, dass mehr nichtdeutsche Täter:innen im Zusammenhang mit Messerdelikten verurteilt wurden. Von 25,9 Prozent im Jahr 2013 steigt der Wert auf 43,6 Prozent in 2018. Die Forscher:innen vermuten, dass die Anzeigebereitschaft eine entscheidende Rolle dabei spiele, die beeinflusst, "welche Taten ins Hellfeld gelangen" und in die Polizeistatistik einfließen.

Die Polizeiliche Kriminalstatistik, auf die sich die Debatte um Messerdelikte oftmals bezieht, wird seit Jahren als wissenschaftlich unzulänglich kritisiert. Der Kriminologe Tobias Singelnstein von der Goethe Universität Frankfurt beschreibt sie in der Wochenzeitung "Zeit" als "Tätigkeitsbericht der Polizei, mehr nicht", und sagt weiter, "die Statistik spiegelt nur das wider, was die Polizei sehen kann und erfassen will".

Thomas Hestermann, Professor für Journalismus an der Macromedia Hochschule für Design und Kommunikation Hamburg, kann durch eine Langzeitanalyse nachweisen, dass Medien überdurchschnittlich viel über "tödliche Delikte" berichten, "mehr als hundertmal so hoch", als es ihrem tatsächlichen Anteil in der Polizeistatistik entspricht. Da bei Messerdelikten häufig Menschen sterben, tauchen Messer folglich vermehrt in den Medien auf. Insgesamt ist Gewaltkriminalität überproportional vertreten.

Wirklich helfen würde gute Sozialpolitik

Auch mit Blick auf die Staatsangehörigkeit der Tatverdächtigen zeige sich laut Hestermann eine mediale Verzerrung, denn in den "Medien werden deutsche Tatverdächtige bei Messerdelikten fast vollständig ausgeblendet". Woraus sich insgesamt ein verfälschtes Bild ergebe, das zu den vermehrten Anzeigen gegen nichtdeutsche Tatverdächtige führt.

Geschlechtsspezifische Gewalt wird medial hingegen seltener problematisiert, obwohl hier nachweislich Messergewalt stattfindet. Laut der Studie des KrimZ wurde "in rund 65 Prozent ein Messer als Tatmittel" eingesetzt. Gleichzeitig besagt die Bundeskriminalamtsstatistik 2023, dass die "Partnerschaftsgewalt" in Baden-Württemberg "um 10 Prozent gestiegen" ist. Der Paritätische Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg schreibt daraufhin, "der Anteil der betroffenen Frauen liegt bei 80 Prozent" und in der Bundesrepublik würden etwa 14.000 Plätze in Frauenhäusern fehlen – bei aktuell nur 6.800 vorhandenen.

Was also wirklich helfen würde gegen Messerdelikte, wären Projekte zur Gewaltprävention, Deeskalation und Täterarbeit. Eine durch bewilligte Asylanträge langfristige Perspektive für Geflüchtete und mehr soziale Sicherheit durch Mietendeckel, ausreichende, auch psychische Gesundheitsversorgung und Löhne, von denen die Menschen leben können.

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3 Kommentare verfügbar

  • Charly Carol
    am 28.08.2024
    Antworten
    Anekdoten am laufenden Band...von den Politdarsteller...
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