Dennoch wird in Medien und im Netz immer wieder die migrantische Jugend samt organisierter Linken hervorgehoben. Ermutigt auch aus der Politik: Beim Besuch des damaligen Bundesinnenministers Horst Seehofer (CSU) am 22. Juni 2020 in Stuttgart legt Strobl (Kontext berichtete) vor: "Es ist mein Eindruck, dass das nicht die Stuttgarter sind. (…) Die Stuttgarter mögen keinen militanten Mob." Und Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) weiß diesem Mob "eigentlich keinen Anlass" zuzuordnen. Das fehle gerade noch, dass "in so schweren Zeiten" eine solche "Gewaltorgie" in Gang gesetzt werde.
Coronapolitik lässt die Jugend allein
Schwere Zeiten – in der Tat: Ab März 2020 durchlebt die Republik die erste Corona-Infektionswelle. Ver.di zufolge gehen 7,3 Millionen Menschen in den Pandemiejahren in Kurzarbeit, Pflegekräfte fordern eine Lohnerhöhung und erhalten Applaus, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) appelliert daheimzubleiben. Aber: "You can't stay home, if you don't have a home" ("Du kannst nicht zuhause bleiben, wenn du kein Zuhause hast") – schon lange existierende Probleme treten nun offen zutage: Wohnungsnot, prekäre Jobs, Kinder und Frauen, die daheim Gewalt erfahren. Doch mit der sogenannten Krawallnacht wurde all das nicht in Verbindung gebracht. Stattdessen legte Innenminister Strobl einen Zehn-Punkte-Plan zur Verschärfung sicherheitspolitischer Maßnahmen vor: mehr Polizei in der Innenstadt, Prävention durch Jugendarbeit, Alkoholkonsum- und Aufenthaltsverbote, Videoüberwachung.
Wie sinnvoll sind weitere Einschränkungen des öffentlichen Raumes? Der ist ohnehin nicht allen gleichermaßen geöffnet, befindet eine Recherche im Auftrag des Amtes für Stadtplanung und Stadterneuerung bereits 2017. Die Zugänglichkeit öffentlicher Räume sei insbesondere von den Finanzen junger Menschen abhängig – es brauche mehr kostenlose öffentliche Orte, die ohne Konsumzwang zugänglich seien. Passiert ist in dieser Hinsicht nicht viel.
Hohe Strafen schrecken nicht ab
Für Nico waren die Jugendlichen, die nach einer Polizeikontrolle am Eckensee die "Krawallnacht" in Gang setzten, "Wütende, die sagen, wir lassen uns das nicht mehr täglich bieten". Und weil der Staat in jener Nacht die "Hoheit der Straße verloren hatte", sagt Nico, sei die Verfolgung drastisch. Die Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e.V. (DVJJ) kritisierte in einer Stellungnahme vom 13. November 2020 die Härte, mit der Jugendliche im Zusammenhang mit jener Nacht bestraft wurden. Anders Ralf Kusterer, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DpolG). Er betonte gegenüber der Deutschen Welle, hohe Strafen würden abschrecken. Die andere Gewerkschaft der Polizei (GdP) forderte, das allgemeine Strafrecht auch auf Heranwachsende anzuwenden. Die DVJJ konterte: "Die 'Glaubwürdigkeit des Rechtsstaates' verlangt gerade nicht nach der Verhängung besonders 'harter Strafen'", sondern es bräuchte eine "professionelle Auseinandersetzung" mit Beteiligten und Tatvorwürfen. "Gesetzestreue und Besonnenheit" seien wichtige Bausteine in einem Rechtsstaat, man dürfe sie "aber vor allem auch von staatlichen Akteuren erwarten". Ist Nico abgeschreckt? Zu seiner Entlassung in gut drei Jahren sagt er: "Rauskommen und weitermachen."
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bedellus
am 25.09.2024