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Schleppende Wärmewende

Heizungshammer

Schleppende Wärmewende: Heizungshammer
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Baden-Württemberg hat Schwierigkeiten, die eigenen Klimaziele umzusetzen. Was auch am weiterhin viel zu hohen Energieverbrauch in Gebäuden liegt. Und daran, dass Lobbyinteressen den Einsatz sinnvoller Technik verhindern.

Heizungstausch funktioniert – aber anderswo. Im europäischen Vergleich liefert Österreich aktuell besonders positive Ergebnisse. Das Wiener Umweltbundesamt (UBA) hat eine sogenannte Nahzeitprognose für 2023 vorgelegt. Danach sind die Treibhausemissionen im Gebäudebereich binnen eines Jahres um 1,5 Millionen Tonnen oder spektakuläre 20 Prozent zurückgegangen. Erreicht wurde dies durch den Einbau von Systemen, die mit erneuerbarer Energie arbeiten, durch Dämmung und eine Förderung von bis zu 75, in bestimmten Fällen bis zu hundert Prozent. Besonders erfreulich ist laut dem UBA, dass der Rückgang nur zu einem geringen Teil auf konjunkturelle Einflüsse und die mildere Witterung zurückzuführen ist.

In vielen Strukturdaten gibt es zwischen Österreich und Baden-Württemberg große Übereinstimmungen – zum Beispiel, dass der Gebäudesektor für gut 40 Prozent aller CO2-Emmissionen verantwortlich ist. Überdies liegt die Latte im deutschen Südwesten besonders hoch. Denn "so schnell wie möglich" versprach die grün-schwarze Landesregierung im Koalitionsvertrag 2021, Klimaneutralität herzustellen, spätestens aber in – von heute aus betrachtet – fünfzehneinhalb Jahren. Obendrein listet das als "Erneuerungsvertrag" gepriesene Papier ("Jetzt für morgen") lauter hehre Ambitionen auf: zur Wärmewende, zur Förderung von Wärmepumpen, zur klimaneutralen Landesverwaltung bis 2030, zur Weiterentwicklung des Landeshaushalts mit Blick auf die Pariser Klimaschutzziele. "Wir werden Baden-Württemberg zum Klimaschutzland machen – zum Klimaschutzland Nummer eins in Deutschland und Europa", steht da zu lesen. Nicht vom Sollen oder Wollen ist die Rede, sondern vom "Wir werden". Immerhin ist Baden-Württemberg gerade in Sachen Wärme Vorreiter, weil schon 2008 die damalige Umweltministerin Tanja Gönner (CDU) verbindliche Quoten zur Erzeugung aus erneuerbaren Energien eingeführt hatte.

Dennoch zeigt sich gerade beim Thema Heizungstausch, wie diffizil auch zwischen Main und Bodensee die Umsetzung warmer Worte ist. Im Mai 2023, mitten in der immer hitzigeren Debatte um das Gebäudeenergiegesetz (GEG) der Berliner Ampelregierung, von Feingeistern der "Bild"-Zeitung "Heizungshammer" genannt, macht Gönners Nachnachfolgerin Thekla Walker (Grüne) folgende Rechnung auf: "In round about 20 bis 25 Jahren" hätten alle Systeme klimaneutral zu sein, damit die eigenen Ziele erreicht werden können. Ihre Fachleute im Ministerium ließen Zahlen sprechen. Bis 2030 muss es in Baden-Württemberg rund eine halbe Million weniger Öl- und Gasheizungen geben. Und den Einbau von rund 620.000 klimaschonenden Modellen, bis 2040 sogar 1,6 Millionen.

Weiterschlafen ist nicht drin

"Planwirtschaft!", posaunte daraufhin FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Koalitionsfriede zwischen Grünen und CDU stellte sich erst wieder ein, als Walker auf Zahlen verzichtete. Falschbehauptungen en masse kursierten, mitgeschürt von der Union. Etwa dazu, dass funktionierende Heizungen rauszureißen sind und Eigentümer:innen mit horrenden Investitionskosten vom Staat alleingelassen werden. Ein interessantes Stück Zeitgeschichte ist das Video von der ersten Pressekonferenz, auf der die Bundesminister:innen Robert Habeck (Grüne, Wirtschaft) und Klara Geywitz (SPD, Wohnen) gemeinsam ihre Pläne präsentierten. Was dann folgte, schreibt sogar "Capital", war ein Lehrbeispiel dafür, "wie ein einfaches, sinnvolles, seit Langem funktionierendes Produkt in den Sturm der Lobbyinteressen und politischen Intrigen gerät".

Auf ihrer Sommertour 2024 hat Walker das Freiburger Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) besucht, um sich wieder einmal darin bestärken zu lassen, wie groß die Bedeutung von Wärmepumpen für eine gelungene Energiewende ist. Entwickelt wurde von den Wissenschaftler:innen eine Variante, die auf das klimafreundliche Kältemittel Propan setzt, mit sehr geringen Mengen auskommt und in Mehrfamilienhäusern und Bestandsgebäuden gut eingesetzt werden kann.

Schon seit mehr als zwei Jahrzehnten wird geforscht in Freiburg, unter anderem von Marek Miara. Der promovierte Ingenieur und renommierte Experte warnt regelmäßig davor, nicht noch mehr Zeit zu verlieren: "Wir haben 20 Jahre lang geschlafen, aber es gibt keine Alternative zur Wärmepumpe, um die Klimaziele auch nur annähernd zu erreichen." Aber nicht einmal der seit 1979 laufende und überaus erfolgreiche Dauerpraxistest in Dänemark kann überzeugen. Durch lenkende Steuern und Abgaben auf fossile Lösungen sei dem System zur Wirtschaftlichkeit verholfen worden – und das bei begrenzten Subventionen, heißt es in einer der unzähligen Analysen. Genannt sind "zentrale Rahmenbedingungen", darunter der bereits 1986 beschlossene Ausstieg aus der Atomenergie und das gleichzeitige Nein zum Bau neuer Kohlekraftwerke.

Reaktionen strotzen vor Halbwahrheiten und Häme

Dass eine breite und faktenbasierte Debatte über die Sinnhaftigkeit des Ausstiegs aus Öl und Gas im Heizungskeller kaum möglich ist, erlebt Robert Habeck abermals bei seiner diesjährigen Sommertour, ausdrücklich ausgerichtet auf die Werbung für die Wärmepumpe. Denn kaum macht der grüne Wirtschaftsminister sich auf, funktionieren dieselben Reflexe wie beim GEG: Die Reaktionen nicht nur im Netz oder der Springerpresse, sondern auch in klassischen und in öffentlich-rechtlichen Medien strotzen wieder vor Halbwahrheiten und Häme.

Habecks Parteifreund, Bundestagsfraktionsvize Andreas Audretsch, muss sich sogar im ZDF mit hanebüchenen Unterstellungen und falschen Zahlen herumschlagen. Der promovierte Politikwissenschaftler, der selber Medienerfahrung bei ARD oder Deutschlandfunk gesammelt hat, wehrt sich standhaft und beklagt, wie eine der besten und effizientesten Zukunftstechniken, in Deutschland erzeugt, dennoch diskreditiert und kaputtgeredet wird. Am Ende hagelt es auf Twitter Kritik an Audretsch, darunter mit so unsinnigen Behauptungen wie der, eine wirklich gute Technologie brauche keine Subventionen, um sich am Markt durchzusetzen. Nur für die Jüngern unter den Wärmepumpen-Verächter:innen: Greenpeace rechnete vor gut zehn Jahren aus, dass der deutschen Atomindustrie von Vater Staat mit 304 Milliarden Euro unter die Arme gegriffen worden war.

Immerhin kursieren gerade auf Internetseiten von Herstellern Prognosen dazu, dass Habecks Tour nicht ohne Wirkung geblieben ist und der Markt nach dem Einbruch im Vergleich zum Spitzenjahr 2022 wieder deutlich anzieht. Bisher sind 2024 laut Heizungsindustrie bundesweit etwa 90.000 Systeme verkauft, anvisiert ist aber die für eine funktionierende Wende nötige Marke 500.000 im laufenden Jahr. Demgegenüber rechnet der Bundesverband der Deutschen Heizungsindustrie mit maximal 200.000 verkauften Wärmepumpen.

Die Ministerin bleibt trotzdem optimistisch

Die Werbung jedenfalls läuft auf Hochtouren. Buderus bietet intelligente Systeme zu Sonderpreisen an, Vaillant lockt mit Cashback und 150-jähriger Erfahrung, Bosch führt den heimischen Standort an, Viessmann den leisen Betrieb. Alle verweisen auf die staatliche Unterstützung und darauf, dass die – entgegen anders lautender Meldungen – gerade nicht zurückgeht. Es gibt Vergleichsportale, Tabellen zu den tatsächlichen Preisen und Investitionskosten, die deutlich unter den lustvoll verbreiteten Horrorbereichen liegen, zudem Tipps der Verbraucherzentralen und die multiplen Aktivitäten der Stiftung Warentest. Trotzdem sind im Springer-Verlag anscheinend Dr. Jekyll und Mister Hyde zugange, weil die eine Hand weiter wettert und die andere für die "Volks.Wärmepumpe" wirbt. "Es kommt mir beinahe so vor, als ob wir von einem Volk der Fußballtrainer zu einem Volk der Heizungsbauer geworden sind", sagte CDU-Umwelt-Experte Raimund Haser aus dem Wahlkreis Wangen schon vor Monaten in einer Landtagsdebatte.

Thekla Walker lässt sich ihren Optimismus ohnehin nicht nehmen. Und sie kann auf ein Feld verweisen, auf dem der Südwesten weiterhin unbestritten Vorreiter ist: die kommunale Wärmeplanung. Die vorzulegen, verlangt der Bund bis 2026 von Städten mit mehr als 100.000 Einwohner:innen und bis 2028 von allen anderen Gemeinden. Ziel ist, wie das rotgeführte Bauministerium erläutert, "den vor Ort besten und kosteneffizientesten Weg zu einer klimafreundlichen und fortschrittlichen Wärmeversorgung zu ermitteln". Baden-Württemberg ist weiter und entsprechende Pläne zu erstellen, hier bereits seit 2020 Pflicht für die 104 Stadtkreise und Große Kreisstädte. Noch geht es nur darum, Wissen über Verhältnisse und Möglichkeiten, unter anderem zum Ausbau von Fernwärmenetzen, zusammenzutragen.

Das wird aber nicht so bleiben. "Der Gebäudesektor ist der stärkste Hebel für den Klimaschutz", sagt Walker, die an einer Novelle der gesetzlichen Regelungen arbeitet, um die neuen Vorgaben des Bundes umzusetzen. Lichtblick sind all jene Kommunen, die noch gar nicht verpflichtet sind, aber freiwillig ihre Wärmewende planen. Die werden vom Land beraten und gefördert. Noch. Denn in den anstehenden Haushaltsverhandlungen steht auch in Baden-Württemberg nicht mehr nur Wünschenswertes zur Disposition, sondern dringend Notwendiges ebenfalls. Sogar im Kampf gegen die Erderwärmung.

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1 Kommentar verfügbar

  • Die kindliche Kaiserin
    vor 3 Wochen
    Antworten
    Unbestritten, der Gebäudebereich ist in Industrieländern einer der wesentlichen Treiber des Kli-mawandels. In Stuttgart ist das spätestens seit den 90er Jahren bekannt. Trotz zahlreicher Sanie-rungsanstrengungen hat sich in der Stadt, insbesondere bei den Altbauten, nichts Entscheidendes getan.…
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