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Private Müllentsorgung Karlsruhe

Verloren im Abfallchaos

Private Müllentsorgung Karlsruhe: Verloren im Abfallchaos
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In Karlsruhe wurde die Wertstoffsammlung privatisiert. Seither häufen sich Klagen und ständig neue Vorgaben zur Platzierung der Mülltonnen. Während die Stadt auf Kulanz setzt, pocht der private Betreiber auf die Abfallsatzung. Leidtragende sind die Karlsruher:innen.

Das Maßband ist in Karlsruher Hinterhöfen derzeit ein häufig genutztes Utensil. Um den Müll aus der Wertstofftonne weiterhin geleert zu bekommen, darf der Abstand zur Straße höchstens 15 Meter betragen. Ist noch eine Stufe, ein unbefestigter Weg oder eine Klingel im Weg, bleibt der Müll stehen, selbst wenn die Wegstrecke kürzer ist. Was kompliziert klingt, ist für viele Karlsruher:innen heute längst gängiges Alltagswissen, das sie sich seit Anfang des Jahres in steter Wiederholung und mit immer wieder neuen Aspekten aneignen mussten.

Zum 1. Januar hat das private Unternehmen Knettenbrech + Gurdulic (K+G) die Wertstoffsammlung in den Karlsruher Haushalten übernommen. Davor war der städtische Betrieb Team Sauberes Karlsruhe (TSK) dafür verantwortlich, der noch immer die Haushaltstonnen für Restmüll, Bioabfall und Papier entsorgt. Durch eine Neuregelung des Verpackungsgesetzes musste die Wertstoffsammlung europaweit ausgeschrieben werden. Auftraggeber ist ein Betreiber Dualer Systeme (BDS) und den Zuschlag für die Wertstoffsammlung in Karlsruhe erhielt schließlich der günstigste Anbieter: K+G.

Mehr als 3.000 Beschwerden

Schon in den ersten Tagen nach der Übernahme häuften sich die Beschwerden über nicht abgeholte Wertstofftonnen. In vielen Haushalten quoll der Müll über. Im Februar beschloss der Karlsruher Gemeinderat durch das Team Sauberes Karlsruhe eine Sonderleerung der Wertstofftonnen durchführen zu lassen. "Sie diente dazu, die damals extrem kritische Situation bei der Wertstoffsammlung zu entschärfen", heißt es seitens der Karlsruher Stadtverwaltung. Doch die Probleme blieben: "Insgesamt gingen allein beim TSK seit Übernahme der Sammlung über 3.000 Beschwerden ein."

Nicht nur die Qualität der Entsorgung, sondern vor allem die vom neuen Betreiber vorgegebenen Abstands- und Wegeregelungen zu den Mülltonnen sorgten für Ärger. Die Wegstrecke von unter 15 Metern wie auch der stufenlose und freie Zugang zu den Abfallcontainern sind in der städtischen Abfallentsorgungssatzung vorgeschrieben. Während die Wertstoffsammlung noch in städtischer Hand war, wurde regelmäßig ein Auge zugedrückt und der Müll auf Kulanz trotzdem entsorgt. Seit den 1980er-Jahren sei das gängige Praxis gewesen, heißt es von der Stadtverwaltung. "Wann die Definition der Standplätze in die Satzung aufgenommen wurde, ist nicht mehr nachzuvollziehen", gibt sie sich ratlos, warum sich Praxis und Satzung so unterschieden haben.

Streit um Vollservice

Nach dem Willen der Stadt sollte diese umfassende Entsorgung auch unter privater Hand fortgeführt werden. In der Abfallbranche nennt sich das Vollservice. Für die Ausschreibung durch den Betreiber Dualer Systeme war daher der Satz "Die MGBs (Müllgroßbehälter, Anm. d. Red.) sind im Vollservice zu entsorgen" vorgesehen. Zusätzliche Ausgaben von etwa 500.000 Euro plante die Stadt dafür ein. Doch der Ausschreibungsgewinner K+G fühlt sich nicht an die jahrelange Praxis gebunden und verwies auf die geltende Abfallentsorgungssatzung: "Die Tonnen dürfen sich dementsprechend höchstens 15 Meter vom nächstgelegenen Halteplatz des Sammelfahrzeugs befinden. Gleichzeitig muss der Transportweg stufenfrei sein und darf eine Steigung von 5 Prozent nicht überschreiten." Für etwa 20.000 Haushalte in Karlsruhe bedeutet das, die Wertstofftonnen künftig vor die Haustür zu stellen und nach der Leerung wieder einzusammeln oder einen eigenen kostenpflichtigen Vollservice bei dem Unternehmen zu beauftragten.

Die Stadt versuchte mehrfach das Unternehmen dazu zu bewegen, den für die Karlsruher:innen gewohnten umfassenden Service anzubieten. Als Gespräche erfolglos blieben, wollte sie einen neuen Vertrag mit K+G abschließen. Für etwa eine Million Euro mehr sollte der Entsorger künftig unter anderem auch Wertstofftonnen entsorgen, die bis zu 27 Meter von der Straße entfernt waren. Gleich zwei Mal stimmte der Gemeinderat entsprechenden Zusatzvereinbarungen mit K+G zu. Aber beide Male scheiterte die Stadt an der Vergabekammer des Regierungspräsidiums, die eine fehlende bzw. unzureichende Ausschreibung für den neuen Auftrag bemängelte und die Vereinbarungen jeweils auf Antrag eines Mitbewerbers von K+G für unzulässig erklärte. Demnach darf die Stadt K+G nicht mit der Erweiterung der Vollserviceleistungen beauftragen.

Fünf Euro pro Klingeln

Während die Stadtverwaltung den zuletzt ergangenen Beschluss der Vergabekammer noch prüfte, kündigte K+G an, die Abfallentsorgungssatzung nun noch konsequenter anzuwenden. Ab dem 19. August werde man auch das Klingeln an der Haustür, um bei der Abholung an die Wertstofftonnen zu gelangen, einstellen, wenn nicht fünf Euro dafür gezahlt werden. Man sei vorab nicht informiert worden, klagte die Stadt. Durch die "Unmittelbarkeit und die kurze Übergangsfrist, die zudem mitten in die Ferienzeit fällt", sei man überrascht worden. K+G habe auch abgelehnt, das Klingeln zumindest so lange fortzusetzen, bis alle Haushalte durch Klebezettel an den Haustüren über das veränderte Vorgehen informiert werden könnten.

Auch in der Frage des Klingelns zeigen sich die unterschiedlichen Auffassungen der Stadt und des privaten Unternehmens. "Im Sinne des Bürgerservices sowie im Selbstverständnis eines kommunalen Dienstleisters" werde die kommunale Abfallentsorgung großzügig gehandhabt, heißt es von der Stadt. Das Klingeln sei dort nicht explizit geregelt. Zudem gehöre es "seit Langem dazu" und sei "gelebte Praxis" in Karlsruhe. Das Unternehmen pocht hingegen darauf, dass die Satzung eine "freie Zugänglichkeit" der Abfalltonnen vorsehe. "Selbstverständlich halten wir uns an alle in der Abfallsatzung der Stadt Karlsruhe festgelegten Kriterien", schreibt K+G in einer Pressemitteilung. Nachfragen von Kontext wollte das Unternehmen nicht beantworten.

Kritik an Stadtspitze

Der Streit ist festgefahren. Von "Müllchaos" oder "Wertstoffdesaster" ist die Rede. In die Kritik gerät vor allem die Stadtspitze um Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD), der die Lösung des Müllproblems zur Chefsache machte. "Wer übernimmt für dieses Desaster die politische Verantwortung? Ein Schweigen auf der Bürgermeisterbank ohne jegliche Form der Selbstreflexion kann nicht weiter hingenommen werden. Dies ist die Stadtverwaltung den Menschen schuldig", klagt Thomas Hock von der Fraktion aus FDP und Freien Wählern. Dabei kritisiert er auch das laute Schweigen der zuständigen Bürgermeisterin Bettina Lisbach (Grüne), die seit Jahresbeginn öffentlich abgetaucht ist.

Eine Lösung des Streits und eine Rückkehr zum einst gewohnten Service ist nicht absehbar. Eine Beschwerde gegen die Entscheidung der Vergabekammer hat die Stadtverwaltung inzwischen verworfen. Ohnehin haben die Kommunikation zwischen Stadt und K+G mittlerweile vor allem Rechtsanwält:innen übernommen und auch in der Stadtverwaltung sieht man kaum noch Hebel, außer dem Abwarten auf eine neue Ausschreibung im Jahr 2027. "Wir pochen weiterhin auf die korrekte Erbringung der Wertstoffleerung. Das bedeutet korrekte Abholung am festgelegten Abholtag sowie das Sicherstellen einer entsprechenden Erreichbarkeit", heißt es dazu nur.

Karlsruher Sonderweg

"Wir verstehen den aktuellen Unmut der BürgerInnen und versichern, dass eine zuverlässige und pünktliche Leistungserbringung für uns höchste Priorität hat", schreibt K+G in einer Pressemitteilung. Das Unternehmen will sich weiter streng an die Satzung halten. Dies spüren auch die Beschäftigten. "Ich habe eine Abmahnung bekommen, weil ich trotz einer Stufe den Müll abgeholt habe", sagt ein K+G Mitarbeiter bei der Abholung. Auch hierzu wollte sich das Unternehmen gegenüber Kontext nicht äußern.

Wahrscheinlich werden sich die Karlsruher:innen an eine neue Form der Wertstoffabholung gewöhnen müssen, wenn sie für den Vollservice nicht selbst Geld in die Hand nehmen wollen. Tatsächlich gibt es in vergleichbaren Städten in Baden-Württemberg keinen solch großzügigen kommunalen Service. In Freiburg und Stuttgart setzt man auf den gelben Sack, der selbst am Straßenrand oder in weniger als 15 Meter Entfernung zur Abholung bereitgestellt werden muss. In Mannheim kommt auch eine Wertstofftonne zum Einsatz, die in knapp 80 Prozent des Stadtgebiets auch von K+G abgeholt wird. Längere Wege bei der Abholung müssen privat bezahlt werden. Beim Klingeln haben die 20 Prozent Glück, die im Gebiet der städtischen Abholung liegen, wie die Stadtverwaltung Mannheim auf Anfrage mitteilt. "Die städtischen Müllwerker klingeln kulanterweise bei verschlossenen Haustüren."

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2 Kommentare verfügbar

  • Wes
    am 06.09.2024
    Antworten
    Dann müssen die Müllcontainer eben dauerhaft in Müllboxen auf der Fläche vor dem Haus aufgestellt werden.
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