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Müllabfuhr privatisieren

Blöde Idee

Müllabfuhr privatisieren: Blöde Idee
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In Tübingen will die Stadtverwaltung die Müllabfuhr im Hauruckverfahren privatisieren. Das ist kurzfristig gedacht und ignoriert Erkenntnisse aus anderen Gemeinden, die den Schritt bereuen und die Hoheitsaufgabe zurück in die eigene Hand holen wollen.

Glückwunsch an die Tübingerinnen und Tübinger! So wie es aussieht, wird deren Müll ab 2025 nicht mehr von städtischen Müllmännern abgeholt, sondern von Alba, Remondis oder einem anderen privaten Unternehmen. Vorige Woche entschied der Verwaltungsausschuss mit nur vier Gegenstimmen, der Verwaltung brav zu folgen und den Vertrag, der regelt, dass die Kommune sich selbst um ihren Müll kümmert, zu kündigen. Die endgültige Entscheidung fällt der Gemeinderat am kommenden Montag, dem 22. Mai.

Glückwunsch auch an die Tübinger Stadtverwaltung: Der allseits beliebte Trick, unangenehme Entscheidungen mit Verweis auf Zeitdruck ohne große Diskussionen durchzudrücken, hat funktioniert. Anfang April erfuhr der Verwaltungsausschuss von den Verwaltungsplänen, aus der Müllabfuhr auszusteigen. Da bleiben gerade mal sechs Wochen bis zur Entscheidung. Denn bis zum 30. Juni muss der Vertrag gekündigt werden, damit die Müllabfuhr ab 2025 privat abgeholt werden kann. Dann erfuhren auch die 21 Beschäftigten der Kommunalen Servicebetriebe (KST) von den Plänen. So bleibt kaum Zeit, damit sich eine intensivere Debatte entwickeln kann, in der womöglich noch die Bürgerschaft mit einbezogen wird. Der örtliche DGB schaffte es noch, eine Stellungnahme abzugeben, die Lokalzeitung hat ein paar Artikel geschrieben – das war's. Keine Versammlungen, keine Diskussionsveranstaltungen mit den Einwohner:innen. Chapeau. So untergräbt man erfolgreich demokratische Mitbestimmung und schwächt das Vertrauen in die öffentlichen Institutionen. Und der Gemeinderat? Macht mit, wie Gemeinderäte landauf, landab fast immer mitmachen, wenn eine Verwaltung die Drohkulissen Zeit- und Kostendruck aufbaut.

Beeindruckend ist auch die Entscheidungsvorlage, die die Verwaltung dem Gemeinderat vorgelegt hat. Darin räumt sie offen ein, warum ihr die KST zu teuer ist: Die Stadt hat fast 20 Jahre nichts in Müllautos investiert, nichts in die Gebäude, keine Personalplanung betrieben, so dass die KST-Mannschaft nun überaltert ist mit entsprechen hohem Krankenstand. Anders ausgedrückt: Systematisch wurde eine im Grunde gut und verlässlich funktionierende Abteilung kaputtgespart, um am Ende sagen zu können: Oh! Der Zustand ist ja miserabel. Das lassen wir lieber, sonst müssten wir ein neues Gebäude bauen, neue, umweltfreundliche Müllautos kaufen und in Personal investieren, das im Moment kaum zu finden ist. Angeblich 3,5 bis 4 Millionen Euro betrage der Investitionsbedarf, so die Verwaltung, dazu kämen mehr als 250.000 Euro jährliches Defizit aus dem laufenden Betrieb.

Der Plan ist also, noch bis Ende 2024 das Defizit in Kauf zu nehmen, inklusive Personalnot und reparaturanfälliger Müllautos, dann übernimmt ein privater Anbieter das Geschäft. Das Geschäft? Warum soll sich ein Privater ein defizitäres Geschäft ans Bein binden? Offenbar setzen die Verwaltung und auch der Landkreis, der Müllsatzungen und Vergaben in der Hand hat, darauf, dass ein Privater effektiver Müll abfahren kann. Im Rest des Landkreises Tübingen hat derzeit die Firma Alba den Auftrag für die Müllabfuhr, da wird sie doch auch die Stadt Tübingen noch mitmachen können. Billiger sei ein Privater – auch das schreibt die Verwaltung offen –, weil er nur zwei statt drei Menschen aufs Müllauto setzt und die Löhne dort niedriger sind. Schön, wie die öffentliche Hand hier schlechtere Standards für Beschäftigte fördert.

Warum aber sollen Alba, Remondis und Co. kein Personalproblem haben? Ein Blick in andere Regionen zeigt: Arbeitskräftemangel macht auch privaten Unternehmen das Arbeiten schwer. Als beispielsweise 2022 im Landkreis Esslingen die Firma Alba die Müllabfuhr übernommen hat – nach einer Ausschreibung, die natürlich der billigste Anbieter gewonnen hat –, brauchte es Monate, bis die Abfuhr tatsächlich klappte. Zeitweise standen Biotonnen wochenlang ungeleert in der Sonne (die Probleme zogen sich bis ins Spätjahr), der Restmüll gammelte ebenfalls vor sich hin. Auch aktuell gibt es wieder Probleme. Gründe: zu wenig Leute, zu wenig Fahrzeuge, schlechte Organisation.

Andere Kommunen sind schlauer

Die Stadtverwaltung Tübingen mit ihrem Oberbürgermeister Boris Palmer stellt sich zudem gegen einen Trend. Nachdem Kommunen in den 1980er- und 1990er-Jahren wie doof Aufgaben privatisierten, ist seit Beginn des 21. Jahrhunderts zu beobachten, wie sie ausgelagerte Hoheitsaufgaben wie Energieversorgung, Wasser, Müllabfuhr oder ÖPNV in die kommunale Hand zurückholen. Auch beim Müll: Mittlerweile wird jede zweite Hausmülltonne wieder von kommunalen Betrieben abgeholt, der Anteil der kommunalen Abfallentsorger steigt, der der Privaten sinkt.

Derzeit rekommunalisiert Cottbus seine Müllabfuhr, Bad Dürkheim ebenfalls, der Kreis Giffhorn plant es ab 2027. Bremen, Dresden, Kiel, Lübeck, der Kreis Ostholstein haben den Prozess bereits hinter sich. Dahinter steht eine Erkenntnis, die auch Untersuchungen belegen: Langfristig gesehen steigen die Preise eher, wenn Private dran sind – weil sie eben kein originäres Interesse an einer Kreislaufwirtschaft, an günstigen Wasser- oder Strompreisen haben, sondern an Profit.

Auffällig ist, dass sich vor allem Kommunen im Osten und im Norden der Republik auf hoheitliche Aufgaben zurückbesinnen. Im Süden glauben Stadtverwaltungen mehrheitlich noch immer, dass der Markt besser ist als die öffentliche Hand. Außer, wenn der Norden Vorteile generiert zum Beispiel durch viel alternative Energie, die zu günstigeren Strompreisen führt. Da besonders Südländer wie Baden-Württemberg die Förderung regenerativer Energien verschnarcht haben, hat jüngst Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) gemeinsam mit seinen Süd- und Westkollegen (die genauso gepennt haben) den Bund aufgefordert, für bundesweit gleiche Industriestrompreise zu sorgen. Obwohl das ja nun so gar nicht dem Marktglauben entspricht.

Zurück zu Tübingen: Die Müllabfuhr zu privatisieren, zeugt von kurzfristigem Denken. Vielleicht gehen die Stadträt:innen ja doch noch mal in sich und entscheiden sich dafür, das Heft des Müllhandelns in der Hand zu behalten. Den Tübingerinnen und Tübingern ist es jedenfalls zu wünschen.


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