Diesmal: Impfgegner:innen in der Filharmonie in Filderstadt. Und Daniele Ganser, Verschwörungstheoretiker, am vergangenen Freitag in der Filderhalle in Leinfelden-Echterdingen. Titel: "Warum ist der Krieg in der Ukraine ausgebrochen?" Ganser ist Schweizer, promovierter Historiker, derzeit aber eher ehemaliger Wissenschaftler ohne Lehrerlaubnis, weil er Fakten zu seinen Gunsten auslegt und was nicht passt, gerne weglässt. Kein wissenschaftliches Vorgehen, attestieren ihm Gegner:innen und nennen ihn gefährlich, einer der mit Fake News indoktriniert. Seine Fans wiederum feiern ihn wie einen Popstar.
"Ganser war lange Zeit ein renommierter Friedensforscher", schreibt die Neue Zürcher Zeitung. Bis er zum 9/11-Verschwörer wurde. Während Corona verglich er Ungeimpfte mit verfolgten Juden. Seine Bücher, schreibt das Schweizer Blatt weiter, hätten eine ständigen Subtext: "Die Bevölkerung wird manipuliert." Und dennoch – vergliche man Verschwörungstheoretiker mit Drogen, sei Ganser das Gras unter ihnen: eher softe Verschwörung, keine harte Droge.
Einer, der die USA für alles Übel der Welt verantwortlich sieht, der dauernd von "Mainstream-Medien" spricht, die ständig lügen verbreiteten. Ganser will niemanden "ausschliessen aus der Menschheitsfamilie", was seit den Querdenker-Demos bedeutet, dass auch gegen Rechtsdrehende nichts einzuwenden ist. Und weil selbst einer, der weiß, wie die Welt sich wirklich dreht, Geld verdienen muss, tut er das. Mit Vorträgen (30 Euro pro Karte), Workshops (ganztägig für 180 Euro), Büchern und seiner Community, der man per Abo (365 Euro im Jahr) beitreten kann, um mit ihm "hinter die Kulissen der Macht zu blicken".
Dortmund oder Nürnberg haben seine aktuellen Auftritte abgesagt. Hannover nicht. Allein mit dem dortigen Vortrag, schreibt das ZDF, habe Ganser 80.000 Euro eingespielt. Auch die Filderhalle hat Ganser auftreten lassen, nach monatelangem Gezerre. Denn: Die Halle war längst gebucht, als sich die ersten Gegner der Veranstaltung meldeten. Man sei da kalt erwischt worden, war von Seiten der Stadt zu lesen.
Etwa 1.000 Gäste waren am Freitag da und einige Gegendemonstranten unter dem Motto "Keine Propaganda und Verschwörungsunternehmer auf städtischen Bühnen". Die Stadt hatte extra eine Sperrzone um die Veranstaltungshalle angelegt, in die nur Leute mit Ganser-Karten rein durften. Argument: Die Filderhalle hatte 2012 den Kopp-Verlag zu Gast und auch da gab es Knatsch. Letztlich wurde ein Gegendemonstrant von einem Polizisten gegen eine Wand gedrückt und erlitt eine Kopfverletzung. Bei Ganser wurde der Vorfall wieder aus der Schublade geholt und als Kronzeuge verarbeitet: Man wolle Gewalt wie damals vermeiden.
Oberbürgermeister und Gemeinderat hatten in den vergangenen Wochen also beraten und befunden, Gansers Thesen fielen unter die Meinungsfreiheit. Deshalb könne man nicht absagen. Sicher auch deshalb nicht, weil im Falle einer Absage Schadenersatzansprüche auf die Stadt zugekommen wären. Hallen-Geschäftsführer Nils Jakoby sagt auf Anfrage, man habe den Ganser schon gegoogelt, aber zum Zeitpunkt seiner Anfrage nichts gefunden, was gegen die Buchungsrichtlinien verstoße. Veranstaltungen von Gruppierungen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden oder einen kriminellen Hintergrund haben, würden grundsätzlich nicht angenommen. "Wo sollen wir die Grenze ziehen? Darf beispielsweise Greta Thunberg in die Halle? Die ist bei einer Demonstration festgenommen worden. Wo also sortieren wir aus und wo nicht?"
Impfgegner:innen in der Filharmonie
Die nächste große Chose steigt am kommenden Wochenende in der Filharmonie, dem Kultur-und Kongresszentrum in Filderstadt, einem kommunalen Eigenbetrieb. Dort haben sich Impfgegner eingemietet. Ganze drei Tage lang, für 330 Euro das Gesamtprogramm. Das "Impfsymposium 2023" wird von Hans Tolzin organisiert, einem der bekanntesten Impfgegner Deutschlands, selten hatte er derartigen Auftrieb wie während der Corona-Pandemie. Tolzin betreibt in Herrenberg den "Tolzin Verlag", er glaubt nicht an Ebola, hält Aids für erfunden so wie eigentlich alle Seuchen auf der Welt und quer durch die Historie. "Die Masern-Lüge" hat er beim rechtspopulistischen Kopp-Verlag drucken lassen.
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Michel
am 21.05.2023https://www.telepolis.de/features/Der-Versuch-Unrecht-aufzudecken-wird-vereitelt-9060950.html?seite=3