Gestern Corona-Leugner, heute Putin-Freund – das ist in Mode unter vielen Protestlern gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Zum Beispiel in Freiburg im Breisgau: Dort tauchten bei den "Querdenken"-Versammlungen von "FreiSeinFreiburg" schon bald nach Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine eindeutige Transparente auf. Etwa mit der Aufschrift "US-BIO-TECH Made in Ukraine für den SUPERGEN". Oder: "Impfpflicht nein – Nordstream 2 ja". Zwar schwenkten auf Kundgebungen in Freiburg einzelne Teilnehmer auch Flaggen der Ukraine. Zugleich vermieden Redner aber eine Verurteilung der von Wladimir Putin angeordneten Invasion. Einer kritisierte von der Bühne aus stattdessen, dass Deutschland im Konflikt "Partei ergreift" und so an der "Spirale der Gewalt" schraube.
Der "Faktenfuchs" des Bayerischen Rundfunks analysierte, dass sich auch ein großer Teil der reichweitenstarken, verschwörungsideologischen Kanäle in den sozialen Medien derzeit pro Putin positioniert – viele von ihnen spielten auch in den Debatten um Corona eine wichtige Rolle. "Scrollt man aktuell durch bekannte Telegram-Kanäle und Gruppen der sogenannten Querdenker-Szene, geht es längst nicht mehr nur um die Pandemie." Auch wenn die Positionierungen zum Krieg nicht einheitlich seien: Die bekanntesten Vertreter der verschwörungstheoretischen und der Querdenken-Szene auf Telegram würden rechtfertigende Inhalte für den Angriffskrieg Russlands teilen. "Meinung und Links zu Meldungen, die ins Weltbild passen, mischen sich in den Kanälen mit Desinformation und manchmal Verschwörungserzählungen, Widersprüche zur eigenen Position werden nicht geteilt", heißt es beim "Faktenfuchs".
Pandemie: Konjunkturprogramm für extreme Rechte
"Von Impfgegnern zu Putin-Verstehern?", überschrieb die "Die Zeit" eine Analyse zum Thema. Der Extremismusforscher Matthias Quent aus Jena sagte der Wochenzeitung, zwar hätten Teile der Neonazi-Szene "sehr gute Kontakte zu den nationalistischen Asow-Brigaden", einer Kampf-Einheit in der Ukraine. Allerdings handele es sich bei jenen, die sich pro-ukrainisch aufstellten, "eher um eine Minderheit in der Szene". Das Blatt analysiert: "Zu groß war und ist bei den meisten anderen offenbar die Sympathie für einen autoritären Machthaber wie Wladimir Putin. Zu groß ist wohl außerdem die Verlockung, wieder eine klare Anti-Mainstream-Haltung einzunehmen." Schon in der Corona-Pandemie war es rechtsradikalen Akteurinnen und Akteuren gelungen, zu Protesten zu mobilisieren und die gesellschaftliche Stimmung im Land zu beeinflussen. Die Pandemie wurde zum Konjunkturprogramm für die extreme Rechte.
Putin-Vorlieben in der rechtsextremen und verschwörungsideologischen Szene hat auch das Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) ermittelt, das sich mit Verschwörungsideologien und Desinformation beschäftigt. Das CeMAS wertete die zehn reichweitenstärksten deutschsprachigen verschwörungsideologischen Kanäle nach der ersten Kriegswoche aus – und kam zu dem Ergebnis, dass acht von ihnen "geeint in der prorussischen Positionierung" waren, wie Studienautor Jan Rathje erläuterte. Zu ihnen zählen die Kanäle von Eva Herman, Bodo Schiffmann ("Alles außer Mainstream") und Reiner Fuellmich.
Und auch die rechtsextreme sächsische Kleinpartei "Freie Sachsen", die im Freistaat eine zentrale Rolle bei der Mobilisierung für die als "Spaziergang" deklarierten Demonstrationen spielt, positioniert sich eindeutig. Die "Freien Sachsen" gratulierten als "Sachsen, die eine Autonomie von Berlin anstreben", zwei Tage vor Kriegsbeginn den "souveränen Volksrepubliken Donezk und Lugansk" zur Anerkennung durch Russland. Laut ihrem Telegram-Posting könnten sie "erkennen, wer für den Frieden eintritt und wer ihn fortwährend bedroht".
Reitschuster hat 10.000 FollowerInnen verloren
Daneben hätten sich, so die CeMAS-Studie, die selbsternannten "Alternativmedien" "Auf1" und "Freie Medien" sowie der nach dem früheren RBB-Moderator und Verschwörungsideologen Ken Jebsen benannte Kanal "Aufklärung und Information" eindeutig an der Seite Putins verortet. Eine Zurückhaltung bei der Festlegung beobachtete CeMAS nur beim Kanal "GemEINSam Stark – JETZT", was laut Rathje damit zusammenhängen könnte, dass dieser Kanal mit der Absicht gegründet worden sei, eine hohe Zahl von Abonnentinnen und Abonnenten zu erreichen, um so ein Zeichen gegen eine Impfpflicht zu setzen.
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M. Stocker
am 23.04.2022