Eine "Herzensangelegenheit" sei ihm immer die Friedenspädagogik gewesen, vor allem die Erziehung zur Friedensliebe. Das habe mit Artikel 12 der baden-württembergischen Landesverfassung zu tun: "Die Jugend ist (...) zur Friedensliebe (...) zu erziehen", heißt es da. "Aber wie erfahren die Lehramtsstudierenden in ihrer Ausbildung, wie sie das an den Schulen machen sollen?", fragt Nielebock. Seminare dazu sollten eigentlich ein Pflichtprogramm an allen Unis mit Lehramtsstudiengängen sein, doch davon sei man weit entfernt. Zurzeit ist es nur ein freiwilliges Programm in Tübingen, immerhin.
Wie geht Friedensbildung?
In dieses Feld fällt auch die Servicestelle Friedensbildung, die er nach wie vor beratend begleitet. Die vom Kultusministerium, der Landeszentrale für politische Bildung und der Berghof Foundation getragene Servicestelle soll dabei helfen, Friedensbildung an den Schulen des Landes zu stärken, dient als Beratungs-, Informations- und Vernetzungsstelle. Ein wichtiges Projekt der Stelle sind die "Modellschulen Friedensbildung": Solche Schulen sollen sich dauerhaft dem Lernen über und für Frieden widmen, drei gibt es bereits in Baden-Württemberg.
Gegründet wurde die Servicestelle 2015, aus Protest: Gegen einen neuen Erlass, dass die Bundeswehr zu Veranstaltungen in die Schulen dürfe, protestierten viele Friedensgruppen im Land. "Kultusminister war damals Andreas Stoch von der SPD", erzählt Nielebock, "der hat gesagt, abschaffen können wir den Erlass nicht, aber wir können ja quasi ein kleines Gegengewicht setzen." Seitdem gibt es die Stelle mit fünf Mitarbeitenden, was für die große Nachfrage nicht eben viel sei. Doch die Stelle müsste trotzdem noch viel bekannter sein, findet Nielebock, und hofft, dass sich dies noch ändert.
Die praktischen Folgen von Friedensbildung sind schwer zu kalkulieren, andere Aktivitäten der Friedensforschung schon. Für die Entspannungspolitik im Kalten Krieg lieferte sie nicht nur Legitimation, sondern auch Handlungsansätze, auch beim Osloer Friedensprozess in den 1990ern zur (immer noch ausstehenden) Lösung des Nahostkonflikts waren Wissenschaftler:innen der Disziplin beteiligt, betont Nielebock. Allein Johan Galtung, einer der Urväter der Friedensforschung, war als Vermittler und Berater in rund 100 Konflikten weltweit dabei, etwa in Sri Lanka, Nepal, Ecuador oder im Nordkaukasus, und oft durchaus erfolgreich – auch wenn viele Konflikte später wieder aufflammten. Friedensforschung wirkt also – oder zumindest: Sie kann wirken.
Der Ausblick: eher düster
Der Blick auf die Gegenwart kann dennoch bisweilen depressiv machen. 2022 starben weltweit in Konflikten 237.000 Menschen, so viel wie seit dem Genozid in Ruanda 1994 nicht mehr. Und 2023 waren es mit rund 160.000 zwar weniger Tote, aber die höchste Zahl von Ländern in Konflikten seit dem Zweiten Weltkrieg.
Nielebock sorgt sich dabei vor allem wegen des Ukrainekriegs. Die Debatte über ihn zeige, dass die Lehren der Friedensforschung hier kaum durchdringen könnten. "Das hat mit etwas zu tun, was ich als eine Regression der Politik bezeichne", sagt er. "Einen Rückfall in die 1950er-Jahre, in den Kalten Krieg, ohne dass es ein Beziehungsmanagement der großen Konfliktparteien gibt." Dieses sei in den letzten 20 Jahren systematisch zerstört worden. Nach der Kubakrise 1962 zwischen den USA und der Sowjetunion sei man schon einmal viel weiter gewesen: "Da hat man plötzlich gemerkt: Hoppla, das war zu riskant, wir haben in den Abgrund geblickt. Da haben beide Seiten gelernt, da haben Chruschtschow und Kennedy gesagt, wir dürfen uns nie mehr in eine Situation bringen, die unausweichlich in den Krieg führen kann." Es wurde angefangen, Beziehungen auszubauen, weil es einfach die billigste und banalste Maßnahme war, dazu kamen Verträge, etwa über Rüstungskontrolle, und Verhaltensregeln. Und hinter diesen Stand, hinter diese Lehren sei man jetzt zurückgefallen.
Es komme darauf an, wie lernfähig Gesellschaften seien, und sehr optimistisch ist er nicht. "Offensichtlich funktioniert es schlecht, dass Gesellschaften als Ganzes über den Kopf lernen. Ich fürchte, dass Lernen durch Krisen immer noch das zentrale Moment für gesellschaftlichen Fortschritt ist – wenn es nicht vorher in die Katastrophe geführt hat", sagt Nielebock – um doch noch der Hoffnung auf ein früheres Lernen ein wenig Raum zu geben. "Deshalb bereiten wir das ja an den Universitäten vor, in dem wir zeigen: Man kann die Welt anders sehen. Es gibt Normen und Regeln, die sind vernünftig. Wenn wir die einhalten, können wir irgendwie leben."
Darüber hinaus sei die Frage der sozialen Gerechtigkeit zentral: Wenn man die nicht löse, im globalen Maßstab, gebe es weltweit immer mehr Kapitalismus-Verlierer, auch in den westlichen Staaten, die nicht mehr aufgefangen werden könnten. Die soziale gehe mit einer politischen Polarisierung einher, was es wiederum schwerer mache, Konflikte zu lösen. "Wir müssen eigentlich zwei Sachen machen", sagt Nielebock. "Wir brauchen Umverteilung in der Gesellschaft. Und wir brauchen kluge Politik im Sinne von: Wir lassen es nicht eskalieren."
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wolfgang stein
vor 2 Wochennoch die Trottel für Moskau.
In Bochum fand zum 1. September eine Friedensdemo der Partei Die Linke statt. Ungefähr…