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Bahar Aslan, die Polizei und Deutschland

Brauner Dreck macht braunen Dreck

Bahar Aslan, die Polizei und Deutschland: Brauner Dreck macht braunen Dreck
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Eine Polizeihochschuldozentin twittert, dass sie Angst vor "braunem Dreck" in der Polizei hat und Rechtsdeutschland zeigt sich mal wieder von seiner dümmsten Seite.

Es gibt Texte, die will ich eigentlich gar nicht schreiben müssen. Diesen hier zum Beispiel. Denn er muss sich mit etwas beschäftigen, das so strunzdumm ist, dass ich es eigentlich gerne mit Ignoranz strafen möchte statt es mit Aufmerksamkeit und dem Anschein von Diskussionswürdigkeit zu belohnen. Geht aber leider nicht. Denn strunzdumme Ignoranz ist Teil der gesellschaftlichen DNA Deutschlands und verhält sich – historisch mehrfach belegt – in Krisenzeiten gerne wie ein Streichholzkopf bei zu viel Reibung: Und zack, brennt der ganze Laden ab. Schuld sind dann trotzdem "die Roten", ohne deren Versagen die Menschen auch keine Faschisten gewählt hätten, wie die Stammtischsoziologie der ganz normalen Leute schon das Ende der Weimarer Republik verklärte. Alter Hut, Hitlerhitler, ich weiß. Aber leider, leider hat sich vergangene Woche mal wieder etwas ereignet, das deutsche Streichholzköpfe entflammte: Bahar Aslan, eine Dozentin für interkulturelle Kompetenz an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) in Nordrhein-Westfalen, hatte getwittert, dass sie "Herzrasen" bekomme, wenn sie selbst oder ihre Freund:innen in eine Polizeikontrolle geraten, weil ihr "der ganze braune Dreck innerhalb der Sicherheitsbehörden" Angst mache. Verständlich.

Dass bei den Sicherheitsbehörden was gewaltig schiefläuft, ist schließlich kein Geheimnis mehr. Was lange als linke Verschwörungstheorie abgetan wurde, ist Allgemeinwissen geworden: Kein Monat vergeht, ohne dass Fälle publik werden, wie Menschen, die vor Gefahren schützen sollen, selbst eine Gefahr für Menschen darstellen. Bis heute wurde etwa niemand in der Polizei zur Rechenschaft gezogen für den Tod von Oury Jalloh; der ehemalige Chef des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, ist ein rechter Verschwörungsideologe; immer wieder werden Chatgruppen und andere Mitschnitte aus der Polizei geleakt, in denen Polizeibeamte rassistisch, sexistisch oder antisemitisch über andere Menschen herziehen und Kinderpornografie teilen und sich in rechten Netzwerken rumtreiben; männliche Vorgesetzte nötigen weibliche Polizeikolleginnen sexuell; rassistische Wandkalender auf Polizeiwachen. Richtige Konsequenzen hat die ganze Scheiße, die in den Behörden passiert, selten.

Wann cancelt jemand den rechtsextremen Professor?

Ich musste erst vergangene Woche wieder lachen, als ich im "Tagesspiegel" gelesen habe, dass die Berliner Polizei jetzt gegen die Beamten ermitteln will, die Carla Hinrichs von der "Letzten Generation" bei einer Razzia mit vorgehaltener Waffe aus dem Bett geholt haben. Polizei, die gegen die Polizei ermittelt, weil eine unabhängige Stelle fehlt, um ernsthaft zu kontrollieren: Dieser Witz ist nur noch schwer zu ertragen angesichts unzähliger Fälle von Polizeigewalt, die einfach immer und immer wieder ungestraft im Pfeffernebel verpuffen. Ahja, Polizeigewalt auf Demonstrationen! Stichwort G20-Gipfel oder Stuttgart 21: Wie viel Jahre hat es nochmal gebraucht, bis die Polizei ihre Gewaltexzesse gegen Demonstrant:innen den Menschen nicht mehr als rechtens verkaufen konnte? Fünf? Klar, müssen nicht unbedingt rechte Beamte gewesen sein, die da Arme brachen und Augen kaputtschossen – können auch ganz normale autoritäre Charaktere gewesen sein, haha.

Zum Brechen ist auch dieser rechtsradikale Professor und Sicherheitsexperte an der Bundespolizeiakademie in Lübeck, fällt mir grad ein. Oh, Mann! Stephan Maninger! Der ist halt einfach Gründer des – sogar laut Verfassungsschutz! – "gesichert rechtsextremen" Instituts für Staatspolitik (IfS), mit NPD-Leuten befreundet, schrieb für die "Junge Freiheit" und setzte sich als Deutsch-Südafrikaner für einen "Volksstaat für Weiße" in Südafrika ein. Jetzt kommt der eigentliche Gag, falls diese kurze Aufzählung nicht schon zu einem Übersprungslacher geführt haben sollte: Dieser Maninger ist bis heute Professor an der Bundespolizeiakademie! Wow, wow, wow: ganz schön viel brauner Dreck da in den Behörden!

Und ich hab' noch nicht mal angefangen zu erzählen, was Migrant:innen alles mit der Polizei erleben, wenn sie sich einfach auf eine Bank im Stuttgarter Schlosspark setzen, um Mittagspause zu machen. Jetzt Messerverbotszone auf dem Schlossplatz, damit die Polizei noch bessere Gründe hat, jedem in die Taschen zu fassen, den sie für nen Ausländer halten.

Nach dem Tweet von Bahar Aslan ist Dummheit der Streichholzköpfe noch grotesker eskaliert: Rechten, anderen "ganz normalen Leuten" und Medien platzte mal wieder die Ignoranz aus dem Gesicht. Der "Focus" berichtete auf unterstem Niveau und bezeichnete Aslan als "Polizisten-Hasserin", die jetzt zurecht ihr Fett wegkriegen würde; CDU-Innenpolitiker Christos Katzidis empfand Aslans Tweet als "unerträglich und untragbar" und darüber hinaus strafbar; Michael Mertens, der NRW-Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), forderte eine straf- und arbeitsrechtliche Prüfung von Aslans Äußerungen, mit der sie (haha, fuck, das hält man echt im Kopf nicht aus) die Gesellschaft spalten wolle; dass die AfD selbstverständlich ins selbe Horn blies, sollte klar sein: Der Landtagsabgeordnete Markus Wagner reichte eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Aslan ein.

Rassisten halten Rassisten nicht für Rassisten

Kurzum: Die 38-jährige Hochschullehrerin wurde von einem rechten Shitstorm umgehauen. Jetzt hat die Hochschule, an der die Dozentin beschäftigt ist, ihren Lehrauftrag für das kommende Semester nicht verlängert. Spiegelpropaganda wie aus dem Lehrbuch – und sie funktioniert auch noch, obwohl vollkommen offensichtlich ist, was hier passiert ist: Die, die immer hysterisch "Cancel Culture" schreien, haben eine Frau gecancelt, die nicht mehr und nicht weniger getwittert hat, als dass ihr der – nachweislich existierende, nicht wegdiskutierbare, tief im System der Sicherheitsbehörden verwurzelte – "braune Dreck" innerhalb der Sicherheitsbehörden Angst mache. Mein Gott, ich will nicht wissen, was passiert, wenn sie jetzt auch noch twittert, dass es im Sommer draußen wärmer ist als im Winter.

Dass Aslan mit Tausenden von Followern eine gute Zielscheibe für Rechte war, um sich aufgrund eines polizeikritischen Tweets in einem Shitstorm gegen sie selbst zu profilieren, ist keine Überraschung. Die Überraschung war, dass Rechte ihr dafür nicht einmal irgendwas unterstellen, oder ihr das Wort im Mund umdrehen mussten: Polizeigewalt und rechtsradikale Strukturen innerhalb der Polizei sind für Konservative und Rechte vielmehr einfach vollkommen normal. Nicht besorgniserregend und nicht verwerflich. Deshalb kann es kein brauner Dreck sein. Welches rassistische, sexistische oder antisemitische CDU- oder AfD-Mitglied würde für sich selbst reklamieren, rassistisch, sexistisch oder antisemitisch zu sein? Rassisten, Sexisten, Antisemiten sind bekanntlich immer die anderen. Deshalb gibt's auch keine Rassisten, Sexisten, keinen braunen Dreck in der Polizei: Weil der ganze Dreck, der dort abgeht, von Rechten nicht als Dreck wahrgenommen wird. Weil Ignoranz das WD40 ihrer kognitiven Dissonanzen ist.

Nichts an Aslans Aussage ist falsch – obwohl sich die Lehrerin Tage später unter Druck sogar unnötig für ihre Wortwahl entschuldigte. Doch genau für die Tatsachenbehauptung, dass es rechten Dreck in der Polizei gibt, wurde Aslan nun vonseiten der Polizei und pogromgeilen Rechten mit Scheiße überzogen – damit die ganz normalen Leute am Stammtisch wieder im Bierdunst über eine Linksgrün-Versiffte herziehen, nach mehr Polizei rülpsen und künftige Wahlergebnisse für konservative und rechte Parteien im Land verbessern. Es ist zum Haareraufen: Jedes Mal, wenn ich denke, dass es dümmer nicht geht, beweist Deutschland aufs Neue, dass auch im Jahr 2023 diejenigen, die auf Schmutz hinweisen, als gefährlicher gelten, als die, die den Schmutz machen. Das hat Kurt Tucholsky 1922 geschrieben. Der Rest ist Geschichte.


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1 Kommentar verfügbar

  • Björn E. Kevalonen
    am 01.06.2023
    Antworten
    Warum fällt mir in diesem Zusammenhang immer ein gewisser Kurt Tucholsky ein?
    "In Deutschland gilt derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als derjenige, der den Schmutz macht."
    Anmerkung: Bedauerlicherweise ist das nicht bloß in Deutschland Usus.
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