Als der es schafft, sich aufzurichten, rupft er das Schild verärgert aus dem Boden und wirft es demonstrativ weg – um daraufhin vom "Schlammmönch" zurück in den Schlamm geschubst zu werden. Slapstick vom Allerfeinsten. Die Szene mit dem Schubser verwandelte sich in Windeseile in unzählige Memes und andere Formen von Internetkunst. Es dauerte nicht lange, bis es das Video auf die Startseite von "Reddit" geschafft hatte und international bekannt wurde: "german riot police defeated and humiliated by some kind of mud wizard".
Der Schlammmönch von Lützerath wurde in dem US-amerikanischen Internetforum zum "mud wizard" – einem "Matschzauberer", der die Polizei mit magischen Fähigkeiten (seinem "mud spell") in die Knie zwang. Man kann das Internet für viele Gründe hassen, aber dafür, dass nur das Internet solches Gold birgt, muss man es lieben. Auch konventionelle Medien kamen um den Schlammmönch nicht herum: Selbst das Feuilleton der "Zeit" veröffentlichte wenige Tage später ein Interview mit dem "obersten deutschen Franziskaner", um der Frage nachzugehen: "Würde ein echter Mönch Polizisten schubsen?" Für den "echten" Mönch ist klar: "Er", also der Schlammmönch, "hat falsch gehandelt, als er die Polizisten in den Schlamm geschubst hat. Das mag lustig aussehen, aber er nutzt dabei ihre Hilflosigkeit aus". Dann erzählt der Franziskaner, wie er selbst in den 1990ern als Ordensmitglied bei Demonstrationen der Friedensbewegung dabei gewesen wäre und Sandhaufen vor die Deutsche Bank in Frankfurt gekippt hätte, um zu verhindern, dass die Banker in die Tiefgarage fahren konnten – aber Gegenwehr gegen die Polizei: No-Go!
Schlammmönch wurde gefeiert und beschimpft
Und genau so sah es auch die andere Seite im Meme- und auf Social Media. Solche Heuchler seien "die Linken". Würden immer predigen, sich für die Schwachen stark zu machen, und sich dann "den Schwächsten" aussuchen und auf ihn "einprügeln". So wie in der Schule! Da hätten sich dieselben Leute, die jetzt lachen, wahrscheinlich auch immer "die Schwächsten" ausgesucht – und solche Leute wollen "woke" Linke sein. Boo-hoo-hoo. So voll das Internet mit "mud wizard"-Hymnen war, so voll war es am Tag der Schlammschlacht von Lützerath auch mit hochemotionalen Mitleidsbekundungen für die armen "Freunde und Helfer", die Nasen mit Schlagstöcken brachen, Pfefferspray, Wasserwerfer, Hunde und Pferde gegen Menschen einsetzten – und dafür mit Matsch beworfen wurden.
Es ist wirklich pervers, wie sich die Polizei selbst in kristallklaren Momenten systemimmanenter Menschenfeindlichkeit trotzdem immer wieder gesellschaftlicher Rückendeckung sicher sein kann. Selbst in Szenerien wie in Lützerath, wo Polizeibeamte Konzerninteressen mit körperlicher Gewalt gegen die verteidigten, die sie mit ihren Steuergeldern bezahlen, hält sich das freundlich-paternalistische Narrativ vom "Freund und Helfer" aus der Weimarer Republik. Dabei hat sich schon unter preußischer Herrschaft gezeigt, für was die Polizei vor allem installiert wurde: Arbeiter:innen und Arme durch Sanktionen und Reglementierungen zu drangsalieren und Privateigentum Wohlhabender zu schützen. Und trotzdem hält der Großteil der Bevölkerung die Polizei bis heute für die vertrauenswürdigste Institution der Bundesrepublik, weil er offenbar privilegiert oder angepasst genug ist, um das System Polizei nicht kritisch zu hinterfragen. Und je mehr die Heulsusen mit Knarren jammern – also ständig –, desto stärker die Rückendeckung in der Gesellschaft. Ein Trauerspiel.
Selbstverständlich wurde auch in Lützerath von Polizeiseite wieder ohne Ende gejammert, um bloß keine Mitleidspunkte zu verspielen und Gründe für mehr staatliche Gelder zu konstruieren. Nach ihrem Einsatz für das Energieunternehmen verkündete die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Sachsen-Anhalt mit einer Pressemitteilung ihr blankes Entsetzen darüber, dass es doch tatsächlich Menschen gibt, die ein Problem mit ihrer "hervorragenden Arbeit" hatten: "Dass Kolleginnen und Kollegen in schutzlosen und hilfsbedürftigen Situationen verhöhnt, geschmäht, angegriffen und sogar umgestoßen worden sind, ist an Unmenschlichkeit, an Verachtungswidrigkeit und Niedertracht nicht mehr zu überbieten." Man zolle der Landespolizei vor Ort "hohen Respekt" und werde den Kolleginnen und Kollegen "bei Rückkehr ein umfassendes Angebot zur Nachreflexion des Einsatzes" ermöglichen.
Als kämen sie aus dem Krieg. Einem Krieg gegen Unbewaffnete. In den sie freiwillig und bezahlt gezogen sind, um sich um ein Dorf zu stellen, das sich ein Braunkohle-Unternehmen unter den Nagel gerissen hat. Das mit dem Abbau der darunter liegenden Kohle das 1,5-Grad-Ziel laut lachend verhöhnt. Mit Fug und einem Rechtsstaat, der es zugelassen hat, dass Menschen enteignet werden, damit ein milliardenschweres Unternehmen den Boden eines ganzen Dorfes kaufen kann, um noch mehr Geld mit staatlicher Unterstützung zu scheffeln und auf Mensch und Umwelt zu scheißen. Uff. Alles falsch einfach. Und dann stellt sich der edgy Klimaminister hin und diskreditiert die Demonstration vor Lützerath, wo keiner mehr wohne, als "falsches Symbol". Wie fertig kann ein Jugendroman-Autor sein? Wer angesichts dieser politischen Farce nicht innerlich zum Schlammmönch wird, dem ist echt nicht mehr zu helfen.
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herkenrath
am 06.02.2023