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Kontroverse um Lützerath

Je suis Schlammmönch

Kontroverse um Lützerath: Je suis Schlammmönch
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Der "Schlammmönch" schubste einen Polizisten beim Kampf um Lützerath. Doch nicht alle fanden das lustig. Das ist absurd angesichts des gewaltsamen Vorgehens der Einsatzkräfte, meint unsere Kolumnistin.

An Lützerath ist einfach alles falsch. Also war alles falsch. Alles. Da hilft es auch nicht, mit Recht und Gesetz zu kommen und den Abriss eines Dorfes für Profite der Umweltsau RWE mit irgendwelchen Entscheidungen oberster Gerichtshöfe und rechtsstaatlichen Verfahren zu rechtfertigen – so wie es der CDU-Mann und Ministerpräsident von NRW, Hendrik Wüst, im Deutschlandfunk getan hat. So wie es sogar für den grünen Vizekanzler Robert Habeck in Ordnung ging, mit dem RWE-Chef klimaschädliche Braunkohle-Deals auszuhandeln.

Abgefuckter geht's eigentlich gar nicht: Vorne rum einen auf edgy Klimaboy machen und sich mit Klimarettung auf den Fahnen wählen lassen, um dann mit SPD und FDP das 1,5-Grad-Ziel mit Schaufelradbaggermonstern in Garzweiler II zu begraben und sich von Konzernen das Rückgrat verbiegen zu lassen. Das einzig Gute an Lützerath war nur, dass die ganze Welt dabei zuschauen konnte, wie sich Deutschland blamierte. Und dass diese Wahrheit durch eine 20-jährige Greta Thunberg ausgesprochen werden musste, weil der Regierung die Einsicht in die Unvereinbarkeit von Neoliberalismus und Klimarettung fehlt.

Ja okay, das war das zweite Gute. Das Beste an Lützerath allerdings war ein Demonstrant, der bei der finalen Großdemo gegen den Abriss von Lützerath viral ging: der "Schlammmönch". Ohne Scheiß. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich bei einem Internetvideo zuletzt so lange am Stück lachen musste, obwohl der Kontext an sich alles andere als lustig war. Doch dieses – auch noch von Oberweirdo Martin Lejeune gefilmte – neunminütige Meisterwerk hatte mir das Wochenende vergoldet: Polizeibeamte in voller Straßenkampf-Montur kämpfen in fast schon Renaissance-artiger Gemälde-Ästhetik mit dem Schlamm auf dem riesigen freien Feld vor dem Braunkohle-Krater, stecken fest, fallen um, helfen sich gegenseitig mühsam wieder auf – nur um gleich wieder in den gnadenlosen Dreck zu fallen.

Matschzauberer zwingt Polizei in die Knie

Als ich das Video zum ersten Mal gesehen habe, konnte ich es kaum fassen, wie gut die Szenen waren, die zwischen Michelangelo, absurdem Theater und den 1920er-Slapstick-Filmchen aus "Männer ohne Nerven" oszillieren. Von der Frau am Anfang des Videos, die vollkommen aufgebracht und Viertel vor Wahnsinn inmitten des Matsch-Spektakels irgendwas von "Hände reichen" und "Demokratie" keift, mal ganz zu schweigen.

Und dann plötzlich kam er ins Bild: ein Mönch. Ein fucking Mönch! Also ein als Mönch verkleideter Demonstrant, der im Gegensatz zu den mit Schlamm überzogenen Beamten mühelos über den Matsch gleitet und um die schwer gepanzerten Cops herumtänzelt, ihnen auf die Schulter klopft und ein Schild mit der Aufschrift "Lützi bleibt" vor einem vom Schlamm gefangen gehaltenen Polizisten in den Matsch steckt.

Als der es schafft, sich aufzurichten, rupft er das Schild verärgert aus dem Boden und wirft es demonstrativ weg – um daraufhin vom "Schlammmönch" zurück in den Schlamm geschubst zu werden. Slapstick vom Allerfeinsten. Die Szene mit dem Schubser verwandelte sich in Windeseile in unzählige Memes und andere Formen von Internetkunst. Es dauerte nicht lange, bis es das Video auf die Startseite von "Reddit" geschafft hatte und international bekannt wurde: "german riot police defeated and humiliated by some kind of mud wizard".

Der Schlammmönch von Lützerath wurde in dem US-amerikanischen Internetforum zum "mud wizard" – einem "Matschzauberer", der die Polizei mit magischen Fähigkeiten (seinem "mud spell") in die Knie zwang. Man kann das Internet für viele Gründe hassen, aber dafür, dass nur das Internet solches Gold birgt, muss man es lieben. Auch konventionelle Medien kamen um den Schlammmönch nicht herum: Selbst das Feuilleton der "Zeit" veröffentlichte wenige Tage später ein Interview mit dem "obersten deutschen Franziskaner", um der Frage nachzugehen: "Würde ein echter Mönch Polizisten schubsen?" Für den "echten" Mönch ist klar: "Er", also der Schlammmönch, "hat falsch gehandelt, als er die Polizisten in den Schlamm geschubst hat. Das mag lustig aussehen, aber er nutzt dabei ihre Hilflosigkeit aus". Dann erzählt der Franziskaner, wie er selbst in den 1990ern als Ordensmitglied bei Demonstrationen der Friedensbewegung dabei gewesen wäre und Sandhaufen vor die Deutsche Bank in Frankfurt gekippt hätte, um zu verhindern, dass die Banker in die Tiefgarage fahren konnten – aber Gegenwehr gegen die Polizei: No-Go!

Schlammmönch wurde gefeiert und beschimpft

Und genau so sah es auch die andere Seite im Meme- und auf Social Media. Solche Heuchler seien "die Linken". Würden immer predigen, sich für die Schwachen stark zu machen, und sich dann "den Schwächsten" aussuchen und auf ihn "einprügeln". So wie in der Schule! Da hätten sich dieselben Leute, die jetzt lachen, wahrscheinlich auch immer "die Schwächsten" ausgesucht – und solche Leute wollen "woke" Linke sein. Boo-hoo-hoo. So voll das Internet mit "mud wizard"-Hymnen war, so voll war es am Tag der Schlammschlacht von Lützerath auch mit hochemotionalen Mitleidsbekundungen für die armen "Freunde und Helfer", die Nasen mit Schlagstöcken brachen, Pfefferspray, Wasserwerfer, Hunde und Pferde gegen Menschen einsetzten – und dafür mit Matsch beworfen wurden.

Es ist wirklich pervers, wie sich die Polizei selbst in kristallklaren Momenten systemimmanenter Menschenfeindlichkeit trotzdem immer wieder gesellschaftlicher Rückendeckung sicher sein kann. Selbst in Szenerien wie in Lützerath, wo Polizeibeamte Konzerninteressen mit körperlicher Gewalt gegen die verteidigten, die sie mit ihren Steuergeldern bezahlen, hält sich das freundlich-paternalistische Narrativ vom "Freund und Helfer" aus der Weimarer Republik. Dabei hat sich schon unter preußischer Herrschaft gezeigt, für was die Polizei vor allem installiert wurde: Arbeiter:innen und Arme durch Sanktionen und Reglementierungen zu drangsalieren und Privateigentum Wohlhabender zu schützen. Und trotzdem hält der Großteil der Bevölkerung die Polizei bis heute für die vertrauenswürdigste Institution der Bundesrepublik, weil er offenbar privilegiert oder angepasst genug ist, um das System Polizei nicht kritisch zu hinterfragen. Und je mehr die Heulsusen mit Knarren jammern – also ständig –, desto stärker die Rückendeckung in der Gesellschaft. Ein Trauerspiel.

Selbstverständlich wurde auch in Lützerath von Polizeiseite wieder ohne Ende gejammert, um bloß keine Mitleidspunkte zu verspielen und Gründe für mehr staatliche Gelder zu konstruieren. Nach ihrem Einsatz für das Energieunternehmen verkündete die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Sachsen-Anhalt mit einer Pressemitteilung ihr blankes Entsetzen darüber, dass es doch tatsächlich Menschen gibt, die ein Problem mit ihrer "hervorragenden Arbeit" hatten: "Dass Kolleginnen und Kollegen in schutzlosen und hilfsbedürftigen Situationen verhöhnt, geschmäht, angegriffen und sogar umgestoßen worden sind, ist an Unmenschlichkeit, an Verachtungswidrigkeit und Niedertracht nicht mehr zu überbieten." Man zolle der Landespolizei vor Ort "hohen Respekt" und werde den Kolleginnen und Kollegen "bei Rückkehr ein umfassendes Angebot zur Nachreflexion des Einsatzes" ermöglichen.

Als kämen sie aus dem Krieg. Einem Krieg gegen Unbewaffnete. In den sie freiwillig und bezahlt gezogen sind, um sich um ein Dorf zu stellen, das sich ein Braunkohle-Unternehmen unter den Nagel gerissen hat. Das mit dem Abbau der darunter liegenden Kohle das 1,5-Grad-Ziel laut lachend verhöhnt. Mit Fug und einem Rechtsstaat, der es zugelassen hat, dass Menschen enteignet werden, damit ein milliardenschweres Unternehmen den Boden eines ganzen Dorfes kaufen kann, um noch mehr Geld mit staatlicher Unterstützung zu scheffeln und auf Mensch und Umwelt zu scheißen. Uff. Alles falsch einfach. Und dann stellt sich der edgy Klimaminister hin und diskreditiert die Demonstration vor Lützerath, wo keiner mehr wohne, als "falsches Symbol". Wie fertig kann ein Jugendroman-Autor sein? Wer angesichts dieser politischen Farce nicht innerlich zum Schlammmönch wird, dem ist echt nicht mehr zu helfen.


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13 Kommentare verfügbar

  • herkenrath
    am 06.02.2023
    Antworten
    Die GdP darf mit Genehmigung der DPolG auch mal was von sich geben. bzw. wurde von ihr vorgeschickt.
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