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Weltfrauentag

Feminismus zu verkaufen!

Weltfrauentag: Feminismus zu verkaufen!
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Der Frauenkampftag wird, wie jedes Jahr, für Marketing ausgeschlachtet, "Feminist Washing" ist längst Alltag. Ein Symptom eines Systems, das vergessen machen will, dass Feminismus ohne Antikapitalismus nur ein Lifestyle-Produkt bleibt.

Heeeey, 8. März, Internationaler Frauentag, Weltfrauentag, Frauenkampftag, Feminismus, whoo-hoo! Gleich mal zur Feier des Tages fett Rabatte abchecken und ein Tupperware-Set in pink fünf Euro billiger bestellen, denn "Frauen lieben Pink!" Dann das pinke "Feminist"-Shirt von H&M anziehen, bei dem die "i"-Buchstaben durch pinke Rosen ersetzt wurden. Dann das feministische "Feminist Tarot"-Puzzle fertig puzzeln, um spirituell eingelevelt im super-duper Female-Empowerment-Girl-Boss-Online-Workshop wichtige Business-Tipps von irgendwelchen verblödeten Influencern und Coaches reingechannelt zu bekommen, um meine Karriere zu kickstarten. Weil, woo-hoo: Feminismus, richtig geil! Empowerment – vor allem von Frau zu Frau –, so wichtig! Diversität, eh klar! Und jeder "Girlboss" ist ja anders, deshalb ist auf dem bunten Markt der unbegrenzten Möglichkeiten auch für jede Frau das passende Produkt dabei um sich die totale Emanzipation zu kaufen.

Hätte ich selbst 'nen Onlineshop für irgendeine dumme Scheiße, wüssten die Profis des Marketing-Tools "GetResponse" auch ganz genau, wie ich meine Customer am Weltfrauentag "richtig" anspreche: Mein Newsletter an meine männlichen Kunden sollte darauf abzielen, "noch ein Last-Minute-Geschenk für ihre Frau zu bestellen". Weiblichen Kundinnen wiederum sollte ich "anlässlich des Frauentags empfehlen, sich einfach einmal etwas zu gönnen". Also irgendeinen Mist online zu kaufen. Ganz easy am Frauenkampftag den Rubel rollen lassen! Heeey girls, that's the spirit! Mit den richtigen Tipps und dem richtigen Mindset wird der Weltfrauentag auch im E-Commerce-Bereich für die letzte lila Latzhose zum feministischen Gamechanger! Kapitalismus ist für alle da!

So lange, bis wir's endlich geschafft haben die ganze Welt paritätisch gegen die Wand zu fahren. Ich kann mittlerweile nicht mal mehr angepisst davon sein, wie viel Kernschrott jedes Jahr am Weltfrauentag als feministisch verkauft wird. Ich bin abgestumpft, was die Spielarten menschlicher Dummheit und ihre Monetarisierung betrifft. Denn heute ist einfach nur ein weiterer Tag, an dem unterm Brennglas und mit Hashtags stattfindet, was sich seit vielen Jahren vollkommen normalisiert hat: "Feminist Washing". Also Kapitalismus unter dem Deckmantel des Feminismus. So wie "Greenwashing" oder "Pinkwashing": einen auf "Öko" und "Nachhaltigkeit" oder "gayfriendly" machen, weil sich damit Geld verdienen lässt – ohne auch nur ansatzweise ernsthaft an der Veränderung bestehender Verhältnisse interessiert zu sein. Im Gegenteil: Würden bestehende politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Verhältnisse tatsächlich feministischer werden, also würde das Realität werden, was sich viele Unternehmen aus Marketingzwecken auf die Fahnen schreiben, dann würden sie mit "Feminismus" ganz bestimmt nicht mehr Werbung machen.

Geht nur, weil Care-Arbeit nicht zählt

Denn nach Jahren der totalen Lifestyle-Verwässerung und des kommerziellen Ausverkaufs von "Feminismus", "Female Empowerment" und "Girlbossing" ist der Frauenkampftag, wenn er überhaupt noch für irgendwas gut ist, ein Tag, an dem daran erinnert werden muss, dass Feminismus immer auch Antikapitalismus sein muss. Es gibt schlichtweg keine gerechteren Verhältnisse zwischen den Geschlechtern im gegenwärtigen System, das nur funktioniert, weil die "Care-Arbeit", also die Arbeit am Menschen, immer noch minderwertige Frauensache ist. Da können Frauen noch so viele feministische Shirts kaufen und Tarot-Puzzle zusammensetzen: Solange der Wert der Arbeitskraft einer Erzieherin oder Krankenschwester systematisch gering gehalten und der Wert von Arbeit, die den ganzen Laden zusammenhält, als nicht-ökonomisch ausblendet wird, gibt es keine Gerechtigkeit. Schon gar keine globale. Feminismus muss das politisch-ökonomische System des Kapitalismus zerstören wollen, wenn er es ernst meint mit der eigenen Emanzipation – und damit mit der Emanzipation aller Menschen.

Dazu muss niemand in irgendwelchen Philosophiestudentenschweiß geschwängerten Marx-Lesekreisen Haupt- und Nebenwidersprüche diskutieren und sich darüber streiten, ob die leidige "Frauenfrage" jetzt vor oder nach der Überwindung des Kapitalismus gelöst werden muss. Niemand muss auch nur irgendwas von Clara Zetkin, Klassenkampf und linker Theorie verstehen, um zu begreifen, dass ein System, das auf Profitsteigerung angewiesen ist, auch darauf angewiesen ist, dass es Frauen – die bis heute den Großteil aller reproduktiven Tätigkeiten in der Gesellschaft übernehmen – schlechter bezahlen kann.


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4 Kommentare verfügbar

  • Temi
    am 10.03.2023
    Antworten
    Klasse!

    Ich hätte mir gewünscht, der Artikel wäre noch etwas ausführlicher gewesen. Nein, länger. :-)

    Es ist absolut honorig, wichtig, notwendig und mehr als angebracht, deutlichst darauf hinzuweisen, dass Feminismus ohne Antikapitalismus keiner ist, danke.
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